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Von Kollektivschuld kann keine Rede sein

 
     
 
Die Wehrmachtausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung hat eine gesellschaftliche Debatte entfacht, die fast zehn Jahre lang geführt wurde. Bedeutet der letztlich verbrecherische Charakter des Ostkrieges automatisch, daß auch die Wehrmachtan- gehörigen - fast 20 Millionen Menschen - verbrecherisch waren? Darüber wird bis heute leidenschaftlich gestritten. Jetzt ist die "Bilderschau" des Tabak-Multimillionärs Jan Philipp Reemtsma
an ihren Ausgangsort Hamburg zurückgekehrt.

Der Ertrag, den die wissenschaftliche Forschung aus der Arbeit des Instituts ziehen kann, ist denkbar gering. Doch darum dürfte es den Ausstellungsmachern auch gar nicht gegangen sein. Sie wollten offensichtlich den gesellschaftlichen Legitimationskonsens der Kriegsgeneration zerstören. Das Bild von der als Institution in ihrer Gesamtheit sauberen Wehrmacht sollte ersetzt werden durch das Bild von der allgemein verbrecherischen Wehrmacht. Die Kriegsgeneration, die noch bis vor wenigen Jahren die Führungseliten in allen gesellschaftlichen und staatlichen Bereichen gestellt hat, sollte jetzt auf diese Weise sozusagen "post mortem" demontiert werden. Ein später Erfolg der 68er also.

Und die Deutschen? Wie reagierten sie auf diese kollektive Schuldzuweisung, die keineswegs das Ergebnis seriöser Forschung und Aufarbeitung war? Folgsam und politisch korrekt ausgerichtet, nahmen sie das düstere Bild, das hier von ihren Vätern und Großvätern gezeichnet wurde, kritiklos an. Die Medien, Politiker und Kulturschaffende überschlugen sich in ihrem einhelligen Entsetzen über "die verbrecherische Wehrmacht". Diejenigen, die sich gegen Reemtsma wandten, blieben wenige und bei ihren Veranstaltungen zumeist unter sich.

Die etablierte Fachwissenschaft schwieg lange in dieser Debatte. Kein Wunder, denn eine fundierte Quellenkritik hätte schnell zu einem vernichtenden Urteil über die Ausstellung geführt. Welcher Historiker im staatlichen Wissenschaftsbetrieb aber kann es sich schon leisten, "in die rechte Ecke gestellt" zu werden, weil er gegen den Strom schwimmt? So blieb es schließlich dem polnischen Historiker Bogdan Musial und seinem ungarischen Kollegen Krisztian Ungvary überlassen, mit den Ausstellungsmachern hart ins Gericht zu gehen. Schließlich wurde die Ausstellung vom Markt genommen und eine Historikerkommission mit ihrer Überarbeitung beauftragt. Die Neuauflage folgt zwar einem geänderten Konzept, ihre Kernaussage ist jedoch geblieben. Geblieben ist auch der Diskussions- und Forschungsbedarf, denn es ist den Reemstma-Historikern wieder nicht gelungen, ihre These von der verbrecherischen Wehrmacht, die eigenständig am Völkermord mitgewirkt habe, schlüssig zu belegen.

Der Hamburger Schlußakkord der Ausstellung wird von einer Vielzahl von Vorträgen, Diskussionen, Filmvorführungen, Lesungen und anderen kulturellen Darbietungen begleitet. Die in Hamburg ansässige Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e.V. (SWG) hat mit einem eigenen Informationsabend gewissermaßen einen Gegenpol zu diesem Veranstaltungsspektrum gesetzt. Den Veranstaltern ging es um "die historische Gerechtigkeit für Millionen Soldaten der Wehrmacht". Sie wollten allen Interessierten, vor allem aber Lehrern, Eltern, Schülern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich mit ausgewiesenen Fachwissenschaftlern auszutauschen und zu einem eigenen Urteil zu kommen.

Hauptredner der Veranstaltung war der international renommierte Historiker und Jurist Alfred M. de Zayas, der für seine fundierten Forschungen zu alliierten Völkerrechtsverletzungen und insbesondere zur Vertreibung der Deutschen mit dem Kulturpreis der Freundeskreis Ostdeutschland ausgezeichnet wurde. Er konnte vor fast 250 Zuhörern referieren, unter ihnen auch viele Schüler und junge Leute. Die ebenfalls eingeladenen Medien indes glänzten durch kollektive Abwesenheit.

Für de Zayas hat die Ausstellung keinerlei wissenschaftliche Bedeutung, da sie nur Einzelfälle darstelle, die schon allein quantitativ nicht aussagekräftig seien. Er hält die Ausstellung schlichtweg für "pietätlos" und kritisiert ihre Duldung durch die Öffentlichkeit als "Versagen der Gesellschaft". Die kollektive Beschuldigung der Wehrmacht ist nach seiner Auffassung eine Unverschämtheit, da die Quellen nicht nur Schuld, sondern auch Unschuld bewiesen. Die deutschen Vorschriften und die vielen Befehle zur Einhaltung des Kriegsvölkerrechts paßten nicht zu Reemtsmas These von der NS-Verschwörung an der Spitze der Wehrmacht. Entlastendes Quellenmaterial sei von den Ausstellungsmachern jedoch bewußt nicht herangezogen worden. Zudem sei der Zusammenhang von Partisanenkrieg und Vernichtungskrieg quantitativ und qualitativ vollkommen ignoriert worden.

In einem völkerrechtlichen Exkurs wies der US-Amerikaner de Zayas nach, daß viele Maßnahmen der Wehrmacht, so furchtbar sie auch gewesen sein mögen, vom Kriegsvölkerrecht gedeckt waren und somit keine Verbrechen darstellten. Auch alliierte Streitkräfte hätten in vielen Fällen ähnlich gehandelt, ohne daß ihr Verhalten heute Gegenstand wissenschaftlicher oder gar gesellschaftlicher Debatten sei. Abschließend bezeichnete de Zayas die Ausstellung als unseriös und überflüssig.

Der Mannheimer Historiker Stefan Scheil, Autor des Reemtsma-kritischen Buches "Legenden, Gerüchte, Fehlurteile", bewertete die Bilderschau als "polemisch und einseitig". Ihr Konzept sei falsch, und sie enthalte zahlreiche sachliche Fehler. Der Titel allerdings sei brillant gewählt, ermögliche er doch eine "Suggestion über die eigentliche Aussage der Ausstellung hinaus". Die Wehrmacht als Ganzes werde angegriffen, auch wenn nur Einzelbeispiele genannt würden. Auch Scheil trat der These entgegen, die militärische Führung habe Hitlers Kriegskonzept ausnahmslos zugestimmt. Ein schlüssiger Nachweis dafür sei nicht möglich. Vielmehr sei die Historikerkommission zu dem Schluß gekommen, daß streng nationalsozialistische Offiziere die Ausnahme gewesen seien. Von einer Kollektivschuld ihrer Soldaten könne keine Rede sein. Hitler selbst habe dem Militär deshalb bis zum Schluß äußerst mißtrauisch gegenübergestanden.

Ende des Monats wird die Ausstellung endgültig ihre Pforten schließen. Was bleibt, ist "ein ungutes Gefühl" und die Frage, "ob die von Reemtsma angestoßene Debatte über die Wehrmacht einem Thema von dieser Dimension wirklich gerecht geworden ist", so der Historiker Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte in München in seinem jüngsten Aufsatz zum Thema.

Verfolgen aufmerksam die Vorträge ihrer Mitredner: Der US-amerikanische Historiker und Jurist Alfred M. de Zayas und der Mannheimer Historiker Stefan Scheil Foto: Interzone-
 
     
     
 
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