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Ausstieg in den Abstieg

 
     
 
Einen Tag nach der Entscheidung der Bundesregierung, bis 2020 aus der Kernenergie auszusteigen, gab die britische Königliche Kommisssion für Umweltschutz bekannt, bis 2050 die Kernenergie im Vereinigten Königreich zu verzwanzigfachen, d. h.: in den nächsten fünfzig Jahren 40 bis 50 Kernkraftwerke zu bauen. In Europa arbeiten 148 Kernkraftwerke, davon 58 in Frankreich. In Deutschland sind es zur Zeit 19. Zehn europäische Länder beziehen mindestens 35 Prozent ihres elektrischen Stroms aus Kernkraftwerken, Frankreich liegt mit 76 Prozent erst an zweiter Stelle hinter Litauen.

In USA und Kanada, wo 128 Kernkraftwerke Strom liefern, denkt man nicht an Ausstieg. Hier wurde bereits für fünf 40jährige Kernkraftwerke die Betriebsgenehmigung auf 60 Jahre verlängert. Für die Regierung des amerikanischen Präsidenten Bush gehört die Kernenergie zu den Säulen der Energieversorgung. Für Bush und den Vizepräsidenten Cheney hätte der Neubau von Kernkraftwerken den Nebeneffekt, daß auf diesem Wege Energieerzeugung ohne die Emission von Kohlendioxyd möglich ist – ein hilfreicher Punkt in der Diskussion um das Kyoto-Protokoll.

Eine Untersuchungskommission unter der Leitung von Cheney wird Mitte Mai Vorschläge zur zukünftigen Energiepolitik
der USA unterbreiten. Aus seinen Ankündigungen läßt sich entnehmen, daß es der Regierung dabei weniger um Energiesparen, als um den Bau neuer, fossil befeuerter Kraftwerke, aber auch von Kernkraftwerken gehen wird. Diesem Trend werden sich die deutsche Regierung und Industrie, trotz des Ausstiegskonsenses, nicht verschließen können.

Im Mai 2000 beschloß die russische Regierung, innerhalb der nächsten 20 Jahre die Elektrizitätserzeugung aus Kernenergie von 14 auf 33 Prozent zu steigern. Rußland will in den nächsten Jahren alle im Land existierenden Kernkraftwerke (33) erneuern und zusätzlich 30 modernste Kernkraftwerke bauen. Bezahlt werden soll dies Programm nach Worten des Nuklearministers mit dem Erlös russischer Nuklearstromexporte, beispielsweise nach Deutschland.

Noch überzeugender ist es in Südostasien. 84 Kernkraftwerke arbeiten hier bereits, davon 53 in Japan und 16 in Südkorea. Für unser deutsch-rot-grünes Verständnis überraschend: 18 Kernkraftwerke sind in Südostasien zur Zeit im Bau, das sind genauso viele, wie die gesamte übrige Welt zur Zeit baut. Sechs werden in Indien errichtet. China hat den Bau weiterer 14 und Südkorea weiterer zehn angekündigt.

Wie sieht es in Deutschland aus? Die SPD, bis in die 60er Jahre eifrigster Befürworter der Kernenergie in Deutschland, hat sich aus Gründen, die für einen rational denkenden Bürger nicht nachvollziehbar sind, zum Gegner entwickelt. Noch unverständlicher ist, daß sich jetzt auch die "deutsche Elite" endgültig auf diese Seite geschlagen hat. Unsere Industriemanager haben dem Ausstiegskonsens zugestimmt, obwohl sie ihn für unsinnig halten. Angeblich beugen sie sich der "politischen Mehrheit". Umfragen zeigen aber, daß mehr als 70 Prozent des Volkes die Kernenergie unterstützen, obwohl die Industrie es nie ernsthaft unternommen hat, dem Volk die gewaltigen Vorteile der Kernenergie nahezubringen. Dazu gehört natürlich auch die Aufklärung der Risiken.

Um so erfolgreicher waren und sind die Medien und Meinungsträger der ehemaligen Linken, die diese Energiequelle aus gesellschaftspolitischen Gründen dem Bürger ausreden wollen und daraus eine nukleare Hölle gemacht haben. Die Diskussion über das Für und Wider der Kernenergie wird völlig irrational ausgetragen. Auf der einen Seite wird immer wieder betont, die deutschen Sicherheitsstandards sind die besten weltweit, und trotzdem – oder gerade deswegen? – werden gerade unsere Kernkraftwerke abgeschaltet. Mit Ausnahme des fatalen Unfalls von Tschernobyl arbeiten Kernkraftwerke nunmehr insgesamt etwa 8000 Betriebsjahre ohne nennenswerte radioaktive Emission. Man kann nicht die von sowjetischen Behörden genehmigte illegale Abschaltung aller Sicherheitsvorkehrungen in Tschernobyl als typischen Kernunfall bezeichnen.

Man sollte eines nicht vergessen: Energiefragen sind Machtfragen. Was für den Einzelnen der Brotkorb, ist für die Nation die Energieversorgung. Eine inhärent sichere Nukleartechnik, der Hochtemperaturreaktor (HTR) in Hamm, der bis zur Serienreife entwickelt wurde und störungsfrei arbeitete, wurde aus ideologischen Gründen nicht nur eingemottet, sondern kurzerhand abgerissen. Daran war unser derzeitiger Bundespräsident maßgeblich beteiligt. Es muß festgehalten werden, daß unsere heimische Kohle zum Verbrennen viel zu schade ist. Sie läßt sich aber mit der HTR-Technologie umweltfreundlich veredeln.

Altbundeskanzler Schmidt (SPD) hat geschrieben: "Die Forderung, den Atomstrom abzuschalten, um mit Kohle mehr CO2 zu produzieren, ist an Widersprüchlichkeit nicht zu übertreffen".

Die Energielücke, die durch das Abschalten der Kernenergie entsteht, soll nach Meinung der Regierungspolitiker bevorzugt durch Sonnen- und Windenergie ersetzt werden. Eine neutrale Bewertung führt zu dem Schluß, daß die Beiträge von Sonne und Wind im Energiemix als Ersatz für die ausgefallene Kernenergie aus geographischen (Anzahl der Sonnenstunden etwa 1000 pro Jahr) und physikalischen Gründen (200 Watt pro Quadratmeter) nicht nur Spekulation, sondern heiße Luft sind. Verzichten wir auf die 33 Prozent Kernstromanteil, so müssen wir den Strom entweder aus dem Ausland teuer zukaufen oder auf einen Teil unseres Lebensstandards verzichten.

Wer das Rad der Geschichte bei der Energieerzeugung zurückdrehen will, muß sich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß dies entsprechende soziale und sogar biologische Konsequenzen hat. Die negativen Folgen für Löhne, Arbeitsplätze, Bildungs- und Entwicklungs- chancen, Renten, Gesundheit bis zu einer sinkenden Lebenserwartung können wir uns heute noch nicht vorstellen.

Unsere Nachbarn unterstützen uns bei diesem Schildbürgerstreich. Sie wissen warum. Auch wenn unsere Regierung es herunterspielt, forscht man in den USA und anderen Ländern mit Nachdruck an Kernkraftwerken neuen Typs. So hat der US-Senat der Industrie Gelder bewilligt, um zusammen mit russischen Wissenschaftlern einen Hochtemperaturreaktor mit kugelförmigen Brennelementen zu entwickeln. Gleichzeitig untersucht man dort, in Südafrika und in China, die Möglichkeiten und Vorteile des Kugelhaufenreaktors auszunutzen. Japan untersucht ernsthaft, den Hochtemperaturreaktor zur Umwandlung von CO2 und Wasser zu Methan einzusetzen. Wenn man Analysten glauben kann, so beginnt sich auch die Wall Street wieder für Kernkraftwerke zu interessieren. Der Brennstoff Uran ist billig und die Energienachfrage wächst.

Asien und Afrika wollen nicht nur Kraftwerke einführen, sie entwickeln auch ihre eigenen Reaktortypen. China betreibt mit Rußland in einem Joint Venture die Entwicklung eines Schnellen Brüters. Führende Wissenschaftler und Politiker in Rußland und China verstehen es nicht, daß in Deutschland der Brutreaktor in Kalkar demontiert wurde. Der zeitliche Vorsprung bei der Entwicklung und Einführung einer neuen Großtechnologie wurde hier leichtfertig vertan.

Wie ist die Zukunft zu sehen? Für die Manager löst sich das Problem, wenn sich einmal getätigte Investitionen ihrer Aktienbesitzer auszahlen und ihre eigenen Gehälter gesichert bleiben. Spätere Generationen sollen zusehen, mit welcher Energie sie ihre Güter herstellen. Es ist eine Illusion, als Stromhändler und –verteiler billig Energie im Ausland einzukaufen und teuer im Inland zu verkaufen und die eigene Produktion verkümmern zu lassen.

Länder wie die Ukraine, die heute noch einen Energieüberschuß haben, werden sich fragen, ob sie nicht ihre Industrieproduktionen in Ordnung bringen, was sehr schnell geschehen kann, so daß wir dann außen vor stehen. Spätestens dann wird hier in Deutschland das Ausmaß der Katastrophe sichtbar, wie leichtfertig wir das Kernstück einer zukunftsorientierten Volkswirtschaft einer verbohrten Ideologie geopfert haben.

Wind-, Sonnenenergie, Biomasse und andere alternative Energien werden in zehn bis zwanzig Jahren vielleicht 3 bis 30 Prozent des Energiebedarfs decken. Ob dieser Anteil wegen der rapide steigenden Weltbevölkerung erreicht werden kann, ist ungewiß. Die Hauptlast der Energieversorgung muß dann weiter von fossilen Brennstoffen getragen werden. In den VDI-Nachrichten hieß es im Oktober 1998: "Die nachhaltige Energieversorgung in Deutschland und weltweit kann nur erreicht werden durch die Nutzung aller zur Verfügung stehenden Optionen. Dazu gehört, da ressourcenschonend und treibhausgasfrei, die Kernenergie. Die Sicherheitstechnik hat in keinem anderen Land einen vergleichbar hohen Standard. Deutsche Kernkraftwerke erzielen weltweit die besten Betriebsergebnisse. Die Frage der Entsorgung ist technisch gelöst und kann sofort umgesetzt werden, wenn politische Barrieren gefallen sind".

Zwei Methoden stehen im Prinzip zur Verfügung. Die eine ist die "Endlagerung" und natürliche Zerstrahlung der Spaltisotope. Die zweite ist die physikalische Lösung der Kernzertrümmerung langlebiger Isotope in kurzlebige. In Deutschland wird die Endlagerung in tiefen geologischen Salzformationen verfolgt. Seit 30 Jahren wird intensiv über die Eignung des Mediums Salz als Aufbewahrungsmaterial geforscht.

Eine andere interessante Möglichkeit bietet der Transmutationsreaktor. Es handelt sich um einen unkritisch arbeitenden Reaktor. Die Spaltneutronen werden über eine externe Neutronenquelle zugeführt. Da die Spaltreaktionen von schnellen Neutronen ausgelöst werden, können auch die schwierig spaltbaren schweren Kerne so zertrümmert werden, daß die zurückbleibenden Spaltprodukte eine relativ kurze Halbwertszeit haben. Wollte man ernsthaft das Endlagerproblem für langlebige Isotopen lösen, so bietet sich hier eine Alternative. Auf diese Weise könnte der rot-grüne Ausstiegsvorwand gegenstandslos werden. Es müßte aber in Forschung und Planung investiert werden, um diese Methode zur Einsatzreife zu bringen.

Selbst im Wirtschaftsministerium scheint die Einsicht aufzukommen, daß Wind und Sonne allein die Atomkraft in Deutschland nicht ersetzen können. Wirtschaftsminister Müller hat das Unsagbare gesagt: "Niemand kann behaupten, daß der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie für immer ist".

Da Deutschland rund zwei Drittel seiner Primärenergie importiert, muß die deutsche Energiepolitik einer sicheren Versorgung hohe Priorität einräumen. Das Sparen von Energie hat seine Grenzen. Der Weltenergieverbrauch hat sich in den letzten drei Jahrzehnten nahezu verdoppelt, Tendenz: weiter steigend.

So wird nach einer Studie des Weltenergierates (WEC) der Verbrauch von heute 14,3 Milliarden Tonnen auf 19,5 Milliarden Tonnen Steinkohleeinheiten im Jahre 2020 steigen. Zur Zeit haben rund zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu elektrischem Strom. Sie streben ohne Wenn und Aber den Besitz der Atomenergietechnik an.

 
     
     
 
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