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Unlauterer Wettbewerb: Ostseefähren ausgebootet

 
     
 
Als vor Jahresfrist die Europäische Union sich anschickte, um zehn neue Mitgliedsstaaten größer zu werden, war in Wirtschaftskreisen die Euphorie groß: Der Handel werde immens wachsen, folglich würden auch die Frachtraten auf den traditionellen Handelswegen deutlich zunehmen. Zumindest glaubte man dies bei den Reederei
en, die mit dem Personen- und Frachtverkehr über die Ostsee - das Mare Baltikum - ihr Geld verdienen; sie freuten sich auf ein erweiterungsbedingtes Umsatz- und Gewinn-Plus.

Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt. Zwar hat tatsächlich der Warenverkehr zwischen neuen und alten EU-Staaten zugenommen. Zugleich aber haben sich auch die Transportwege verlagert - vom umweltfreundlicheren See- auf den Landweg.

Eine erste Bilanz zog jetzt die deutsch-dänische Reederei Scandlines. Für die Nummer 1 im Ostsee-Fährverkehr war 2004 zwar insgesamt ein erfolgreiches Jahr. Über 20 Millionen Passagiere wurden befördert (+ 1,8 Prozent), ferner über 4,2 Millionen Pkw (+ 6,4) sowie nahezu eine Million Lkw (+ 7,5). Vor allem der Linienverkehr zwischen Skandinavien und Deutschland entwickelte sich ausgesprochen positiv; die Strecke von Sassnitz (Rügen) nach Rønne (Bornholm / Dänemark) glänzte bei den Lkw-Transporten mit einer Steigerungsrate von 26,5 Prozent.

Hingegen entwickelten sich die Verbindungen ins Baltikum zum "Sorgenkind". Zwischen Sassnitz und Memel brach die Lkw-Beförderungszahl um 40 Prozent ein (von 8.825 auf 5.286); bei den Passagierzahlen überstieg das Minus sogar die 50-Prozent-Marke.

Die am stärksten frequentierte Linie Kiel - Memel beförderte 3,8 Prozent weniger Lkw (56.192) und 3,1 Prozent weniger Passagiere (50.903), Zwischen Rostock und dem lettischen Liepaja (Libau) sanken die Beförderungszahlen um 20,2 beziehungsweise 25,1 Prozent. Daß Scandlines im Verkehr mit den baltischen Häfen insgesamt doch noch eine positive Bilanz ziehen kann (+ 1 Prozent bei den Lkw, + 7,9 bei den Passagieren), liegt ausschließlich an den deutlichen Zuwachsraten zwischen Schweden und Lettland sowie zwischen Dänemark und Litauen.

Der unerwartet negative Trend im deutsch-baltischen Fährverkehr setzte schlagartig im Mai 2004 ein, also mit dem EU-Beitritt Polens und der baltischen Republiken. Zu Recht sieht die Reederei (wie auch ihre Mitbewerber) sich hier als Opfer gigantischer Wettbewerbsverzerrungen. Weder in Weißrußland noch in den neuen EU-Ländern werden die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten für Lkw-Fahrer kontrolliert. Offenbar gibt es osteuropäische Fahrer, die quasi nonstop bis weit über die deutsche Grenze fahren und so ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen. Die Speditionen haben damit aber einen erheblichen Vorteil bei den Personalkosten.

Hinzu kommt die massenhafte Einfuhr von unversteuertem und unverzolltem Dieselkraftstoff in die EU-Staaten; manche Lkw fahren von der weißrussisch-polnischen Grenze bis weit nach Deutschland und wieder zurück, ohne hier auch nur einen Tropfen nachzutanken. Diese illegalen, durch korruptes Personal auf beiden Seiten der EU-Außengrenzen geförderten Wettbewerbsverzerrungen führen dazu, daß der Landweg im Vergleich zum Seeweg konkurrenzlos billig ist.

Eine Folge dieser Entwicklung ist die dramatische Verschlechterung der Verkehrsverhältnisse auf den Ost-West-Verbindungen durch Polen. Warschau ist daran freilich nicht ganz unschuldig: Jahrelang wurden überfällige Straßenbauprojekte "ausgesessen", nach dem Motto: Soll doch die EU uns nach dem Beitritt schöne neue Autobahnen bauen!

Versuche, bei der Abwehr dieser Wettbewerbsverzerrungen Unterstützung auf nationaler Ebene zu finden, blieben erfolglos: Der laut Geschäftsordnungsplan der Bun- desregierung für den Schutz der Umwelt zuständige Jürgen Trittin zeigte sich von den ökologischen Vorteilen des Gütertransports über See völlig unbeeindruckt, und der Außenminister ist ohnehin derzeit mit anderen Dingen beschäftigt.

Nun versuchen Scandlines und andere Ostsee-Reedereien in Brüssel ihr Glück. Dort wollen sie erreichen, daß die strengen Kontrollen, die auf deutschen Fernstraßen inzwischen Normalität sind, in der ganzen EU verbindlich werden. Und dabei geht es nicht nur um Umweltschutz und Sicherheit im Straßenverkehr, sondern auch um Arbeitsplätze.

 Aus dem Gleichgewicht: Nicht trotz, sondern wegen der EU-Osterweiterung wird weniger mit der Fähre ins Baltikum gefahren.
 
     
     
 
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