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Sozialabzocke

 
     
 
Die letzten Wochen und Tage waren für Professor Rürup aus Darmstadt nicht immer einfach. Sobald ein Detail aus der Arbeit der nach ihm benannten Kommission bekannt wurde, gab es andere Experten oder Verbandsfunktionäre, die dagegenhielten. Die Kritik nahm überhand, selbst der Kanzler distanzierte sich, allerdings mit dem Hinweis auf eine nicht zu überbietende metaphysische Ebene: der Bericht einer Kommission sei keine Bibel, sagte er.

Wie immer, die Kritik war so stark, daß eine Zeitung titelte: "Rettet Rürup". Nun ist der Bericht also da, er wird von Fachleuten genauestens angeschaut werden. Eine ist die Sozialministerin von Niedersachsen, Ursula von der Leyen
. Sie war auch Mitglied in der Konsensrunde zur Gesundheit und ist Mitglied der Herzog-Kommission, die für die Union Vorschläge für die Reform der Sozialsysteme erarbeitet. Am sogenannten "Rürup-Bashing" will sie sich aber nicht beteiligen. Zuerst wolle sie, wie sie in einem Gespräch mit dieser Zeitung sagte, den Bericht aufmerksam studieren. Was sie "allerdings mißtrauisch" mache, sei die Tatsache, daß Rürup "seit sieben, acht Jahren fast jede Rentenreform begleitet" habe. So habe er zum Beispiel maßgeblich die Riesterreform mitgestaltet, "und die ist gescheitert, so daß ich, ehrlich gesagt, nicht allzu viel erwarte".

Das umso mehr, als die Problematik sich nicht geändert habe. Die Mathematik sei unbarmherzig: Weniger Beitragszahler, aber mehr Leistungsempfänger und diese auch für längere Zeit. Es komme schon seit Jahren weniger in die Rentenkasse, als herausfließe. Auch die Union könne die Logik der Mathematik nicht außer Kraft setzen. Natürlich werde in der Herzog-Kommission darüber debattiert, und man werde "am 6. Oktober gebündelt die Ergebnisse präsentieren". Das unterscheide, so die Sozialministerin, die auch Mutter von sieben Kindern ist, "die Herzog-Kommission von der Rürup-Kommission: Wir schweigen bis dahin, damit eben im Gesamtwerk unsere Vorstellungen dargestellt werden können".

Die CDU-Politikerin rechnet damit, daß die Bundesregierung "im Herbst vor den Scherben einer verfehlten Rentenpolitik" stehen werde. Eine Konsensrunde für die Rente nach dem Vorbild der Gesundheitsrunde hält sie für unrealistisch. Es sei "verhängnisvoll, wenn wir am Rande dieser Debatte, die unter dem hohen ökonomischen Druck des Finanzministers entzündet worden ist, jetzt ganz schnell eine langfristige Reform basteln würden. Mit anderen Worten, es wird mit Sicherheit im Herbst keine Konsensrunde zur Rente seitens der Union geben". Man müsse "an diesem Punkt auch mal die Frage stellen, ob die Regierungsfähigkeit einer Partei noch gegeben ist, wenn sie zur Veränderung und zur Reform stets die Opposition als Geburtshelfer braucht".

Im Zusammenhang mit den Rürup-Vorschlägen war immer wieder von einer Erhöhung des Renteneinstiegsalters die Rede. In Frankreich hat man sich bei der Rentenreform im Frühsommer auf eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit geeinigt. Die Ministerin plädiert für diese Variante. Man dürfe "nicht undifferenziert ein Renteneinstiegsalter mit 67 Jahren starr vorschreiben. Ich tendiere mehr dazu, zu sagen, die Lebensarbeitszeit muß stimmen. Es gibt nun mal Berufe, da fängt man relativ früh an einzuzahlen. Solche Berufe sind oft verbunden mit harter körperlicher Arbeit. Da sind dann zu einem früheren Zeitpunkt zum Beispiel 45 Rentenjahre zusammengearbeitet worden. Es gibt andere Berufe, da fängt man später an, und da kann man durchaus auch länger arbeiten. Insofern, das starre Renteneintrittsalter von 67 halte ich für falsch, die Lebensarbeitszeit ist der richtige Berechnungsfaktor".

Ein großes Problem sieht Frau von der Leyen in der mangelnden Anerkennung der Erziehungsleistung. Diese Leistung müsse künftig stärker berücksichtigt werden. Das zeige sich besonders in ihrer eigenen Generation, der jetzt 35 bis 55 Jährigen. "In unserer Generation gibt es einen Teil, der auf Kinder verzichtet und stark privat konsumiert, und es gibt einen Teil, der Kinder erzieht und damit auch viel Geld investiert in diese Kindererziehung. Wenn eines Tages das Rentenalter eintritt, dann kann es nicht mehr so sein, daß diejenigen, die viel privat konsumiert haben, ohne Kinder zu erziehen, dann sagen, jetzt sollen die Kinder der anderen aber für meine Rente voll aufkommen und arbeiten. Hier müssen wir Leistungsgerechtigkeit herstellen". Die Union werde als "zentralen Faktor einer Rentenreform die Frage der Honorierung der Erziehungsleistung stellen".

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt darauf hingewiesen, zuletzt im Pflegeurteil vom April 2001, daß Kindererziehung und Beitragsleistung gleich zu behandeln seien. Eltern leisten einen generativen Beitrag zur Bestandserhaltung des Systems, was, so die Forderung der Richter, auch finanziell einen Niederschlag finden sollte. Frau von der Leyen hält in diesem Sinn die Rürup-Vorschläge nicht für konform mit dem Geist der Karlsruher Urteile. Es sei offenkundig unterschätzt worden, daß "die Erziehungsleistung einen hohen Beitrag zum Bestand unserer Gesellschaft erbringt. Das ist genuine Investition in das Humankapital". Allein die Innovationskraft einer Gesellschaft, die unsere "Wirtschaft am Laufen hält und unsere Zukunft im Wohlstand bestimmt, diese Innovationskraft kann nur durch Kinder vorangetragen werden. Wir müssen wieder viel stärker in den Vordergrund stellen: Ja, es gehört zum Leben, Kinder zu erziehen und damit einen Beitrag zum Fortbestand unserer Gesellschaft zu leisten".

Etwa 80 Prozent der Deutschen sind dafür, daß Kinderlose stärker herangezogen werden zur Finanzierung der Rente. Andere wollen lieber die Eltern entlasten, sie sollen Freibeträge bei den Rentenbeiträgen bekommen. Frau von der Leyen ist in dieser Frage noch unschlüssig. Sie lasse gerade in ihrem Hause die verschiedenen mathematischen Modelle durchrechnen. Auf jeden Fall sollte man ein System erarbeiten, das die Erziehungsleistung stärker berücksichtige. Denn das sei heute das "Schlüsselproblem bei der Rente, daß wir uns im Laufe der letzten zwanzig, dreißig Jahre darauf verlassen haben, daß anonym irgendwer unsere Rente schon erarbeiten wird, und vergessen haben, daß wir dazu den Beitrag Kinder auch erbringen müssen. Wir brauchen leistungsfähige, verantwortungsbewußte, starke und glückliche Kinder, sonst sind die Rentenansprüche später nicht zu erfüllen. Dieses Wissen ist verloren gegangen in unserer Gesellschaft. Das müssen wir wieder wecken. Diese Komponente, die Kinder, ist die zentrale Frage - und die ist im Rürup-Bericht offensichtlich zu wenig beachtet worden."

Eine vorbildliche Familienpolitikerin:
Wenn die neue niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen die möglichen Folgen der rot-grünen Reform-projekte - soweit sie überhaupt schon bekannt sind - kritisch hinterfragt, weiß sie genau, wovon sie spricht: Sie ist selbst Mutter von sieben Kindern und praktiziert auf beeindruckende Weise die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Unser Bild zeigt sie mit ihrem Ehemann Heiko von der Leyen und den sieben Kindern im Garten ihres Hauses in der Nähe von Hannover. Näheres über ihre politischen Zielvorstellungen erfahren Sie in dem Beitrag "Klartext statt Konsens" auf dieser und der folgenden Seite.
 
     
     
 
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