A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Artikel

 
     
 
Unsere dunkle Vergangenheit, im hellen Licht politischer Vernunft betrachtet, legt im Vergleich mit früheren historischen Großmachtgebilden nahe, daß die gegenwärtige Globalisierungskampagne schon immer die unerläßliche Begleitmusik von Großmächten war.

Die zeitweilig die damalige zivilisierte Welt dominierenden Seemächte Portugal und Spanien legten ihren Untertanen aus den eroberten Gebieten nahe, ihre Herrschaft, die sie zugleich auch noch religiös absegnen ließen, uneingeschränkt (global) anzuerkennen. Natürlich haben sich seither die Methoden
und die Mittel zur Machtsicherung geändert: die Koggen gibt es heute nur noch im Museum, und die Überfahrten zu den Grenzen des Reiches dauern nicht mehr Monate, sondern Stunden. Allein der Zwang zur Vereinheitlichung der Währung in der Gegenwart ist neu. Er liegt darin begründet, daß die damalige Goldwährung an sich schon werthaltig war, während die heutige Papierwährung nur ein anonymes Versprechen auf Einlösung ist, das freilich seine Bewährungsprobe erst noch bestehen muß. Ansonsten aber muß die derzeit globalisierte Welt in den Spuren früherer Mächte wandeln, weil der Mensch sich nicht geändert hat: er trägt die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung in sich, er ist aber durch die Zwänge des Lebens zumeist genötigt, den kurzen Weg der Selbsterhaltung zu gehen. An jene doppelte Unabänderlichkeit des Seins knüpft nun auch Henry Kissinger in seinem neuesten Buch „Does America Need a Foreign Policy? Toward a Diplomacy for the 21st Century“ (Braucht Amerika noch eine Außenpolitik? Vörwärts zu einer Diplomatie für das 21. Jahrhundert). Kissinger, der noch immer als der einflußreichste Politiker der USA gilt, meint nun keineswegs, daß Politik im 21. Jahrhundert nur noch mit einer Welt von „Gutmenschen“ umzugehen habe, sondern bleibt gründlichst geschult durch das Studium der europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts den Visionen und Ränken, den Unwägbarkeiten menschlicher Existenz und den politisch-diplomatischen Planspielen so überaus verschiedener Persönlichkeiten wie Bismarck und Metternich verpflichtet.

Streng im Gefolge der ansonsten leider inzwischen zwangsweise verflüchtigten Formengestaltung Mitteleuropas plädiert er für eine (US-)Politik der Räume und Mächte und ihrer Möglichkeiten, kurz dasjenige, was heute (wie je) außerhalb des Bundesgebietes unter dem Begriff Geopolitik rangiert. Etwas überschwenglich untertreibend bekundet Kissinger unter Hinweis auf Figuren wie Jefferson und Woodrow Wilson: „Emotionale Parolen ohne ein Konzept für die Interessen der Nation haben uns zwischen Exzessen des Isolationismus und des Überengagements schwanken lassen.“ Globalisierung hin, Worthülsen her, für Kissinger bleibt die erzwungene Nachkriegslage entscheidend für die äußere Bewegungsmöglichkeit der USA: dazu gehört die Kenntnis, ohne festen Sitz in Europa verliert Washington seinen Brückenkopf in der Mitte des Kontinents. Darin ist auch die Kontrolle über die Spielräume Berlins und Moskaus eingeschlossen.

Die neuerlich umlaufende Idee, die Russen durch die Aufnahme in die Nato einzubinden, wie dies einst Lord Ismay in seinem berüchtigten Spruch über die Funktion dieses Militärpaktes in Hinsicht auf uns Deutsche tat, lehnt Kissinger ab. Die Fiktion eines Feindbildes kann für eine unangefochten operierende Weltmacht nicht hoch genug veranschlagt werden. Hier helfen offenbar auch die vielen warnenden Stimmen aus der historischen Zunft, die Weltreiche immer dann wanken sehen, wenn sie im Zenit der Macht stehen. Zudem verhelfen Paktsysteme auch zu unwägbaren Konstellationen. In Hinsicht auf die gegenwärtig einmalige Stellung der USA rät Kissinger freilich, hier ganz Schüler und Kenner europäischer Verhältnisse, für die Zukunft seines Landes mit Konstellationen zu rechnen, die die Existenz mehrerer Großmächte einschließt. Vielleicht nur eine Wunschvorstellung, die die Sinne der Weltmacht schärfen sollen, aber zugleich auch die Möglichkeit für Kissinger, Washington in der Rolle Londons in früheren Jahrhunderten sehen zu wollen. Das alte Spiel Britanniens, Hüter des europäischen Gleichgewicht zu sein, so der ehemalige US-Außenminister, wäre der künftigen Rolle der USA im Kampf der Kontinente angemessen. Für die nahe Zukunft scheint ihm dies auch das Rezept für die gegenwärtigen Kämpfe im Nahen Osten zu sein. In Ostasien sieht er noch keine Gefahr, obgleich hier die Jahre der Entscheidung anstehen.

Ansonsten gilt für ihn, was für jeden Bundespolitiker in der Anwendung auf deutsche Belange ein unsäglicher Greuel zu sein scheint: jedes „Ereignis in der Welt ist daraufhin zu untersuchen, ob es Amerika schwächt“ oder nicht.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Wer Bücher verbrennt …

Lithographie-Ausstellung im Kulturzentrum Ellingen

Melancholie im Blut

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv