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Im Morgengrauen des 20. Juli 1974 landeten türkische Soldaten an der Küste von Nordzypern. Mord, Totschlag und massenhafte Vertreibungen folgten; tiefe Wunden entstanden, die bis heute nicht heilten. Seither steht Zypern im Windschatten und gerät relativ selten in die Schlagzeilen. Desto mehr Aufsehen erregte das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshof
es für Menschenrechte: Am 10. Mai gaben nun die Straßburger Richter erstmals einer Klage (Süd-) Zyperns gegen die Türkei statt. Ankara habe gegen 14 Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, weil es 1974 rund 200 000 griechische Zyprioten aus dem Nordteil der Insel vertrieb, widerrechtliche Enteignungen vornahm und Griechen diskriminiere, die noch in Nordzypern leben. Vermutlich wird die Türkei diesen Urteilsspruch, wie andere bezüglich der Menschenrechte auch, ignorieren.

Gegenwärtig ist Zypern fast hermetischer geteilt als Deutschland vor 1989. Mitten durch die Stadt Nikosia verläuft eine Grenze, die fatal an die Berliner Mauer erinnert. Wie und warum kam es zu dieser Katastrophe?

Schon lange wird Zypern hart umkämpft. Etwa 500 000 Griechen und 150 000 Türken leben auf dieser drittgrößten Insel des Mittelmeers. Großenteils handelt es sich bei den Türken um Nachkommen von Einwanderern, die in der Zeit der türkischen Herrschaft über Zypern (1570–1914) hier siedelten. Den Halbmond verdrängte Großbritannien, das Zypern 1925 zur Kronkolonie erklärte.

Im August 1960 proklamierte Staatspräsident und Erzbischof Makarios III. die zyprische Souveränität. Makarios gehörte eigentlich zur Partei der Enosis ("Anschluß"), hielt diese aber vorerst nicht für realisierbar. Ende 1963 begann ein Bürgerkrieg zwischen den verfeindeten Volksgruppen. Nach Zypern eilten UNO-Truppen, die nur mühsam den Frieden zu wahren vermochten. Fast alle regulären griechischen und türkischen Militärs verließen die Insel. Beide Bevölkerungsteile formierten Nationalgarden. Im Dezember 1967 bildeten die Zypern-Türken eine eigene "provisorische Verwaltung", die Makarios jedoch nicht anerkannte. Dann putschte die griechische Nationalgarde 1974 gegen Makarios, der flüchtete. Sein Nachfolger hieß Nikos Sampson, bekannt als "Engländer – und Türkenschlächter"; das neue Regime proklamierte die Enosis.

Nur fünf Tage nach dem Sampson-Putsch – eine auffällig kurze Zeitspanne – griffen türkische Streitkräfte Zypern an. US-Diplomaten war es nicht gelungen, die Türkei von einer Invasion abzuhalten. Türkische Fluzeuge bombardierten Nikosia, Fallschirmjäger landeten, Panzer und Infanterie stießen vor. Dreitägige schwere Kämpfe entbrannten. Griechenland verkündete die Generalmobilmachung. Ein Krieg mit der Türkei stand unmittelbar bevor. Lediglich auf Grund massiver Intervention der USA, die drohten, beiden Ländern die Wirtschaftshilfe zu streichen, trat Ruhe ein. Washington und London verlangten die Rückkehr von Makarios und die Wiederherstellung des Status quo ante. Schon am 23. Juli, bei Verkündung des Waffenstillstands auf Zypern, brach das Athener Militärregime zusammen und gab die Macht an Karamanlis zurück. Gleichzeitig verschwand Nikos Sampson. An dessen Stelle trat der zyprische Parlamentspräsident und Makarios-Anhänger Kleridis.

Bis zum August 1974 okkupierten die Türken völkerrechtswidrig 40 Prozent der Fläche Zyperns, obwohl sie nur 20 Prozent der Bevölkerung stellten. Unter türkische Hoheit gerieten die landwirtschaftlich ertragreichsten Gebiete. Im Zuge eines Bevölkerungsaustausches mußten 200 000 Griechen den Nordteil der Insel räumen. Türkische Einwanderer aus Anatolien strömten nach Zypern.

Die Teilung Zyperns ist durch nichts zu rechtfertigen. Die "Türkische Republik Nordzypern", 1983 einseitig ausgerufen, wird von der UNO nicht anerkannt. Nur zur Türkei unterhielt dieser Pseudostaat diplomatische Beziehungen. Der Nordteil der Insel befindet sich im wirtschaftlichen Niedergang, während die Südhälfte eine Blüte erlebt. Noch immer gilt das vor Jahren geäußerte Diktum der türkischen Außenministerin Tansu Ciller, daß die Türkei jedem, der es wage, Nordzypern anzutasten, die Hand brechen wolle. Auf Zypern hat das Faustrecht gesiegt. Ewig kann diese Lage, die auch unter dem Aspekt des Straßburger Urteils für deutsche Vertriebene von Belang ist, nicht fortbestehen.

 
     
     
 
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