A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Trittins Atompolitik gefährdet Energieversorgung

 
     
 
Noch nie wurde ein deutscher Nachkriegsminister in Paris so kühl empfangen wie der grüne Umweltminister Jürgen Trittin in der vergangenen Woche. Und das hatte seinen Grund: Er kam, um den Ausstieg Deutschlands aus dem Atomstrom zu verkünden. Ohne Wenn und Aber.

Der rotgrüne Bonner Sonderweg in der europäischen Energiepolitik ist keine Angelegenheit, die nur die Deutschen etwas angeht. Er berührt auch die Interessen der Franzosen und Briten – und nicht zu knapp: Im französischen La Hague und im britischen Sellafield werden nämlich die abgebrannten Kernbrennstoffe der deutschen Atomkraftwerke wiederaufbereitet – auf kommerzielle
r Basis. Das bedeutet dort Sicherung von einigen tausend Arbeitsplätzen und saftige Einnahmen.

Die Verträge laufen bis 2010. Und damit soll jetzt kurzerhand Schluß sein. Daß Frankreichs Umweltministerin Dominique Voynet keine Begeisterung zeigte, sollte Trittin kaum gewundert haben, ruft doch Voynets sozialistischer Premier Jospin am lautesten nach einer europäischen Gemeinschaftsinitiative zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Sollte die Wiederaufbereitung deutscher Brennstäbe zum 1. Januar 2000 ihr Ende finden, muß der französische Nuklearkonzern Cogema mit Verlusten in Höhe von 9 bis 10 Milliarden Mark rechnen. Der britischen Gesellschaft BNFL stünden Verluste von rund 3,3 Milliarden Mark ins Haus. Von Entschädigungszahlungen will Trittin aber nichts wissen, und auch der Bundeskanzler erklärt, daß er dafür kein Geld habe. Außerdem hätten Cogema und BNFL gar keine rechtlichen Ansprüche auf Entschädigung.

Trittin weist selbstsicher auf einen Passus in den privatrechtlichen Verträgen zwischen den deutschen Kraftwerksbetreibern und den Wiederaufbereitern hin, in dem die Kündigungsmöglichkeit im Falle "höherer Gewalt" festgeschrieben sei. Darunter werden gemeinhin Naturkatastrophen verstanden. Trittin jedoch ernennt quasi die Bundesregierung zur "höheren Gewalt", weil sie den Ausstieg beschlossen hat. Das läßt Wirtschaftsminister Werner Müller zusammenzucken. Der warnt denn auch davor, daß die Geschädigten auf den Urheber der "höheren Gewalt" zurückgreifen könnten – also auf die Bundesregierung und damit letzten Endes auf den Steuerzahler.

Außerdem werden die privatrechtlichen Verträge auch noch durch Regierungsabkommen überlagert. In diesen verpflichten sich die Regierungen, dafür zu sorgen, daß der Transport der aufzubereitenden Brennelemente nicht behindert wird. Keine guten Karten für Bonn.

Die von Trittin leichtfertig abgetanen Verträge gehen auf die 80er Jahre zurück. Damals sah es die Bundesregierung als sinnvoll an, wegen der andauernden Antiatomkampagnen die Wiederaufbereitung ins Ausland zu verlagern. Hier sei angemerkt, daß 1972 mit der Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Stade die kommerzielle Nutzung der Atomenergie in Deutschland begann. Die meisten westdeutschen Kernkraftwerke gingen zur Kanzlerzeit Schmidts ans Netz oder wurden in dieser Zeit konzipiert und gebaut.

La Hague könnte beim deutschen Ausstieg in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht werden, weil die weitaus meisten Aufträge aus Deutschland kommen. Einziges Zugeständnis Trittins: "Statt der Wiederaufbereitung könnten sich die Franzosen mit der Verpackung beschäftigen. Die Anlagen hätten also weiterhin zu tun." Und: Der deutsche Atommüll könne dann nach Deutschland zurückgeholt werden. Im Klartext: 30 bis 40 Castor-Transporte quer durch Frankreich und Deutschland zu einem Endlager, das es noch nicht gibt. Man kann sich unschwer den Jubel der grünen Basis vorstellen, wenn die Castoren heimwärts fahren.

Die SPD-Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, Glogowski und Clement, haben schon bedeutet, daß sie sich gegen Transporte zu den Zwischenlagern Ahaus und Gorleben querlegen wollen. Sollte der deutsche Atommüll bei den Kraftwerken zwischengelagert werden, müßte für die Lagerstätten mit einer Bauzeit von mindestens fünf Jahren gerechnet werden. Auch daran dürfte die SPD-Umweltministerin von Rheinland-Pfalz, Klaudia Martini, gedacht haben, als sie davon sprach, daß ein Atomausstieg erst in zwanzig oder dreißig Jahren möglich sei. Ein kurzfristiger Verzicht würde die deutsche Wirtschaft vor unlösbare Probleme stellen, denn es gilt rund ein Drittel der Energie zu ersetzen. Einzige Möglichkeit: Fehlende Energie im Ausland zu kaufen – in Frankreich. Atomstrom, versteht sich.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Blubb aus dem Sumpf

Gedanken für Intellektuelle

Großes Angebot

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv