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Relative Demokratie

 
     
 
Europa würde Kerry wählen. Das haben Demoskopen hierzulande herausgefunden. Na und, kann man dazu nur sagen. Gewählt wird in den USA, und spätestens seit der letzten betrügerisch manipulierten Inthronisierung des jetzigen Präsidenten wissen wir im "alten Europa": Das Mutterland der Demokratie hat so seine eigenen Reglements im Machtspiel ent-wickelt.

Ginge es nämlich nach der einfachen Regel, wonach Mehrheit gleich Mehrheit ist, und sei es auch nur mit einer Stimme, so hätte seinerzeit Al Gore ins Weiße Haus einziehen dürfen, und dieser Welt wäre so manche Schande erspart geblieben. Nicht nur der Irakkrieg, der, wie man jetzt offiziell weiß, mit Lug und Trug begründet und zudem völkerrechtswidrig von der in der US-Metropole herrschenden Öl-Oligarchie und deren Marionette George Bush inszeniert worden ist, muß die Europäer in eine Abseitsposition bringen.

Ganz davon abgesehen - und auch das darf nicht übersehen werden: Schon seit Jahrzehnten darf der mächtigste Mann der Welt sich mal gerade auf 25 bis 30 Prozent der amerikanischen Wahlberechtigten stützen. Die Wahlbeteiligung liegt zumeist bei 50 Prozent. Und dann das Wahlmännerprinzip, das traditionell den Favoriten begünstigt. Also: Auch Demokratie kann relativ sein.

Was indessen in den USA in den vergangenen vier Jahren von der Bush-Administration an Schindluder mit den fundamentalsten demokratischen Prinzipien getrieben wurde, ist in der Geschichte ohne Beispiel. Sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik hat sich die sogenannte Elite der Neokonservativen einen Dreck um die elementaren Rechte des Souveräns, nämlich des Volkes, gekümmert.

Mit teilweise mittelalterlichen Argumentationsmustern wurden und werden - dies hat auch der jetzt zu Ende gehende Wahlkampf verdeutlicht - Abtreibungsbefürworter, Kriegsgegner, Umweltschützer und Homosexuelle
diffamiert und kriminalisiert. Und all dies unter steter und bigotter Berufung auf Gottes Wort und die Bibel. Mit dem eiskalten Kalkül auf die tiefe Gläubigkeit der meisten Amerikaner, auch ihrer bisweilen dumpfen Uninformiertheit und Borniertheit, wofür George Bush geradezu als ein Phänotypus sich geriert. Das alles gesteuert von mephistophelischen Think Tanks, die vom Chefnestor der üblen Nachrede, Karl Rowe, dirigiert werden. Gegen diese perfiden Methoden nach dem Motto, wer nicht für uns ist, ist gegen uns, sind weder Personen noch Staaten, ja ganze Kontinente gefeit.

Der Hegemon US-Amerika hat unter Bush jeglichen humanitären und kooperativen Maßstab verloren. Im menschlichen Miteinander würde man sagen, hier sei jemandem seine Macht zu Kopfe gestiegen. Wo andere Staaten, in der Tradition schmerzhafter Erkenntnisse und Lehren aus den letzten Jahrzehnten abrüsten, kurbelt Amerika die Militärmaschinerie an. Im Umweltschutz, wie etwa beim Kyoto Protokoll, das jetzt auch von Rußland gegengezeichnet wurde, wird in der sogenannten Neuen Welt dreck-schleudernde Industrie begünstigt. Das institutionalisierte Gewissen der Völkergemeinschaft, die Vereinten Nationen, werden von den USA mit einer unerträglichen Arroganz lächerlich gemacht. So sieht Weltherrschaft zu Beginn des dritten Jahrtausends aus. Das alte Rom läßt grüßen, dessen Untergang allerdings letztlich auch unvermeidlich war.

Würde denn unter Kerry jetzt alles anders werden. Natürlich nicht. Das hat schon dieser kurze heftige Wahlkampf gezeigt. Ganz davon abgesehen, daß Republikaner und Demokraten ohnehin nur eventbezogene Wahlvereine und keineswegs Parteien nach unserem Muster sind, auch Kerry müßte sich den strukturell gefestigten Gesetzmäßigkeiten dieser Supermacht stellen. Nota bene: Nicht ein Demokrat, sondern der Republikaner Richard Nixon hat es seinerzeit vollbracht, den Vietnamkrieg mit Inkaufnahme eines nationalen Traumas zu beenden. Kerry müßte das schlimme Erbe des Irakdesasters fortführen. Er hat keine Alternative anbieten können, ja auf Franzosen und Deutsche könnte dann sogar die Forderung nach Militärhilfe zukommen. Auch Kerry müßte Rücksicht auf die Interessen der Ölindustrie nehmen, auch Kerry müßte, wenn auch unter weniger biblischem Alibizwang, den Anti-Terror-Kampf fortsetzen. In der komplizierten Innenpolitik könnte er sich sehr schnell in den vielfältigen Interessengruppen verheddern.

Was den USA fehlt, ist die echte Alternative zu der augenblicklichen macht- und geldgierigen sowie menschenverachtenden Bush-Administration. Kerry wäre allenfalls die Andeutung einer Trendwende, die allerdings überfällig ist. Doch aus vielen Gründen ist zu befürchten, daß Bush erneut obsiegt und sei es nur, weil seine plumpen Botschaften so in sich schlüssig und damit nachvollziehbar sind. Zumindest bei einem Viertel des Wahlvolkes. Und das kann reichen - und wenn nicht, dann dauert die Auszählung eben etwas länger. n

Der Autor ist Chefredakteur des Deutschlandfunks in Köln. Der Beitrag wurde am 30. Oktober, also wenige Tage vor der Wahl in den USA, ausgestrahlt, bleibt aber in wesentlichen Punkten über den (Wahl-)Tag hinaus gültig.

Gastkommentare geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht in jedem Punkt die derVerlegerin

 
     
     
 
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