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Warum Schröder die Bundestagswahl gewann

 
     
 
Die SPD-Wahlkampfzentrale "Kampa" hat während des vergangenen Bundestagswahlkampfes neue Maßstäbe im Wettstreit um Wählerstimmen gesetzt. "Im Strategiekonzept der Kampa war alle Aufmerksamkeit auf die Inszenierung, die Instrumentalisierung der Massenmedien gerichtet", glaubt die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann. In ihrem neuen Buch "Kampa" untersuchen die Wissenschaftler Noelle-Neumann, Kepplinger und Donsbach die Gründe für den überwältigend
en Erfolg der SPD bei der Bundestagswahl. Jedes politische Lager, das die wichtigsten Leitmedien auf seiner Seite hat, wie die SPD im Jahre 1998, könne nach Meinung von Noelle-Neumann ihre Strategie in erster Linie auf die Medienwirksamkeit konzentrieren. Die Gefahr einer gegen sie gerichteten Schweigespirale besteht für sie nicht.

"Ganz anders ist die Lage derjenigen Partei, die den Medientenor gegen sich hat. Sie muß eine Strategie entwickeln, die sich ausdrücklich auf Meinungsführer und persönliche Kommunikation stützt. Sie muß – falls ihr Stab kraftvoll genug ist – früher mit ihrem Wahlkampf einsetzen, bewußt gegen Weihnachts- oder Sommerpause angehen", so Noelle-Neumann.

Kampagnefähigkeit und Medienwirksamkeit waren die Schwachpunkte der Unionsparteien. Die Medien zeigten 1998 ein klares parteipolitisches Profil: Vor allem "Die Woche", "Der Spiegel", der "Stern" und der Privatsender RTL bauten Gerhard Schröder als Wirtschaftsfachmann auf. Die "Welt am Sonntag" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kontrastierten die Kandidaten mit umgekehrtem Vorzeichen. Kohl widerfuhr ähnliches wie Rudolf Scharping 1994: Wichtige publizistische Meinungsführer aus dem eigenen Lager, allen voran der "Rheinische Merkur", "Focus" und "Bild" zeichneten von Kohl entweder ein so schlechtes Bild wie von Schröder oder von Schröder ein so gutes wie von Kohl. Sie bauten damit indirekt oder direkt die Kompetenz des SPD-Kandidaten für Wirtschaft und Arbeit auf. Eine weitere Erklärung für Schröders Wahlsieg ist die erfolgreichere Pressearbeit der SPD.

"Hinsichtlich Thematisierung, Rhetorik und Struktur weisen die Medienberichte teilweise frappierende Ähnlichkeiten mit den SPD-Pressemitteilungen auf. Die ,Kampa‘ war also in dieser Hinsicht überaus erfolgreich", analysiert der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach. Von einer ausgewogenen Berichterstattung zum Thema Arbeitsmarkt waren die Medien vor der Wahl weit entfernt. Verzerrungen gab es vor allem im Fernsehen. Alle vier Nachrichtensendungen und Nachrichtenmagazine von ARD und ZDF stellten Schröder bei den Themen Wirtschaftslage, Arbeitsmarkt und Standort Deutschland günstiger dar als Kohl. Besonders einseitig war die Berichterstattung der Tagesschau und des "heute journal". Aber auch bei den Nachrichtensendungen der privaten Sender war für Kohl nicht viel zu gewinnen. Besonders klar zeigte sich das im "RTL-Nachtjournal". Düstere Beschreibungen des Arbeitsmarktes dominierten hier die durchaus optimistischen Prognosen über die allgemeine wirtschaftliche Lage.

Die SPD gewann die Wahl, weil sie nach Einschätzung von Donsbach hinreichend viele Wähler davon überzeugen konnte, sie habe die geeigneten Konzepte, um gleichzeitig Arbeitsplätze und gerecht verteilten "Wohlstand für alle" zu schaffen. Die Rhetorik bestand darin, Maßnahmen zum Thema zu machen, die ohne Folgen für Einkommen, Anforderungen und Sozialleistungen seien. Für diese Botschaft eignete sich der Slogan "Bündnis für Arbeit – Innovation und Gerechtigkeit schmieden" aus dem SPD-Programm. Die Wähler glaubten der SPD-Kampagne, man könne an "Runden Tischen" Arbeitsplätze schaffen und die Gesellschaft dabei gleichzeitig auch noch innovativer und gerechter machen. Die SPD-Formel war so eingängig, daß im Westen 30, und in Mitteldeutschland 43 Prozent der Bürger einen sanften Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus befürworteten.

"Das Blair-Schröder-Papier vom Juni 1999 will mit diesen Vorstellungen aufräumen, indem es notwendige Voraussetzungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen und materiellen Wohlstand aufzeigt. Es ist somit das genaue Gegenteil dessen, was die SPD und Schröder im Wahlkampf den Wählern versprachen und was die Medien so bereitwillig transportierten", so das Fazit von Donsbach.

Der SPD-Bundestagswahlkampf war durch straffe Organisation mit kurzen Entscheidungswegen und klaren Kompetenzen geprägt. Die "Kampa" hatte eine einfache und zweckmäßige Struktur mit klar definierten Aufgaben für die verschiedenen Abteilungen: Presse/Medien, Meinungsforschung, Finanzcontrolling, Gegnerbeobachtung, und die Aktion "32 Wahlkreise". In der "Kampa" arbeiteten etwa 70 Mitarbeiter. Insgesamt engagierten sich mehr als tausend Mitarbeiter aus der Parteizentrale, aus der Fraktion, den Ländern, Schulen, Universitäten und Medien in Vollzeit für einen SPD-Wahlsieg. Neben den Parteiorganen stellte die SPD der "Kampa" acht Partneragenturen zur Seite. Hervorzuheben ist besonders die größte  deutsche  Werbeagentur KNSK-BBDO.

Für 32 ausgesuchte Wahlkreise entwickelte die "Kampa" ein spezielles Programm. Es waren Regionen, wo knappe Entscheidungen zu erwarten waren zwischen Kandidaten der CDU und der SPD. In diesen Wahlkreisen begannen die Sozialdemokraten noch früher mit ihrer Kampagne, um Präsenz zu zeigen und den Gegner zu verunsichern. 26 Wahlkreise konnte die SPD mit dieser Aktion gewinnen. In den USA hatten die Sozialdemokraten vorher die Aktivitäten des Teams um Bill Clinton, in England hatten sie die New-Labour-Mannschaft von Tony Blair begleitet. Die Buchautoren kommen zu einem klaren Resümee: "Was die SPD auf die Beine stellte, war eine perfekt durchorganisierte Polit-Kampagne."
Gunnar Sohn

Elisabeth Noelle Neumann / Hans M. Kepplinger / Wolfgang Donsbach: Kampa – Meinungsklima und Medienwirkung im Bundestagswahlkampf 1998, Verlag Karl Alber, Freiburg/ München 1999, 288 Seiten, geb., 59 Mark

 
     
     
 
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