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Visuelles Gedächtnis einer Nation

 
     
 
Fuury!" Eine helle Knabenstimme dringt durch fast alle Wände der kleinen Wohnung. "Fuury!" Das langgezogene U unterstreicht die Dringlichkeit, mit der das Anliegen des kleinen dunkelhaarigen Jungen behandelt werden muß. Fury, der stolze Rappe, eilt auch schon herbei, um seinen Herrn aus einer gefährlichen Lage zu retten. Die heile Welt in deutschen Wohnzimmern ist wieder hergestellt. - An anderen Tagen ist es dann ein blonder Junge, der sich immer wieder ungewollt in Gefahr begibt. Wer kann helfen? Na klar, Lassie. Die legendär gewordene Colliehündin, die im Laufe der Jahre von verschiedenen Rüden verkörpert wurde, eroberte damals wie das Pferd Fury nicht nur die Kinderherzen. Die vierbeinigen Stars amerikanischer Fernsehserien gehörten einfach zum bundesdeutschen Alltag der 1960er Jahre
. Diese Beobachtungen gelten übrigens nicht nur für ausländische Produktionen, auch deutsche Helden wie Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer aus der "Augsburger Puppenkiste" waren damals gern gesehene Gäste in deutschen Wohnzimmern. Wie überhaupt das Fernsehen bald das Leben bestimmte.

Noch heute gehört es zum guten Ton, in der Zeit zwischen 20 Uhr und 20.15 Uhr nicht zum Telefon zu greifen, schließlich könnte man den Menschen am anderen Ende der Leitung bei der "Tagesschau" stören. Die Lage hat sich allerdings ein wenig entkrampft, seit auf fast allen Kanälen immer wieder Nachrichtensendungen ausgestrahlt werden. Auch bei den täglichen Seifenopern im Vorabendprogramm ist Vorsicht geboten. Man schaut am besten in einer Programmzeitschrift nach den gängigen Sendungen, bevor man zum Hörer greift.

Was haben die Menschen eigentlich gemacht, als es noch keine "Flimmerkiste" in jedem Haushalt gab? Gelesen, miteinander geredet, gebastelt, gesungen ... Als am 12. Juli 1950 der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) das erste Testbild aus dem ehemaligen Bunker auf dem Hamburger Heiligengeistfeld ausgestrahlt wurde, ahnte man kaum, welche Ausmaße das Fernsehen schließlich annehmen würde. Doch: "Das gesellschaftliche Leben verkümmert in Fernseh-Haushalten", orakelte der ehemalige Reichspostminister Wilhelm Ohnesorge schon 1952. Bis hinein in den alltäglichen Sprachgebrauch drangen schließlich Sätze aus beliebten Sendungen. So schmunzelte man über die Frage Robert Lembkes in der Rateshow "Was bin ich?": "Welches Schweinderl hätten Sie denn gerne?" auch dann noch, als die Sendung längst abgesetzt war. Und der Ausruf aus dem legendären "Goldenen Schuß": "Der Kandidat hat 100 Punkte!" wird noch heute von der "Generation 50 plus" gern zitiert, ganz zu schweigen von Hans Ro-senthals "Das war Spitze". Viele dieser Sprüche bestimmen den Wortschatz einer ganzen Altersgruppe.

"Wie kein anderes Medium beeinflußt das Fernsehen unsere Gesellschaft und unser Leben, es ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur geworden: Seismograph der Befindlichkeiten unserer Zeit, Ärgernis und Spender von Glückseligkeit zugleich, visuelles Gedächtnis einer Nation", stellen Peter-Paul Kubitz, Programmdirektor Fernsehen der Deutschen Kinemathek in Berlin, und PR-Beraterin Sabine Sasse in einem Beitrag für das Berliner "Museums Journal" fest. "Doch so flüchtig das Medium ist, so schnell verschwand es in den für die Öffentlichkeit nur schwer zugänglichen Archiven der Sender und Rundfunkanstalten. Anfänglich wurde sogar vieles gelöscht, entweder aus Platz- oder Materialmangel oder schlicht aus fehlender Sensibilität für die künftige Bedeutung des gesendeten Materials."

Die Stiftung Deutsche Kinemathek konnte nun in Berlin mit europäischen Fördermitteln und Lottogeldern in gleicher Höhe zwei Etagen des Filmhauses im Sony Center am Potsdamer Platz zu einem Deutschen Fernsehmuseum ausbauen. Es wird als Abteilung der Stiftung Deutsche Kinemathek betrieben und ist der Programmgeschichte des deutschen Fernsehens gewidmet. Sonderausstellungen der Stiftung ("Die Kommissarinnen", "Fernsehen macht glücklich") hatten das große Besucherinteresse an Themen der deutschen Fernsehgeschichte belegt.

Mit diesem in der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Fernsehmuseum wird das Museumsangebot Berlins weiter abgerundet. Zugleich komplettiert das Fernsehmuseum das Filmhaus am Potsdamer Platz zu einem Haus der bewegten Bilder, sind dort doch bereits das Filmmuseum, die Freunde der Deutschen Kinemathek, das Kino Arsenal und die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin untergebracht.

Den historischen und kulturellen Wert des audiovisuellen Erbes im öffentlichen Bewußtsein zu verankern sei eine der Aufgaben des Fernsehmuseums, das am 31. Mai seine Pforten öffnet, so Kubitz und Sasse. In einer Art Präsenzbibliothek können dort bedeutende und repräsentative Sendungen jedes Genres wieder gesehen werden.

Von "Klassikern" wie Sendungen mit Peter Frankenfeld oder Helga Hahnemann über Berichte von der ersten Mondlandung 1969 oder dem Mauerfall 20 Jahre später bis zu Übertragungen von der Fußballweltmeisterschaft 1954 oder der Krönung der englischen Königin Elisabeth II. 1952 reicht die bunte Palette. Natürlich wird auch die Geschichte des Fernsehens in West und Ost (dort wurde das Programm am 21. Dezember 1952, Stalins 73. Geburtstag, eröffnet) erzählt. Sonderausstellungen ergänzen das "Programm" des Museums. So ist noch bis zum 30. Juli passend zur Fußballweltmeisterschaft 2006 die Schau "TOR! Fußball und Fernsehen" zu sehen, die das "Drama um Geld und Gefühle" beschreibt.

Das Fernsehmuseum, Potsdamer Straße 2, ist ab 31. Mai dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags von 10 bis 20 Uhr geöffnet.

Fernsehen als gemeinschaftliches Erlebnis: Zu Anfang saßen ganze Familien vor der "Flimmerkiste", da sich nicht jeder ein Gerät leisten konnte.
 
     
     
 
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