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VW investiert

 
     
 
Deutsche Autokonzerne sind an mehreren ökonomischen Brennpunkten in Schlesien zu Hoffnungsträgern für unumgängliche Strukturreformen geworden: Opel in der oberschlesischen Industriestadt Gleiwitz und Volkswagen im niederschlesischen Waldenburg sowie in der Region um Liegnitz.

Das oberschlesische Industriegebiet lebt bis heute hauptsächlich von der Kohleförderung. Doch die Blütezeiten für die Bergleute sind auch hier längst vorbei, und viele der unwirtschaftlichen Zechen stehen vor dem Aus. Der eigentliche radikale Umbau, wie ihn das Ruhrgebiet bereits in den 70er und 80er Jahre
n durchmachen mußte, hat allerdings gerade erst begonnen. Noch schützen protektionistische Maßnahmen vor der erheblich billigeren Steinkohle aus der Ukraine oder aus der Russischen Föderation und sorgen dafür, daß das Schreckgespenst der Massenarbeitslosigkeit verdrängt werden kann (Fachleute sprechen davon, daß im polnischen Bergbau mindestens 100 000 Stellen abgebaut werden müßten).

Die Kumpel verfügen als eine wichtige Wählerklientel der amtierenden Mitte-Rechts-Regierung in Warschau über eine starke Lobby. Dennoch wissen eigentlich alle, daß so schnell wie möglich gehandelt werden muß, sprich: moderne Industriebetriebe als Investoren gefunden werden.

So ist man in Gleiwitz natürlich besonders froh über das Ende Oktober eröffnete Opel-Werk, das die gleichen Produktionsanlagen wie die Autofabrik im thüringischen Eisenach hat, die als die modernste Europas gilt. Im kommenden Jahr sollen in der oberschlesischen Industriestadt 70 000 Fahrzeuge der Marke "Astra" für den polnischen und den osteuropäischen Markt hergestellt werden und dann im Jahr 2000 ca. 150 000 Autos.

Die Opel-Polska SA ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der deutschen Adam Opel AG, die wiederum zum US-Konzerngiganten General Motors gehört. Derzeit kommt Opel in der Republik Polen nach Angaben der Zeitschrift "Schlesien heute" auf einen Marktanteil von acht Prozent und liegt damit klar hinter den Marktführern Fiat und Daewoo mit jeweils knapp 30 Prozent.

Der Rüsselsheimer Autoriese will seine Quote in absehbarer Zeit verdoppeln, allerdings planen auch die Konkurrenten angesichts des florierenden Geschäfts (in der ersten Jahreshälfte 1998 wurden in der Republik Polen 284 000 Pkw gekauft, was gegenüber der gleichen Zeit des Vorjahres einen Anstieg um 8,5 Prozent bedeutet) vor Ort Investitionen in Höhe von mehreren hundert Millionen US-Dollars. So will beispielsweise der japanische "Isuzu"-Konzern Mitte 1999 mit knapp 400 Millionen DM eine Fabrik für Dieselmotoren in Tichau im Gebiet der Sonderwirtschaftszone Kattowitz errichten.

Opel wendete bislang in Gleiwitz ungefähr eine Milliarde Mark auf, wobei allerdings nicht nur in Ökonomie, sondern auch in Kultur investiert worden ist: So erwarb man das unweit von Gleiwitz gelegene mächtige Schloß von Bitschin, um es zu restaurieren. Das Autowerk beschäftigt heute 2000 Arbeitskräfte, von denen ein Fünftel ehemalige Bergleute sind. Tausend weitere, möglichst auch deutschsprachige Arbeitskräfte sollen in nächster Zeit eingestellt werden.

Die Zeitung "Gazeta Wyborcza" schrieb angesichts der Großinvestitionen diverser Autokonzerne bereits 1997 davon, daß sich Oberschlesien von der größten Kohlegrube zur "Autogrube" Polens wandele.

Während in Gleiwitz fertige Autos vom Band laufen, handelt es sich bei den erst kürzlich begonnenen VW-Bauarbeiten im Waldenburger Stadtteil Sorgau sowie in der 1997 eingerichteten Sonderwirtschaftszone in Liegnitz um Zulieferwerke. In der 140 000-Einwohner-Stadt Waldenburg sollen schließlich rund 700 Arbeitsplätze entstehen, was in dieser schon jetzt von einem starken Stellenabbau betroffenen traditionellen Bergbauregion (Kohle wird hier bereits seit dem 16. Jahrhundert gefördert) von außerdordentlicher Bedeutung ist.

Allein zwischen 1993 und 1995 wurden von den 7300 in der kommunistischen Zeit privilegierten Beschäftigten im Waldenburger Kohlerevier knapp 5800 entlassen. Von den etwa 85 000 Erwerbsfähigen ist derzeit jeder Zehnte arbeitslos. Außer auf die Förderung des Tourismus in dieser landschaftlich sehr reizvollen Region setzt man auch auf die im Rahmen der örtlichen "Sonderwirtschaftszone" für potentielle Investoren in Aussicht gestellten diversen Steuervorteile.

Nachdem am 13. Mai dieses Jahres Volkswagen Motor Polska als hundertprozentige Tochtergesellschaft von VW ins Liegnitzer Handelsregister eingetragen worden war, konnte am 29. Juli der Kaufvertrag für das Baugrundstück des in der Gemeinde Polkwitz geplanten Motorenwerkes unterschrieben werden. Die Produktion von Dieselaggregaten nach dem neuen Pumpe-Düse-Prinzip soll dort mit mehreren hundert Mitarbeitern ab Mitte 1999 anlaufen.

Bei Polkwitz handelt es sich um ein zwischen Glogau und Lüben gelegenes Städtchen mit 20 000 Einwohnern, das ökonomisch bis heute weitgehend durch die örtliche Kupferhütte geprägt wird, obwohl die Erzlager in 20 bis 30 Jahren ausgebeutet sein werden.

Ebenso wie das oberschlesische Industrierevier ist auch das niederschlesische Kupferabbaugebiet um Liegnitz und Lüben von einer sehr starken Luftverschmutzung betroffen, und die Böden sind hochgradig mit Schwermetallen verunreinigt. – Mit dieser katastrophalen Erblast wird man es in der Region auch dann noch zu tun haben, wenn die zur Zeit heiß diskutierten Strukturreformen schon längst Geschichte sind.

 

 
     
     
 
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