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Volkskundler Erhard Riemann

 
     
 
Es war am 3. April 1907, da in Kraußen, Kreis Königsberg, ein Mensch das Licht der Welt erblickte, der sein Leben der Volkskunde Ost- und Westpreußens widmen sollte: Erhard Riemann – lange Jahre auch geschätzter Mitarbeiter unserer Wochenzeitung, verstand er es doch, auf sehr anschauliche Weise komplizierte Zusammenhänge darzustellen und sein breitgefächertes Wissen auch dem Laien zu vermitteln.

Aufgewachsen ist Erhard Riemann in dem kleinen Kirchdorf Deutsch Thierau, Kreis Heiligenbeil, wo sein Vater als Lehrer und Kantor wirkte. "Immer, wenn sich nach längerer Trennung dieses malerisch
e Bild wieder meinen Augen darbot, meinte ich, daß es auf Gottes Erdboden kein schöneres Dorf geben könnte. Und auch heute noch steht mein Heimatdorf so in meiner Erinnerung", vermerkte Riemann später einmal in einer biographischen Notiz.

Königsberg dann war die zweite wichtige Station im Leben des Ostdeutschland; dort besuchte er das Kneiphöfische Gymnasium und legte 1926 das Abitur ab. Der Schüler war beeindruckt von dem geschichtsträchtigen Boden, auf dem er sich befand, lagen doch der mächtige Dom und die Alte Universität des großen Kant in nächster Nähe: "Es war ein Hauch von Geschichtlichkeit und hoher, verpflichtender geistiger Tradition, der diesen Schulhof füllte und den wir in der Pause spürten." Wenige Häuser weiter lag darüber hinaus das Geburtshaus von Agnes Miegel, jener Dichterin, die Riemann noch in Königsberg kennenlernen sollte und mit der ihn zeitlebens eine enge Beziehung verband. Lange Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er schließlich mit der Verleihung der Agnes-Miegel-Plakette des Tatenhausener Kreises ausgezeichnet.

Germanistik, Anglistik, Volkskunde und Vorgeschichte waren die Fächer, die der junge Student belegte. Erste Semester verbrachte er in Freiburg, München und Wien, bis es ihn zurück in die Heimat zog, wo er an der Königsberger Albertina unter anderem bei Professor Walther Ziesemer, dem "führenden Kopf der ostdeutschen Heimatforschung", studierte. 1910 hatte Ziesemer von der Preußischen Akademie der Wissenschaften den Auftrag erhalten, ein "Preußisches Wörterbuch" der ost- und westpreußischen Mundarten zu erstellen. Wenn auch Ziesemer und Riemann später eng zusammenarbeiteten, war es doch zunächst Privatdozent Walther Mitzka, der den jungen Ostdeutschland für die Volkskunde begeisterte. Mitzka war es auch, der ihn zum Thema seiner Doktorarbeit anregte. 1935 promovierte Riemann mit der Dissertation "Ostdeutsches Volkstum um die ermländische Nordostgrenze. Beiträge zur geographischen Volkskunde Ostdeutschlands".

Schon vor seiner Promotion hatte Riemann als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Prussia-Museum in Königsberg gewirkt. 1935 dann wurde er Assistent am "Preußischen Wörterbuch". 1937 ging er als Wissenschaftlicher Assistent zum Stadtgeschichtlichen Museum Königsberg und arbeitete dort eng mit Eduard Anderson und Dr. Fritz Gause zusammen. Im Jahr des Kriegsbeginns schließlich findet man Riemann, der sich inzwischen habilitiert hat, als Dozent für Volkskunde an der Hochschule für Lehrerbildung in Elbing.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, den Riemann als Soldat in Frankreich und Rußland erlebte, verschlug es den Ostdeutschland nach der Entlassung aus der Gefangenschaft nach Kiel. Von 1947 bis 1955 war er dann im höheren Schuldienst tätig – als Studienrat im niedersächsischen Oldenburg. 1952 schon erging an ihn der Auftrag, das "Preußische Wörterbuch" fortzuführen. Ein schwieriges Unterfangen, war doch im Krieg das gesamte, von Professor Ziesemer gesammelte Material vernichtet worden. Darüber hinaus lebten die zu befragenden Menschen nicht mehr in einem geschlossenen, lebendigen Mundartgebiet, sondern waren über die ganze Bundesrepublik Deutschland verstreut. Dennoch gelang es Erhard Riemann mit vielen treuen Mitarbeitern, diese Aufgabe erfolgreich in Angriff zu nehmen. Eine Aufgabe, die noch heute fortgeführt wird.

Als die Wörterbuchstelle 1955 nach Kiel verlegt und dem Germanistischen Seminar der Christian- Albrecht-Universität angegliedert wurde, gelangte auch Riemann wieder in die Stadt an der Förde. In Kiel erhielt er eine Dozentur für Deutsche Volkskunde und Mundartforschung; 1963 wurde er zum apl. Professor, 1964 zum Wissenschaftlichen Rat und Professor, 1970 zum Professor an einer wissenschaftlichen Hochschule ernannt. Als Riemann 1972 pensioniert wurde, stand er noch mit aller Kraft in der wissenschaftlichen Arbeit, so beim "Preußischen Wörterbuch" oder als Leiter der Kommission für ostdeutsche Volkskunde.

Immer aber fand er auch Zeit, sich in Publikationen anderen Themen zu widmen, so der Literaturwissenschaft, insbesondere der Mundartdichtung oder der Königsberger Barockdichtung. Eine Auflistung seiner Bücher, Schriften und Aufsätze umfaßt nahezu 150 Titel, ganz zu schweigen von Rezensionen in Fachblättern und Wochenzeitungen oder seiner Tätigkeit als Herausgeber volkskundlicher Schriften. – Nicht zuletzt auch dieses Engagement war es wohl, daß die Verantwortlichen dazu veranlaßte, Professor Dr. Erhard Riemann 1976 mit dem Kulturpreis der Freundeskreis Ostdeutschland für Wissenschaft auszuzeichnen. Die Überreichung des Georg-Dehio-Preises der Künstlergilde konnte Erhard Riemann nicht mehr erleben – er starb am 21. März 1984 in Kiel, wo er in seinem Haus an der Küste von Schilksee ein Domizil gefunden hatte, das ihn so sehr an seine geliebte Heimat Ostdeutschland, an die Steilküste des Samlandes erinnerte. Peter van Lohuizen
 
     
     
 
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