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Schiller lebt

 
     
 
Lange hatte man ihn ignoriert wie einen etwas zu peinlichen Verwandten: Zu pathetisch die Rede! Zu viel Heldentum im Spiel! Zu viel Idealismus auf der Szene! Kein Materialist, der Herr Schiller aus Marbach am Neckar, der in Weimar in Thüringen Nationaldichter der Deutschen wurde, zusammen mit dem Frankfurter Goethe. Nur gelegentlich gab es noch diese oder jene "Räuber"-Inszenierung, bundesrepublikanisch garniert und gemimt, also RAF-nah auf die Schau-Bühne gebracht, die schon lange nicht mehr als "moralische Anstalt
" galt, sondern als Agitprop-Bude der vom Wohlfahrtsstaat ebenso korrumpierten wie dadurch gedemütigten Zeitgeist-Intellektuellen fungierte. Als die RAF als Bühnen- und Intendanten-Horizont aus der Mode kam, landeten Schillers und anderer Klassiker Helden zur Abwechslung in Pissoir-, Fabrikhallen- und Wehrmachts-Kulissen. Inzwischen ist auch das durch und Klischee. Aber Schiller, der Dichter und Denker, der vor 200 Jahren ziemlich elendig einem verknäulten Lungen-, Herz- und Nierenleiden erlag, ist immer noch da. Oder wieder. Und wie! Seine Freiheitsproklamationen könnten aktueller sein, als manche hierzulande glauben oder wahrhaben wollen. Seine radikale Kritik der radikalen Gleichmacherei ebenso.

Wenn Schiller gefährlich war für die absoluten Monarchen seiner Zeit, dann ist er es erst recht für die absolutistischen Zeitgeistmonarchien unserer Epoche, die sich so gerne in der emanzipatorischen Tradition der Französischen Revolution von 1789 sehen und in Theoriedelirien behaupten, dies sei die politische Geburtsstunde jenes "Westens" gewesen, an dem mittlerweile die ganze Welt zu genesen habe. Besagte Revolution war aber nur die Geburtsstunde des europäischen Totalitarismus: Mit nationalistischem Unterstrom und neidpolitischen Flächenbränden, die sich ab 1917 im kommunistischen GULag-System massenmörderisch fortsetzten und ab 1933 nationalsozialistisch definierten, kaum weniger massenmörderisch, aber ebenso modernitätssüchtig.

Das vereinnahmende Mißverständnis der Pariser Wohlfahrtsausschußdespoten und Guillotinefetischisten, im Freiheitspoeten Schiller einen rechtsblinden Geistesverwandten zu sehen, hat der noch selber und unmißverständlich korrigiert: Nach der Hinrichtung Ludwig XVI. im Januar 1793 schreibt er an seinen Freund Körner: "Ich kann seit 14 Tagen keine französischen Zeitungen mehr lesen, so ekeln diese elenden Schinderknechte mich an." Und in einem Brief an den Herzog von Augustenburg vom 31. Juli 1793 konstatiert er den Fall des "aufgeklärten Menschen ... bis zum Teuflischen hinab". Der politischen Emanzipation des Menschen hat Schiller jedenfalls fortan tief mißtraut; um so mehr setzte er nun auf die ästhetische. Es lohnt also, gerade in Zeiten wie den unseren, die sich bemühen, der jakobinischen Tugenddiktatur mehr zu entsprechen, mit Schillers Rechts- und Freiheitsdiskurs dagegen anzutreten.

Wer mehr über sein diesbezügliches Dichten und Denken wissen will, kann übrigens bei dem Rechtsphilosophen Lüdersen fündig werden. In seiner spannenden Untersuchung "Daß nicht der Nutzen des Staates Euch als Gerechtigkeit erscheine - Schiller und das Recht" (Insel Verlag, 14,90 Euro) wird das Werk des Genies, vor allem der dramatische Teil, auf seine rechtsphilosophischen Implikationen hin untersucht und zur These gebündelt, daß das Recht bei Schiller als "Kunst der Anerkennung" gedeutet werden könne. Daß Lüdersen damit auch auf eine Anerkennung der Kunst als "einer zu neuen Erfahrungen einladenden Intuition" zielt, hätte Schiller ganz bestimmt gefallen.
 
     
     
 
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