|  |  Kolumbien hat den Ruf eines Landes, das von Korruption, Drogenmafia und  permanentem Bürgerkrieg heimgesucht ist. Die Bilanz nach 40 Jahren Gewalt ist  erschreckend: Mehr als 250.000 Tote, drei Millionen Flüchtlinge im eigenen Land.  Auch deswegen hat das Hilfswerk Adveniat Kolumbien zum Schwerpunkt seiner  diesjährigen Aktion gemacht. Im Rahmen dieser Aktion ist der Vorsitzende der  kolumbianischen Bischofskonferenz, Pedro Kardinal Rubiano Saenz, zu Besuch in Deutschland, um hier über die Probleme seines Landes zu reden und  das Bild, das man sich von Kolumbien macht, etwas aufzuhellen. So will er zum  Beispiel nicht von „permanentem Krieg“ sprechen. Aber er räumt ein. „Unser Leben  ist überschattet von Gewalt.“  Diese Gewalt gehe von einigen Gruppen aus, von der Guerrilla, den  paramilitärischen Verbänden und natürlich sei auch der Staat mit der Armee  involviert. Auch die Kirche müsse mit dieser Realität der Dauergewalt leben.  „Aber wir verlieren die Hoffnung nicht“, sagt der Kardinal im Gespräch mit der Verlegerin „Ja, wir sehen unsere Aufgabe auch darin, den anderen diese Hoffnung auf  Frieden zu vermitteln. Denn Frieden, das müssen wir alle zusammen schaffen, und  die Kirche spielt da eine entscheidende Rolle. Entweder finden wir Kolumbianer  alle gemeinsam zu diesem Frieden oder es wird keinen geben.“ Die Kirche befinde  sich jedoch nur indirekt in der Position einer Vermittlerin. Mehr als  Vermittlerin oder Verhandlungspartner sei die Kirche „die Institution, die  Verhandlungen überhaupt erst ermöglicht. Wir sind unabhängig von Regierung,  Armee und Guerilla, und dennoch sind wir mitten drin, weil wir die Nöte des  Volkes teilen. Für uns ist klar, daß nur politische Verhandlungen zum Frieden  führen können, und das heißt, es muß auch über soziale Gerechtigkeit und über  Arbeit für alle Kolumbianer verhandelt werden.“ Diese Verhandlungen müßten  vorbereitet werden. Hier kämen die Dienste der Kirche konkret zum Tragen. Vor  einigen Jahren habe er „die National  e Kommission der Versöhnung“ gegründet. Zu  ihr gehörten Persönlichkeiten aller politischen Lager, Professoren,  Schriftsteller, ehemalige Minister. „Wir kommen dreimal im Monat zusammen und  erarbeiten Vorschläge für die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft. Es  ist ein deutliches Zeichen dafür, daß die Zivilgesellschaft sich beteiligt, um  Lösungen und Wege aus der Sackgasse des Dauerkonflikts zu finden.“  Es gebe auch schon ein Modell für die nationale Versöhnung. Es soll auf einem  Symposium im Februar vorgestellt werden. Der Kardinal führt aus: „Die  Grundvoraussetzung für jedes Versöhnungsmodell ist die Ehrlichkeit, der Wille  zur Wahrheit. Nur so werden wir erreichen, daß Haß und Rachegefühle überwunden  werden können. Gerechtigkeit heißt ja nicht, daß ein Richter ein Urteil spricht  und jemand ins Gefängnis muß. Gerechtigkeit beginnt mit der Anerkennung des  Rechts auf Leben und der Würde der Person. Das gilt für Opfer und Täter. Ohne  die Anerkennung der menschlichen Würde gibt es keinen Aufbau einer gerechten  Gesellschaftsordnung.“ Kardinal Rubiano räumt ein, daß man mit hehren Wünschen  kaum die Ursachen der permanenten Gewalt beseitigen könne. Diese Ursachen seien  „ganz unter- schiedlich“. Man habe sich schon öfter auf  Waffenstillstandsabkommen einigen können, „aber Frieden ist mehr. Der Friede ist  das Kind der Gerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit heißt, daß die Menschen auf  ehrliche Weise ihren Lebensunterhalt verdienen können.“ Das sei in Kolumbien  zugegebenermaßen „besonders schwierig, denn wir haben zusätzlich noch das  Problem des Drogenhandels“. In Europa, Amerika und überall auf der Welt sehe man  in Kolumbien nur das Land des Kokains. De facto aber handele es sich um Kartelle  mit weltweiten Verbindungen, weit über Kolumbien hinaus. „Sicher, solange das  Drogenproblem nicht gelöst ist, wird es keinen Frieden in Kolumbien geben.“ Aber  der Drogen- handel sei kein Problem für Kolumbien allein. Deshalb richte sich  sein Appell „auch an die reichen Länder, alles zu tun, um den Drogenhandel  effektiv einzudämmen. Wir müssen damit fertigwerden, gemeinsam. Ich wiederhole:  Man zeigt auf uns als die Bösen, als das Drogenland, aber man sollte auch auf  den Drogenmarkt in den reichen Ländern zeigen.“ Das Drama in Kolumbien sei, daß viele Bauern ohne Kokainanbau nicht leben  könnten. Damit die Bauern zu anderen Formen des Ackerbaus zurückfinden, müßte,  so der Kardinal aus Bogota, „die Präsenz des Staates in den Hochtälern des  Koca-Anbaus verstärkt werden. Da ist Koca, aber keiner geht hin. Die  Drogenhändler, die gehen hin und bezahlen die Bauern und besorgen auch den  Transport. Ein Bischof hat einmal gesagt, wer Drogen sät, erntet den Tod. Es ist  nicht nur der Tod in Kolumbien, wir haben da ein gemeinsames Problem. Das ist  eine Tatsache, und die Quelle all dieser Gewalt ist das Koka.“ Auch die weit  verbreitete Korruption habe mit dem Drogenhandel zu tun. Aber insgesamt müsse  das Problem der Korruption „an der Wurzel bekämpft werden“. Die heiße  Transparenz. Hier hätten die Kolumbianer Fortschritte gemacht. Es gehe dabei  „nicht nur um die Politik, auch die Wirtschaft, die Unternehmenskultur muß  transparent sein“. Überhaupt lehnt Kardinal Rubiano Verallgemeinerungen ab.  „Ich würde nicht von der Politik sprechen. Die Politik ist etwas sehr Nobles,  sie sucht das Gemeinwohl, das Gute für eine Gesellschaft. Deshalb sollte man  sich davor hüten, zu Verallgemeinerungen zu greifen wie ,das Parlament ist  korrupt‘. Es sind immer einzelne Personen, nicht die Institutionen. Das  Grundproblem ist die Transparenz und damit die Kontrollierbarkeit.“ Manchmal ist eine Person identisch mit einer Institution, etwa der Präsident der  Republik. Was macht die Kirche, wenn er versagt? Kann oder muß sie ihn  öffentlich anklagen? Zu einer Zeit, als viele Politiker, auch der Präsident,  behaupteten, sie hätten keinerlei Korruption in ihrem Land gesehen, und als  selbst der Staatspräsident meinte, wenn Geld geflossen sei, dann sei das hinter  seinem  Rücken geschehen, da habe ein Journalist den Kardinal darauf angesprochen und  der stand vor dem Dilemma: Soll er als Vorsitzender der Bischofskonferenz den  Präsidenten beschuldigen oder reinwaschen? Wenn er ihn beschuldigte, müßte er  die Vorwürfe auch beweisen. Würde er ihn in Schutz nehmen, gäbe er der  Drogenmafia quasi eine politische Absolution. „Also griff ich auf ein Bild  zurück und sagte: Schauen Sie, auch wenn hinter ihrem Rücken ein Elefant ins  Haus kommt, sollte man das bemerken, und das Geld der Drogenmafia ist gewiß  keine Kleinigkeit, kein kleines Haustier, um im Bild zu bleiben.“ Das Bild hat  Karriere gemacht in der Presse und in den Karikaturen. Die Regierung hatte es  fortan schwer, lebte quasi im Schatten des großen Tieres. „Aber es war nützlich,  denn die folgenden Regierungen achteten stärker darauf, die öffentlichen  Institutionen vom Geld der Drogenhändler freizuhalten und damit die Gewalt  einzudämmen.“  Trotz der schwierigen Lage sieht der Kardinal Lösungen für die Zukunft. „Wir  sind Menschen voll Hoffnung und Freude. Das mag Ihnen etwas naiv vorkommen. Aber  beden- ken Sie, daß ein Volk von fast 45 Millionen Menschen darunter leidet, daß  etwa 20.000 Leute Gewalt ausüben und die Drogenmafia diese Guerilla finanziert.  Aber auch diese Leute sind Menschen, für die die Botschaft der Versöhnung gilt.  Wir müssen alle am Ziel der Gerechtigkeit arbeiten, sonst wird es keinen Frieden  geben.“  Kreislauf des Verderbens: Während es die kolumbianische Polizei bei Razzien  beschlagnahmt, wird es andernorts bereits in größerem Stil angepflanzt und  geerntet – Kokain. Fotos: Reuters 
 
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