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Rechtsprechung auf Russisch

 
     
 
In Folge des Terroranschlags vom Oktober vergangenen Jahres auf das Musicaltheater Nord-Ost in Moskau hatten die Angehörigen von 61 Opfern bei dem in der russischen Hauptstadt gelegenen "Twersker" Gericht Klage gegen die Stadt erhoben mit der ungewöhnlich hohen Forderung von einer Million Euro Entschädigung für jedes Opfer. Ein solcher Prozeß mit derart vielen Klägern und Forderungen in Millionenhöhe ist in der Geschichte Rußlands einmalig und hätte nach Einschätzung der Medien zum Präzedenzfall werden können.

Doch hat das Gericht am vorletzten Donnerstag sämtliche zur Verhandlung anstehenden Klagen abgewiesen. Obwohl nach dem russischen "Gesetz zur Terrorbekämpfung" die Behörden eines Ortes, an dem ein Terroranschlag verübt wurde, zu Entschädigungs- leistungen verpflichtet sind, hat die Stadt Moskau bislang für jedes Opfer lediglich 100.000 Rubel - das entspricht nicht einmal 3.000 Euro - gezahlt sowie eine kostenlose medizinische Versorgung
mit Medikamenten und ärztlichen Behandlungen für die Überlebenden und Angehörigen angeboten. Darüber hinausgehende Entschädigungen hatte die Stadt mit der Begründung abgewiesen, daß sie den Terroranschlag nicht zu verantworten habe. Schadensersatzpflichtig seien die verantwortlichen Hintermänner der Terroristen, doch diese konnten bislang nicht ermittelt werden. Besondere Bemühungen um Ermittlungserfolge sind auch nicht erkennbar. Drei willkürlich inhaftierte Tschetschenen mußten wieder freigelassen werden, weil ihnen eine Teilnahme an dem Anschlag nicht nachgewiesen werden konnte.

Ex-Justizminister Pawel Kraschennikow kommentierte in einem Interview mit der Zeitung "Wremja Nowostej" die ablehnende Haltung Moskaus gegenüber den Forderungen der Kläger mit der Bestätigung, daß es sich beim "Gesetz zur Terrorbekämpfung" um ein Grundrecht handele, das klare Aussagen darüber treffe, daß eine Region, in der Terroranschläge stattfinden, Entschädigung zu zahlen habe. Wenn die Stadt Moskau dies als "unrichtig" oder "ungerecht" empfände, müsse sie selbst das Verfassungsgericht anrufen. Seiner Einschätzung nach gehe es aber in erster Linie gar nicht um die Rechtmäßigkeit der Forderungen, sondern um die Frage, aus welchem "Topf" die Entschädigungsleistungen gezahlt werden könnten. Kraschennikows Meinung nach müßten diese laut Gesetz in erster Linie aus dem Stadtbudget gezahlt werden, und erst danach aus dem persönlichen Vermögen des Verantwortlichen.

Dies hört sich in der Theorie ja ganz einfach an, doch Moskau will sich daran nicht halten, sondern argumentiert, daß die Verantwortlichen erst ermittelt werden müßten, was die Staatsanwaltschaft bisher zu verhindern gewußt hat.

Die Kläger wollen sich nach Meldungen der Zeitung "Argumenty in Fakti" die Ablehnung nicht gefallen lassen und beabsichtigen, die nächst höhere Instanz anzurufen, bei der sie dann auch Beschwerde über die Vorgehensweise des Gerichts führen wollen.

Der Hauptanwalt der Kläger, Igor Trunow, stellte zu Beginn des Prozesses einen Befangenheitsantrag gegen die vorsitzende Richterin und forderte, den Prozeß in eine andere Stadt zu verlegen, da das Gericht einer Stadt, gegen die sich die Klage richte, nicht objektiv urteilen könne.

Des weiteren hatte Trunow mitgeteilt, über eine Videokassette mit Aufnahmen zu verfügen, die von den Terroristen bei der Erstürmung des Theaters mit der Kamera einer Geisel aufgenommen wurden; diese wollte der Anwalt vorlegen, falls es zu einem Beweisaufnahmeverfahren durch das Gericht kommen sollte, was dieses aber stets abgelehnt hatte. Daraufhin ließ die Moskauer Staatsanwaltschaft sich einen Trick einfallen: Sie lud den Rechtsanwalt kurzerhand als Zeugen vor. Das Gericht verlangte bei der Befragung von Trunow, das Videoband herauszugeben, Angaben über den Inhalt zu machen, mitzuteilen, von wem und unter welchen Umständen er die Aufnahmen erhalten habe, sowie sich dazu bereit zu erklären, sie den Sicherheitsorganen zu überlassen. Der Opferanwalt gab jedoch lediglich bekannt, daß er das Band von einem Kläger erhalten habe und lehnte es ab, weitere Auskünfte zu erteilen. Er werte, so sein Vorwurf, die Befragung als Versuch, ihn als Anwalt "kaltzustellen". Nach russischem Recht hätte er nämlich die Kläger im Prozeß nicht mehr vertreten können, wenn er vorher als Zeuge in derselben Sache ausgesagt hätte.
 
     
     
 
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