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Wahlkampf hat alte Wunden aufgerissen

 
     
 
Die von blankem Haß erfüllten Tiraden der einigen tausend Demonstranten, die sich am Vorabend der spanischen Wahlen vor dem Hauptquartier der (noch) regierenden konservativen Volkspartei (Partido Popular, PP) versammelt hatten, ließen ausländischen Beobachtern das Blut in den Adern gefrieren. "Mörder!" brüllten sie zu den erleuchteten Fenstern hinauf und: "Aznar: Für deine Schuld zahlen wir alle!" Am Abend des Geschehens mochte man den Tumult noch als hysterischen Ausfall "üblicher Verdächtiger" der linken Szene abtun, wozu das äußere Erscheinungsbild zahlreicher Teilnehmer beitrug. Der Absturz der Volkspartei beim folgenden Urnengang belehrte jedoch eines Ernsteren.

Warum haben die Spanier die zuvor favorisierten Konservativen derart abgestraft? Weil sie deren Irak-Politik die Schuld gaben für die Massaker? Genau das fürchtete offenbar die scheidende Regierung selbst in den wenigen Tagen zwischen dem Attentat und der Wahl und machte so alles noch viel schlimmer - für sich, aber womöglich auch für ganz Europa. Zu früh legten sich die Verantwortlichen auf eine Schuld der baskischen ETA fest, was ihnen die Gegner von der Linken als wahltaktisches Manöver
unter die Nase hielten. Als sich die Ermittlungen zunehmend auf islamische Gruppen ausweiteten, soll Innenminister Angel Acebes sogar ein wichtiges Bekennertonband stundenlang zurück-gehalten haben, das von Islamisten stammte, behauptete der Sender Cadena SER. Der Skandal war komplett.

Selbst wenn sich im Laufe der weiteren Ermittlungen nun doch noch erweisen sollte, daß Islamisten mit den Anschlägen nichts zu tun haben, so werden diese Kreise die Ereignisse von Madrid als die fatale Botschaft auffassen, daß es möglich sei, eine europäische Regierung gleichsam wegzubomben. Denn der Verdacht, es handele sich um die Tat muslimischer Gotteskrieger, könnte diese Wahl entschieden haben. Das lädt zu weiteren Taten geradezu ein. Da in den (echten oder falschen) Bekennerschreiben ausdrücklich auch die Anwesenheit ausländischer Truppen in Afghanistan als Rachegrund genannt worden ist, rückt selbst Deutschland ins Ziel.

Die grausamen Anschläge hätten Spanien gegolten, so vermuten Experten, weil Islamisten das Land als vermeintlich schwächstes Glied in der US-geführten Allianz an Hindukusch und Tigris ausgemacht hätten. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die junge Demokratie am Rande Europas einen Wahlkampf von beispielloser Härte hinter sich hat, der bereits tiefe Risse in sein politisches Gefüge getragen hat. Daran geben viele dem scheidenden Ministerpräsidenten José María Aznar durchaus eine Mitschuld.

An die 90 Prozent seiner Landsleute hatten sich laut Umfragen gegen eine Beteiligung am Irak-Krieg ausgesprochen - mehr als in jedem anderen europäischen Land, Deutschland eingeschlossen. Im Unterschied zu Briten oder US-Amerikanern begegneten die Spanier überdies den haltlosen Unterstellungen von Massenvernichtungswaffen und Al-Kaida-Nestern in Saddams Diktatur von Beginn an mit großem Mißtrauen. Ministerpräsident Aznar fütterte sie jedoch unverdrossen mit denselben Lügen, die Blair und Bush der Welt vorsetzten, und führte sein Land in den Krieg.

In der Europa-Politik führte Aznars Kompromißlosigkeit in die Isolation und an die Seite falscher Freunde wie Polen, mit dem er gegen Frankreich und Deutschland gemeinsame Sache machte, so in der Irak-Frage und beim Problem der EU-Verfassung. Indes sehen viele Spanier genau, daß dieser "neue Freund" schnell zum ärgsten Gegner werden kann: Dann nämlich, wenn sich Madrid und Warschau - der größte Netto-Empfänger der alten und der größte Netto-Empfänger der neuen EU - über die Verteilung der EU-Zuschüsse in die Haare kommen werden, was kaum zu verhindern sein wird. Dann, so fürchtet man auf der Iberischen Halbinsel, werden sich Paris und Berlin rächen. Anzeichen dafür gibt es bereits. Doch auch innenpolitisch gebar sich Aznar in sturer Unnachgiebigkeit: Als der

baskische Ministerpräsident Ibarretxe einen Plan zu mehr Eigenständigkeit seines Zwei-Millionen-Landes vorstellte und ein Referendum dar-über durchführen wollte, drohte ihm Aznar mit Gefängnis. Dabei wäre so ein Referendum kaum mehr gewesen als ein Meinungsbild ohne jede verfassungsrechtliche Verbindlichkeit.

Nachdem schließlich ein Treffen des Linksnationalisten und kurzzeitigen stellvertretenden Ministerpräsidenten von Katalonien, Carod-Rovira, mit ETA-Vertretern Anfang Januar bekannt wurde, holte Aznar zum großen Schlag gegen die oppositionellen Sozialisten aus. Zwar sitzt Carods Partei ERC seit November mit den katalanischen Sozialisten in der Regierung von Barcelona, doch sind die dortigen Sozialisten sehr auf Eigenständigkeit bedacht, weshalb der Einfluß des nationalen Sozialistenchefs und nunmehr designierten Premiers José Luis Rodriguez Zapatero auf die Entscheidungen in Katalonien begrenzt ist. Das sehr wohl wissend, ließ es sich Aznar dennoch nicht nehmen, lustvoll auf einen Zapatero einzuschlagen, der (entnervt und beinahe hilflos um Schadensbegrenzung bemüht) auf seine katalanischen Genossen einredete, Carod aus der Regierung zu werfen, was nur halbherzig geschah.

Die Linke nahm Aznars Fehdehandschuh indes auch nicht allzu unwillig auf. Ebenso wie Aznar die Linken als unsichere Kantonisten im Kampf gegen den Terror schalt und ihnen vorhielt, die Errungenschaften eines endlich blühenden Spaniens durch rote Experimente zu gefährden, so ging das linke Lager seinerseits zu einer Kampf-Rhetorik über, die nach den Erfahrungen von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur bislang peinlich vermieden worden war, um alte Wunden nicht aufzureißen.

Die spanische Demokratie ging historisch gesehen aus der Franco-Zeit unmittelbar hervor - der "Gaudillo" starb 1975 und setzte den demokratisch gesinnten König als Nachfolger ein. Seitdem galt der stillschweigende Konsens, das Alte ruhen zu lassen, um einen Neuanfang zu ermöglichen. Nun jedoch entdeckte die Linke, daß Aznars Volkspartei, einst Volksallianz genannt, von dem Franco-Minister Fraga Iribarne gegründet worden war und Aznar selbst seine ersten politischen Gehversuche in Francos Jugendbewegung gemacht hatte.

Von nun an gingen beide großen Lager an den unappetitlichen Versuch, sich gegenseitig den Anspruch auf demokratische Reife unter den Füßen wegzuziehen. Das Bild tiefer Zerrissenheit war das Ergebnis. Der Irak-Krieg, die sinistren ETA-Kontakte Carods und schließlich die fürchterlichen Anschläge gaben dem Bürgerkrieg der Worte den letzten Pulverdampf hinzu. Wie sehr der Konsens geschwunden ist, zeigt das Abschneiden der katalanischen Linksnationalisten Carods, der ERC, am vergangenen Sonntag. Nach dem Bekanntwerden von Kontakten zu einer Terrorbande wäre eine jede demokratische Partei in Deutschland wohl ins Bodenlose gefallen. Die ERC indes konnte ihre Mandate gegenüber 2000 von nur einem auf acht steigern. Aznar war eben der unumstrittene Hauptfeind.

Mit der ERC wird Zapatero nun vermutlich regieren müssen. Und mit der "Vereinigten Linken", einem Sammelbecken aus Kommunisten und ähnlichen Linksradikalen. Die übrigen sechs Regionalparteien sind (bis auf die katalanischen Konservativen und die gemäßigten baskischen Nationalisten Ibarretxes) nur Splittergruppen. Die Mehrheit einer linken Dreierkoalition ist nur dünn, 177 zu 173 Mandaten. Und ob Zapatero seine "gemäßigt sozialdemokratische Politik" nach dem Muster Tony Blairs durchbekommt, mit der Vereinigten Linken an der Seite, muß abgewartet werden. Fest steht bislang nur eines: Aus dem Irak will Spanien so bald wie möglich abziehen. Das werden nicht bloß Kriegsgegner gern hören, sondern auch Leute im islamischen Raum, denen eigentlich weder Zapa-tero noch irgendein anderer Demokrat einen Gefallen tun möchte.
 
     
     
 
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