|  | Der 1934 zwischen den     reformierten  Schweizer Theologen Karl Barth und Emil Brunner ausgefochtene     Streit um die "natürliche Theologie" hatte für die Entwicklung Protestantismus     erhebliche Folgen. Der Streit zwischen Barth und Brunner kreiste im Kern um die Frage, ob     es neben der Offenbarung Gottes in Jesus Christus noch andere Erkenntnisquellen für     Gottes Wirken geben kann. Diese Erkenntnisquellen können z. B. die Sprache, die Religion,     die Ordnungen, das Gewissen oder die Völker dieser Erde sein. Karl Barth hat diese     "natürliche Gotteserkenntnis", also die Möglichkeit, Gott in der Wirklichkeit     zu erkennen, konsequent abgelehnt. Er vertrat die Auffassung, daß "die menschliche     Vernunft für Gottes Wahrheit blind" sei. Jener Gott, der durch die menschliche     Vernunft erkennbar sein soll, sei eines der "Geschöpfe der weltanschaulichen     Phantasie des Menschen". Bis heute ist diese Auffassung Barths im großen und ganzen     für die protestantische Theologie maßgebend geblieben.
 Die Konsequenzen dieser rigorosen Verwertung der "natürlichen Vernunft" für     die Gotteserkenntnis hat der lutherische Theologe Paul Althaus einmal wie folgt     beschrieben: "Ich konnte es nie verstehen, wie man es kirchlich und theologisch     verantworten wollte, die Natur und Geschichte dem Skeptizismus und Säkularismus     preiszugeben, nachzusprechen, was die atheistische Philosophie
   an Entgottung unseres     Lebens geleistet hatte." Wenn man so will, stehen wir heute am Endpunkt dieser     "Entgottung des Lebens". Diese nach dem Zweiten Weltkrieg immer rascher     voranschreitende "Entgottung" konnte nicht ohne Rückwirkung auf diejenigen     bleiben, die das "Wort Gottes" verkünden. Wer heute in einem protestantischen     Gottesdienst dem "Worte Gottes" lauscht, der bekommt in erster Linie     "Moral" gepredigt. Das "Wort Gottes" gerät nur zu oft zu einer     moralinsauren Belehrung, die sich von anderen politisch-korrekten     "Moraltrompetereien" in unserer "Gesellschaft", wie sie in Politik und     Massenmedien regelmäßig zu hören sind, kaum noch unterscheidet. 
 Barths Position, nach der alle Theologie vom biblischen Zeugnis auszugehen habe bzw.     Christus allein der Schlüssel zu Gotteserkenntnis und Weltorientierung ist, führte in     der Folge  auch wenn Barth dies so kaum gut geheißen hätte  zu einem     völligen Rückzug der Theologie aus der Erfahrungswirklichkeit des Menschen und hat     deshalb auch und gerade zu einer zunehmenden Erosion der Plausibilität des Wortes Gottes     geführt. Das "Wort Gottes" ist mittlerweile zu einer Chiffre für     "Mitmenschlichkeit" herabgesunken. So behauptete z. B. der Neutestamentler     Herbert Braun in seinem Jesus-Buch: "Jesus und Jesustradition legen die Liebe zu Gott     aus als Liebe zum Nächsten." Braun ist beileibe keine Einzelstimme: Über allen     Wassern schwebt heute in der protestantischen Theologie ein diffuser Begriff von     "Nächstenliebe", auf die das "Wort Gottes" heruntergeschleust wird.     Wie anders aber als eine Art Sozial- oder Volkspädagogik mit theologischen Mitteln soll     man dieses "Reden von Gott" dann bezeichnen?
 
 Es verwundert bei dieser Entwicklung nicht, daß mit dem Verschwinden Gottes aus der     Wirklichkeit des Menschen auch ein Kardinalbegriff jeden christlichen Theologiesierens     scheinbar obsolet geworden ist: der Begriff "Sünde" nämlich.     "Sünde" bedeute Widerspruch gegen das schöpfungsmäßige Sein bzw. die     Verkehrung desselben. Wenn Gott in der Wirklichkeit des Menschen aber keine Rolle mehr     spielt, dann bedarf es auch keiner expliziten Theologie mehr für die Beurteilung dieser     Wirklichkeit, sondern einer Sozialwissenschaft. Daher der Rückgriff der heutigen     protestantischen Theologie auf innerweltliche Kategorien, die aus der Soziologie,     Politologie und anderen Gesellschaftswissenschaften ausgeborgt werden. So stellte z. B.     der protestantische Theologe Wolfgang Trillhaas in seiner "Ethik" fest, daß der     soziologische Aspekt "ein revolutionäres Element der Betrachtung" sei. Der     "gesellschaftliche Wandel" sei "ein Schicksal (sic!), was die Kirche     unmittelbar" betreffe.
 
 Barth wollte noch an der "schöpfungsmäßigen Bestimmtheit der menschlichen     Natur", an der "Beziehung zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern"     festhalten. Heute müssen wir erkennen, daß in einer säkularisierten und dem Atheismus     überlassenen Welt die schöpfungsmäßige Exklusivität auch dieser "mitmenschlichen     Beziehungen" nicht mehr plausibel gemacht werden kann. Der Zerfall von Familie und     Ehe und deren zunehmende Ablösung durch sogenannte "neue Lebensformen" wird als     Ausdruck "gesellschaftlichen Wandels" begriffen, den die protestantische     Theologie eiligst nachzuvollziehen bestrebt ist.
 
 Was für die Mikroebene des menschlichen Zusammenlebens gilt, gilt erst recht für die     Makroebene: für die Ebene der Völker, die heute durch den Begriff     "Gesellschaft" abgelöst worden sind. Auch hier steht eine Verdammungsformel von     Barth mit weitreichenden Wirkungen im Raum: "Die Behauptung und Lehre", so Karl     Barth in seiner "Kirchlichen Dogmatik" (KD III,4), "daß auch das Sein des     Menschen in seinem Volke und dessen Verhältnis zu anderen Völkern eine Bestimmtheit der     menschlichen Natur sei, ist ein Werk phantasierender Willkür." Zweifelsohne hat     Barth hier die "völkischen" Theologen des Dritten Reiches und ihre Lehre vom     "Volksnomos" im Blick. Dieser "Volksnomos" meint ein eingestiftetes     Sollen, ein lebendiges Walten Gottes, aus dem alles seine Wahrheit und seinen Bestand,     seine Urständigkeit als Kreatur hat. So schrieb z. B. der Tübinger Theologe Friedrich     Traub 1936: "Aufgabe der kirchlichen Verkündigung sei es, "das völkische     Geschehen in den Gesamtzusammenhang des evangelischen Glaubens einzuordnen und als     Auswirkung der göttlichen Schöpfungsordnung verständlich zu machen".
 
 Die Auffassung ,die Traub hier vorträgt, ist heute desavouiert und dies mit Recht.     Daß es die Aufgabe der kirchlichen Verkündigung sein soll, das "völkische     Geschehen" als "Auswirkung der göttlichen Schöpfungsordnung" auszulegen,     ist eine indiskutable Engführung der biblischen Botschaft.
 
 Was aber sagt die vielzitierte biblische Botschaft zum Thema "Volk"? Im Alten     Testament wird das Vorhandensein der Völker als im Willen des Schöpfers begründet     angesehen (z. B. im 5. Buch Mose 32,8). Im Neuen Testament erfolgt zwar eine religiös     bestimmte Universalisierung des Volksbegriffes (z. B. in 1. Petrus 2,9). Das Ende aller     Unterschiede zwischen den Völkern wird aber erst mit dem Endgericht erwartet     (Johannes-Apokalypse 7, 9 + 14, 16). Eine "multikulturelle Gesellschaft" läßt     sich mit der Bibel jedenfalls nicht begründen.
 
 Für den deutschen Raum war es insbesondere Luther mit seinen Gedanken über die     Sprache und das Volkstum, die das Nationalgefühl der Deutschen entscheidend geprägt     haben. Luther, der sich selbst als "Prophet der Deutschen" bezeichnete, ruft zur     Freude darüber auf, daß man von einem von Gott geschaffenen und erhaltenen Volk     angehören darf. Luther bewerte das Volk als eine schöpfungsmäßige Gegebenheit, die es     zu akzeptieren gilt. Der Gedanke einer religiösen Qualifizierung des Volkes lag ihm     allerdings fern. Für den "Kirchenvater des Protestantismus", Friedrich     Schleiermacher, unterteilt sich das Universum in drei "Individuationskreise":     Menschheit, Völker, Individuen. "Jedes Volk", so Schleiermacher in einer     Predigt (1813), das "sich zu einer gewissen Höhe entwickelt hat, wird entehrt, wenn     es Fremdes in sich aufnimmt, sei dieses an sich auch gut, denn seine eigene Art hat Gott     jedem zugeteilt und darum abgesteckt Grenze und Ziel, wieweit die verschiedenen     Geschlechter wohnen sollten auf dem Erdboden".
 
 Eine derartige Sichtweise ist in der heutigen protestantischen Theologie undenkbar, der     Begriff "Volk" spielt schlicht keine Rolle mehr. Der bereits zitierte Wolfgang     Trillhaas spricht die Gründe dafür ganz deutlich aus.: "An der Stelle, wo wir von     Gesellschaft sprechen, fand sich in der Behandlung der evangelischen Ethik bislang der     Begriff des Volkes." Und: "Das Volk ist nicht ewig". Es hat seine eigene     Entstehungsgeschichte, "wie es auch eines Tages sein Ende nehmen wird"      sei es durch Überfremdung, inneren Verfall oder politische Katastrophen. Daher hält     Trillhaas den Begriff der "Gesellschaft" dem des "Volkes für überlegen,     denn auch ein im Verfall begriffenes Volk werde sich "immer in irgendeiner     Weise" als "Gesellschaft" darstellen.
 
 Es kann vor diesem Hintergrund nicht verwundern, daß die protestantischen Kirchen dem     Anliegen des eigenen, des deutschen Volkes völlig indifferent gegenüberstehen. Nur so     ist jene Passage aus dem "Gemeinsamen Wort der Kirchen" zu Flucht und Migration     zu verstehen, in der davon die Rede ist, daß es notwendig sei, "die Zuwanderung von     Menschen, die sich nicht auf das Asylrecht berufen können, gesetzlich (!,d.V.) zu     verbessern".
 
 Hier dokumentiert sich eine offensichtliche Mißachtung der Interessen des eigenen     Volkes und damit letztlich desjenigen, der diesem Volk angehört. Das Volk als     "Schicksalsgemeinschaft", die sich über Jahrhunderte konstituiert hat, ist     nämlich bei weitem mehr als die Summe seiner Individuen. Im Volk und in der Sprache des     Volkes wird der Mensch am unmittelbarsten angesprochen. Das Volk kann daher als     "Heimat" des Menschen gedeutet werden, weil der Mensch nur bei seinesgleichen     Geborgenheit findet. Eine Kirche, die diese menschlichen Grunddispositionen negiert,     befindet sich faktisch auf dem Pfad der Sünde, weil sie die schöpfungsgemäße Ordnung     mißachtet. Dies heißt aber nicht und nicht weniger, als daß die Kirche jene Bewegung     mit vollzieht, die zum Signum unserer Zeit geworden ist: Gemeint ist die menschliche     Anmaßung, sich nach eigenem Gutdünken über die schöpfungsgemäßen Ordnungen nach     Belieben hinwegzusetzen.
 
 Die undifferenzierte Hingabe an den Nächsten, die hinter dem "Gemeinsamen     Wort" der Kirchen steht, übersieht, daß diese Hingabe eben bei weitem nicht das     Ganze unseres Lebens ist. Die Gestalt dieser Welt, so einmal der bereits zitierte Paul     Althaus, "bringt es mit sich, daß wir uns in unserer Lebendigkeit behaupten     müssen". Dieses schließt immer auch ein Sich-gegen-Andere-Behaupten mit ein, sei es     nun als Volk oder als Einzelner. Weil die protestantischen Kirchen  und jetzt auch     die katholische Kirche  glauben,  sie könnten sich über diese     Gesetzmäßigkeiten des Lebens hinwegsetzen, machen sie sich mitschuldig an der Umwandlung     des deutschen Volkes in eine "multikulturelle Gesellschaft".
 
 
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