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Zurück zur Apotheke der Welt?

 
     
 
Kaum ein anderes Thema beherrscht die öffentliche Diskussion in diesen Tagen und Wochen so intensiv wie die Vogelgrippe. So richtig es ist, drohende Gefahren rechtzeitig zu erkennen und angemessen vorzubeugen – es scheinen wieder einmal die rechten Maßstäbe verlorengegangen zu sein. Bislang sind an dieser neuartigen Viruserkrankung weltweit schätzungsweise 60 Menschen gestorben. Hingegen sterben allein in Deutschland täglich etwa zehnmal so viele Menschen an Herz- und Kreislauf
erkrankungen, Infarkt, Herzinsuffzienz oder Schlaganfall.

Im Jahr 2004 waren das insgesamt über 225000 Todesfälle (chronische Herzkrankheiten 84163, Infarkt 61736, Insuffzienz 48184, Schlaganfall 32241). Doch diese kürzlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen findet man allenfalls in der Fachpresse; die Massenmedien präsentieren lieber in epischer Breite jeden einzelnen Vogelgrippe-Verdachtsfall, auch wenn dieser, wie gerade erst in Frankreich, sich nicht bestätigt.

Hingegen sterben jeden Tag über 600 Deutsche ohne öffentliche (oder veröffentlichte) Anteilnahme an Krankheiten, die zumeist eine Folge der als Arteriosklerose bekannten, von den Fachmedizinern als Atherosklerose bezeichneten Verhärtung und Verengung der Arterien sind. Dies ist somit – noch vor dem Krebs – die häufigste Todesursache. Dies übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in allen Industriestaaten.

Die Ursachen dieser „Volkskrankheit Nr. 1“ sind vielfältiger Natur. Als nicht zu beeinflussende Risikofaktoren gelten familiäre Vorbelastung, Alter und Geschlecht: Atherosklerose kann zwar auch schon bei Jugendlichen auftreten, nimmt jeoch mit zunehmendem Alter deutlich zu, und Männer sind, statistisch gesehen, fast fünfmal häufiger betroffen. Entscheidend für die medizinische Forschung aber sind die beeinflußbaren Risikofaktoren: Rauchen, Bluthochdruck, Zuckerkrankheit und vor allem Stoffwechselstörungen. Letzteres bedeutet, daß die natürlichen Cholesterinwerte durcheinandergeraten sind.

Cholesterin ist ein Baustein der Zellmembran, der vor allem für die Steuerung lebenswichtiger Hormone zuständig ist. Überwiegend wird es im menschlichen Körper von der Leber produziert; etwa ein Fünftel wird mit der Nahrung aufgenommen, im wesentlichen mit Fleisch, Milchprodukten und Eiern.

Leider ist Cholesterin nicht gleich Cholesterin – es gibt das „gute“ (HDL/high-density-Lipoprotein) und das „schlechte“ (LDL/low-density-Lipoprotein). Lange Zeit waren die Mediziner darauf konzentriert, das „schlechte“ Cholesterin zu bekämpfen, also durch eine Kombination aus Medikamenten und gezielten Änderungen der Ernährungsgewohnheiten die LDL-Werte zu senken. Gesunde, fettarme Ernährung, Verzicht auf Nikotinkonsum (das verharmlosende Wort Genuß sollte in diesem Zusammenhang unbedingt vermieden werden!), körperliche Bewegung und Reduzierung von Übergewicht sind hier die wichtigsten Maßnahmen. Im medikamentösen Bereich gelten sogenannte Statine als das Maß aller LDL-senkenden Dinge.

In den letzten Jahren ist die Forschung hier entscheidend weitergekommen. Heute weiß man, daß es weniger auf die absoluten Cholesterinwerte ankommt als vielmehr auf das richtige Verhältnis zwischen LDL und HDL. Das heißt: Patienten mit erhöhten Werten an „schlechtem“ Cholesterin sollen sich nicht mit den beschriebenen Maßnahmen zur Reduzierung begnügen, sondern parallel dazu bemüht sein, mehr „gutes“ Cholesterin anzureichern.

Im Herbst 2004 hatte die über erste Erfolge auf diesem Wege berichtet (Zusammenfassung vom 27. November 2004). Ein von dem deutschen Pharmakonzern Merck entwickeltes Präparat namens Niaspan war im Rahmen einer internationalen Studie (ARBITER 2/ ARterial Biology for the Investigation of the Treatment Effects of Reducing cholesterol) zwölf Monate lang getestet worden, mit ermutigenden Ergebnissen: Bei nahezu allen der 167 beteiligten Patienten – etwa die Hälfte von ihnen mit einem vorangegangenen Herzinfarkt – konnte der Fortschritt der Atherosklerose durch die kombinierte Verabreichung eines herkömmlichen Statins und des neuen Medikaments aufgehalten werden. Bei Patienten, die nach klassischer Methode nur Statine einnahmen, wurde der Krankheitsverlauf hingegen lediglich verlangsamt.

Seit wenigen Wochen nun liegen neuere, noch erfreulichere Ergebnisse vor. Wiederum diente die Jahrestagung der „American Heart Association“ (AHA) im texanischen Dallas – sozusagem dem Dorado der Kardiologen – als Forum. Und wiederum traf sich eine Gruppe deutscher, Schweizer und österreichischer Journalisten in Frankfurt/Main zu einer von Merck organisierten Video-Pressekonferenz, um via Satellit mit den weltweit führenden Fachleuten den aktuellen Stand der Forschung und klinischen Erprobung zu diskutieren.

Kernaussage der Experten: Nach einer erneuten einjährigen Behandlungsphase führt die Kombinationstherapie von Statin und Niaspan dazu, daß die Atherosklerose, also die durch Ablagerungen verursachte Verengung der Arterien, langsam wieder zurückgeht. So signalisieren die Ergebnisse dieser sogenannten ARBITER-3-Studie die Nahtstelle zwischen Stillstand der Erkrankung und echter Heilung.

An dieser erneuten Langzeitstudie hatten 148 Patienten teilgenommen, die zuvor auch schon bei ARBITER 2 mitgemacht hatten. Die Cholesterinwerte lagen zu Beginn bei durchschnittlich 82 mg/dl (LDL) beziehungsweise 40 mg/dl (HDL). Nach einem Jahr Therapie war der Wert des „guten“ Cholesterins um durchschnittlich 32,7 Prozent angestiegen.

HDL-Cholesterin hat die Eigenschaft, Schadstoffe in den Arterien abzutransportieren, was LDL-Cholesterin nicht kann, so daß solche Partikel sich an der Zellwand ablagern und die Gefäße immer mehr verengen. Offenbar bewirkt die Kombitherapie, daß nach längerer Zeit genügend HDL angereichert wird, um auch bereits abgelagertes Material von der Zellwand wieder abzulösen und abzutransportieren. So wäre der erstaunliche Rück-gang der Atherosklerose zu erklären.

Parallel zu der Weiterentwick-lung der Kombinationstherapie wurden auch die diagnostischen Methoden verfeinert. Bei der Atherosklerose ist die derzeit gebräuchlichste Technik die Ultraschallmessung (B-Mode Ultraschall) der Arterienwanddicke. Dieses Verfahren ist relativ preisgünstig, zuverlässig und sicher. Im Rahmen der ARBITER-Studien wurde vor allem die sogenannte Intima-Media-Dicke (IMT) gemessen, wobei Parameter berücksichtigt werden, die über die reine Wanddickenvermessung hinausgehen.

Es hat sich gezeigt, daß diese IMT-Werte recht zuverlässige Aussagen darüber zulassen, ob eine Arterienverengung beziehungsweise -verkalkung vorliegt und welches Stadium sie bereits erreicht hat. Zugleich lassen sich so natürlich auch mögliche Therapie-erfolge kontinuierlich messen.

Prof. Dr. Allan J. Taylor vom Walter Reed Army Medical Center, einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet, wies in der Satelliten-Pressekonferenz darauf hin, daß es jetzt darauf ankomme, die Ergebnisse der ARBITER-3-Studie auf eine breitere Basis zu stellen. In den USA startet das National Institute of Health gerade eine Studie mit 3300 Patienten, die AHA erfaßt die Daten von über 44000 Atherosklerosekranken.

Weitere Forschungsschwerpunkte sind Seattle/US (Prof. Greg Brown), London (Dr. Anthony Wierzbicki), die Universität Köln (Prof. Dr. Matthias Blüher) sowie die Albert-Schweitzer-Klinik in Königsfeld/Schwarzwald (Priv.-Dozent Dr. Stephan Jacob).

Nicht zuletzt ruhen die Hoffnungen Zigtausender kranker Menschen aber auch auf dem Forschungspotential des Pharmakonzerns Merck, der mit der Entwick-lung von Niaspan an die „guten alten Zeiten“ anknüpft, als Deutschland sich noch stolz „Apotheke der Welt“ nennen durfte.

Der entscheidende Wirkstoff von Niaspan trägt übrigens den bedrohlich klingenden Namen Nikotinsäure (Niacin). Das hat aber, außer der Namensähnlichkeit, mit dem Giftstoff Nikotin nichts zu tun: Nikotinsäure ist eine Art Vitamin (B 3), dessen positive Wirkung beim Aufbau des „guten“ Cholesterins seit langem bekannt ist. Es konnte bis vor kurzem aber in der Medizin nicht zum Einsatz kommen, weil es auch erhebliche Nebenwirkungen auslöste.

Die aber hat die Forschungsabteilung von Merck inzwischen in den Griff bekommen. Die Nikotinsäure wird in retardierter (verzögert in der Freisetzung des Wirkstoffs) Form eingesetzt; damit können, wie die ARBITER-Studien sowie andere klinische Untersuchungen bestätigt haben, die Nebenwirkungen auf ein aus ärztlicher Sicht akzeptables Minimalmaß reduziert werden.

Üblicherweise wird das Medikament einmal täglich vor dem Zubettgehen eingenommen. Die Nikotinsäure wird dann über einen Zeitraum von acht bis zwölf Stunden freigesetzt. Unerwünschte Wirkungen, wie sie bei sofort freisetzenden Präparaten zuvor leider in erheblichem Maße zu beobachten waren, kommen nun nicht mehr vor. Damit war der Weg frei für das Medikament Niaspan, das zwar die Atherosklerose als Volkskrankheit noch nicht endgültig besiegen kann, wohl aber im Kampf gegen diese wichtigste Todesursache einen wichtigen Meilenstein markiert.

Die Erfolgszahlen in Kürze: Im Rahmen der Langzeittherapie steigt das „gute“ HDL-Cholesterin um 30 Prozent, während das „schlechte“ LDL-Cholesterin um 47 und die ebenfalls schädlichen Trilyzerine um 41 Prozent sinken. Erfolgszahlen meldet auch der Niaspan-Hersteller: Das Medikament, in den USA bereits seit 1997 zugelassen, kann inzwischen auch in neun europäischen und acht außereuropäischen Ländern vermarktet werden.

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