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Wien

 
     
 
So wie Deutschland hat auch Österreich ein längerfristig unfinanzierbares Sozialsystem. Als weitere Gemeinsamkeit ist eine angeschlage SP-Führung zu vermerken.

Und eben deswegen kommt jeweils auch den Gewerkschaften eine überproportionale Bedeutung zu. Doch während die SPD sich, wenn überhaupt, nur mit Hilfe der Opposition gegen die Gewerkschaften durchsetzen kann, muß die SPÖ, nach dreißigjähriger Vorherrschaft nunmehr in Opposition, den Gewerkschaftsbund
(ÖGB) gegen die Regierung instrumentalisieren.

Eine Regierungsvorlage zur Pensionsreform bringt für SPÖ und ÖGB jetzt endlich einen Vorwand für "Aktion" - bei internationalen Gewerkschaftstreffen hatten die Österreicher ja nie etwas vorzuweisen. So gab es vorige Woche erstmals größere Streikaktionen, die sich insbesondere bei den Wiener Verkehrsbetrieben bemerkbar machten. (Logisch, denn die rote Stadtverwaltung wird die Streikstunden nicht vom Lohn abziehen und den Streikfonds belasten!) Weitere "Kundgebungen" sind geplant. Daß das Streikrecht für politische Zwecke mißbraucht wurde, ging zwar unter, doch haben einige der indirekt geschädigten Firmen Klagen angekündigt.

Die bisherige "Streikarmut" Österreichs beruhte auf der "Sozialpartnerschaft", einer Schattenregierung aus ÖGB plus Anhängsel Arbeiterkammer (AK) einerseits und Wirtschaftskammer mit Industriellenvereinigung andererseits. Ohne oder gar gegen "die Sozialpartner" ging nichts. Sozialer Frieden war allerdings teuer erkauft, denn er brachte ein Aufschieben nötiger Reformen und einen Wildwuchs an wechselseitigen Zugeständnissen, die selbst für Fachleute kaum mehr durchschaubar sind.

Als vor drei Jahren eine ÖVP-FPÖ-Koalition zustandekam, sahen sich die Sozialpartner an den Rand gedrängt - nicht nur ÖGB und AK, sondern auch die ÖVP-dominierte Wirtschaftskammer, deren Präsident bald ein wenig Opposition zu spielen begann. Daß die ÖVP mit der geschwächten FPÖ eine Pensionsreform durchzuziehen versucht, mußte daher als Chance zur Wiederbelebung der alten Seilschaften wahrgenommen werden.

Das vorgelegte Konzept wird selbst von linken Experten als zumindest in die richtige Richtung weisend eingestuft. Kernpunkte sind die Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis zum - jetzt meist nur theoretischen - Antrittsalter von 65 Jahren sowie eine Verlängerung des Durchrechnungszeitraums für die Pensionshöhe: Die SPÖ hatte sich einst einen Wahlsieg mit der Zusage erkauft, nur die 15 besten Jahre heranzuziehen, und das muß nun schrittweise rückgängig gemacht werden.

Bei jeder Änderung gibt es viele, denen man leicht einreden kann, Verlierer zu sein, und es gilt, wie man in Österreich sagt, das Floriani-Prinzip: "Oh, du heilger Florian, verschon mein Haus, zünd s andre an!" Was die Regierung Pensionssicherungs-Reform nennt, ist daher für Opposition und Gewerkschaft Pensionsraub. Widerstände zeigen sich allerdings auch innerhalb der Regierungsparteien: sowohl vom Arbeitnehmerflügel der ÖVP mit der mächtigen Beamtengewerkschaft als auch von Teilen der FPÖ rund um Jörg Haider. Dieser drängt vor allem auf eine Vereinheitlichung, denn neben dem "allgemeinen" Pensionssystem gibt es ein besonderes für Beamte, ein noch spezielleres für Politiker und ein speziell lukratives für Personal und Vorstände der - Sozialversicherung! So kommt es gegenwärtig zu den seltsamsten Zweckallianzen, und zwischen einem tragbaren Kompromiß und einem Zerbrechen der Regierung ist jeder Ausgang vorstellbar.

Die Regierung allerdings hat den Intrigen und unsachlichen Argumentationen insofern Vorschub geleistet, als sie die für eine solch komplexe Materie erforderliche Aufklärungsarbeit sträflich vernachlässigte. (Zu Pensionsreform und Bewußtseinsbildung vgl. auch Folge 15/2001, Seite 3 f.) Man bedenke nur, daß die Propaganda für EU-Beitritt und EURO den dama- ligen Regierungen und Interessenvertretern jeweils mehr als eine Milliarde Schilling wert war!

Noch kurz zum ÖGB: Dieser ist formell ein Verein, genießt aber steuerliche Privilegien wie eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Das aus Mitgliedsbeiträgen angehäufte gewaltige Vermögen ist in Liegenschaften und Beteiligungen angelegt. Und die Gewerkschafter verstehen es durchaus, ordentlich zu wirtschaften - wenn es ums eigene Geld geht! Musterbeispiel ist hier die Gewerkschaftsbank BAWAG mit ihrem ausgesprochen schlanken Verwaltungsapparat. Der Streikfonds hingegen wurde, obwohl dies steuerlich nachteilig ist, in eine Stiftung eingebracht, denn nur so läßt sich erreichen, daß seine Höhe das vielleicht einzige Staatsgeheimnis im Lande bleibt. Wo Gewerkschafter in Doppel- oder Dreifachrollen auch als Abgeordnete, Kammerfunktionäre, Aufsichtsräte und natürlich in der Sozialversicherung tätig sind, wo es also um fremdes Geld geht, scheinen für sie allerdings ganz andere Wirtschaftsgesetze zu gel-ten ...

Foto: Salzfaß: Die gestohlene Skulptur kostet über 50 Millionen Euro
 
     
     
 
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