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SPD-Parteitag: Licht-Symphonie in Rot

 
     
 
Die Inszenierung in Leipzig ist beinahe perfekt: Aus Halle II des Messegeländes hat die SPD einen Theatersaal gemacht, die Wände in tiefblauer Farbe fernsehgerecht ausgekleidet. Stehen auf Parteitagen sonst die Stühle in Reih und Glied, so ist die traditionelle Sitzanordnung einem Halbrund gewichen, das Rednerpult weit in den Saal hineingezogen worden. "Denn was die SPD bei der Kür Gerhard Schröders zum Herausforderer von Helmut Kohl in Leipzig bot, konnte so richtig eher von Theaterkritikern, denn von politischen Journalisten gewürdigt werden", schreibt die "Berliner Morgenpost
". Leipzig bedeutet das Ende der traditionellen Politik-Darstellung. Der neue SPD-Stil erinnert mehr an ein US-Musical wie "Starlight Express". Lichttechniker werden wichtiger als Fraktionsreferenten, Videoclips treten an die Stelle von Debatten.

Hauptdarsteller Schröder ("Ich bin bereit") ist in Bestform. Das Drehbuch hat für ihn "Lichttechnik V" verordnet. Es ist ein sanftes Licht, kein gleißendes. Schröder spricht auch sanft, fast väterlich. Viel erinnert an Willy Brandt, der ähnliche Stimmungen erzeugen konnte, allerdings noch ohne Musik auskam. Schröders Botschaft: Er hat alle lieb, selbst den Bundeskanzler: "Helmut Kohl soll seinen Platz in den Geschichtsbüchern haben." Es folgt ein wohlklingender Gesang aus Optimismus, Hoffnung, Zutrauen und Aufwärtsstimmung. Paukenschläge richten sich gegen die in Bonn Regierenden, denen Angst, Pessimismus und Kälte zugewiesen werden. Schröders Auftritt ist mehr eine Symphonie als eine herkömmliche Rede.

Warum ein Wechsel in Bonn? Schröders Antwort ist einfach: "Es ist Zeit für einen Wechsel." Was der Kandidat sagt, kann jeder unterschreiben, etwa diesen Satz: "Wir bündeln die Kraft des Neuen." Die Abrechnung mit Kohl ist plakativ: "Nach seinen eigenen Maßstäben ist Helmut Kohl der Kanzler der Arbeitslosigkeit, der Kanzler der leeren Kassen und drückenden Schulden, der Kanzler der ungerechten Verteilung, der Kanzler, der die Soziale Marktwirtschaft zerrissen und das Soziale verdrängt hat."

Schröders SPD-Express nimmt Fahrt auf. Der Kanzlerkandidat liebt Autofahrer und Pendler: "Ihr könnt Euch auf uns verlassen." Der Benzinpreis soll nicht zur "Ursache neuer sozialer Ungerechtigkeiten" werden. Denn Schröder besetzt jedes Thema: "Die Menschen wollen den Staat nicht vor der Nase haben, sie wollen ihn an ihrer Seite wissen." Rentenkürzungen werde es nicht geben, für Witwen schon gar nicht. Die Kürzung der Lohnfortzahlung für Kranke werde rückgängig gemacht. Er spricht von gesellschaftlicher Solidarität, von Gerechtigkeit, Innovationen, sozialer Sicherheit, von der Neuen Mitte und fordert Steuersenkungen. "Wir werden nicht alles anders, aber wir werden es besser machen". Schröders Euro-Kritik ist ein dramatischer Höhepunkt: Natürlich will er die Währungsunion, aber er verlangt die Harmonisierung von Steuern und sozialer Sicherung. Geschehe dies nicht, "wird das zum Bersten der neuen Währung führen." SPD-Politik werde dafür sorgen, "daß der Euro kein Debakel wird." Damit tritt er in die Fußstapfen des kleinlaut gewordenen Euro-Kritikers Edmund Stoiber. Die SPD könnte mit Schröders Euro-Skepsis ganz tief in traditionelle Wählerschichten der bürgerlichen Parteien einbrechen.

CDU-Generalsekretär Peter Hintze bezeichnete den SPD-Parteitag als "verkitschtes Spektakel", "Schmierentheater" und "Seifenoper". Das zeigt eigentlich nur, daß die Union immer noch kein Rezept gegen das Schröder-Hoch hat. Seit der Niedersachsen-Wahl bestimmen Schröder, Lafontaine und die SPD den politischen Takt in Deutschland. Die SPD hat in geradezu bewundernswerter Weise die Verärgerung vieler Menschen über "die da in Bonn" wie Wasser auf ihre Mühlen leiten können. Union und FDP können eigentlich nur noch auf ein politisches Wunder hoffen.

 
     
     
 
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