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Betrogene Deutsche

 
     
 
Als Spanien und Portugal Mitte der achtziger Jahre zögerten, der damaligen EG beizutreten, weil beide die übermächtige nordeuropäische Konkurrenz fürchteten, stellte Brüssel beträchtliche Mittel bereit. Griechenland war bereits 1981 beigetreten, und, weil auch Irland unter 75 Prozent des EG-Durchschnitts lag – gemessen am Brutto-Inlandsprodukt je Einwohner – gehörten schließlich auch noch die Iren zur "Süderweiterung".

Die "Rangliste der Nationen" (Grafik
rechts) informiert über Produktivität und Wohlstand der Industrieländer, und darüber hinaus zeigt sie auf, wo die Südeuropäer heute stehen, 15 Jahre nach der mit rund 300 Milliarden Mark geförderten Süderweiterung, und sie dokumentiert Deutschlands rasanten Abstieg, der in dieser Intensität bisher weder den Deutschen noch den Europäern bewußt geworden ist. Die größte Sensation? Irland, das 1985 nur 68 Prozent des EG-Durchschnitts schaffte, liegt jetzt bei 130 Prozent. Damit führen die Iren das gehobene Mittelfeld an – deutlich vor den Briten. Deutschland liegt im weltweiten Vergleich nur noch auf dem 14. Rang. Unter dem EU-Durchschnitt verharrt Spanien, das erstmals, dank deutscher Hilfe, die "Neuen Bundesländer" überholt hat. Griechen und Portugiesen sind nach wie vor Schlußlichter im Wohlstands-Konvoi.

Doch zurück zur Analyse der Effizienz der Süderweiterung. Spanien schaffte 1985 nur 54 Prozent des EG-Durchschnitts, derzeit leisten Madrilenen und Katalanen 67 Prozent, also ein Aufhol-Effekt von gerade mal 13 Punkten. Wenn die stolzen Iberer mit diesem Tempo weitermachen, erreichen sie den EU-Durchschnitt erst in 25 Jahren!

Die Portugiesen holten etwas deutlicher auf, nämlich von 26 auf 47 Prozent, aber auch sie haben noch eine lange Aufhol-Periode vor sich.

Absolut unakzeptabel war der viel zu geringe griechische Aufhol-Effekt von lediglich zehn Punkten, von 43 bis auf 53 Prozent des EU-Schnitts. Dabei erhielten sie allein 1997 mit 8,4 Milliarden D-Mark einen Zuschuß, der drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung ausmachte – doch mit ähnlich komfortablen Zuschüssen über die letzten 15 Jahre hinweg schafften sie gerade zwei Prozent reales Wachstum pro Jahr.

Warum das so war?

Athen finanzierte mit EU-Geldern die mit Abstand höchste EU-Rüstungs-Quote von knapp fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes! Dies liegt am gespannten Verhältnis zu Ankara (offiziell auch EU-Beitrittskandidat), zu welchem der EU bis heute nichts Sinnvolles einfallen wollte.

Damit kommen wir vom ökonomischen zum außenpolitischen Mißmanagement der EU, die nicht nur in Bosnien total versagt hatte oder im Kosovo. Die EU hat, was die partnerschaftliche Vermittlung von Griechen und Türken betraf, gleichfalls so gut wie nichts geleistet.

Die Europäische Union hat folglich ihr selbstgestecktes Ziel, den wirtschaftlich schwächeren Süden an den fortgeschrittenen Norden heranzuführen, weitgehend verfehlt, nämlich bei 60 Millionen Griechen, Portugiesen und Spaniern, nur die 3,7 Millionen Iren übersprangen sogar deutlich den EU-Durchschnitt.

Das zweite strategische Ziel, die übergroßen Leistungs- und Wohlstands-Differenzen zwischen Nord und Süd zu verringern, wurde sogar absolut verfehlt. Denn das reichste Land der Welt, Luxemburg, das 1985 noch 98 Punkte über dem ärmsten EU-Mitglied gelegen hatte, rangiert heute 158 Punkte über dem immer noch ärmsten EU-Land, Portugal.

Oder Dänemark, das zweitreichste EU-Mitglied, das 1985 noch 101 Punkte vor Griechenland gelegen hatte, rangiert heute noch 98 Punkte vor Griechenland – das heißt, Dänen und Luxemburger sind heute, wie vor 15 Jahren, immer noch drei- bis viermal so wohlhabend wie Griechen und Portugiesen.

Doch damit nicht genug. Die reichen Luxemburger und Dänen, aber auch die wohlhabenden Belgier, haben sich von vornherein gar nicht erst am großen europäischen Solidar-Pakt, der Süderweiterung, beteiligt, sondern verdienten daran gar noch. Wie soll mit dieser Einstellung die Osterweiterung finanziert werden?

Nizza hatte erneut weder die deutschen Netto-Zahlungen noch die Finanzierung der Osterweiterung auf der Tagesordnung. Statt dessen wurde die unfaire Finanzierung der Süderweiterung bis 2006 festgeschrieben, die sich für Deutsche fast wie ein Krimi liest.

Belgien etwa zahlte 1997 bei der EU 4,6 Milliarden Mark ein, erhielt aus allen "EU-Töpfen" 7,9 Milliarden Mark zurück, unterm Strich blieben 3,3 Milliarden Mark hängen, die größtenteils aus Deutschland stammen.

Die Luxemburger zahlten im selben Jahr bei der EU 0,4 Milliarden Mark ein, erhielten 1,8 Milliarden Mark zurück und verdienten so an Europa 1,4 Milliarden Mark.

Der größte Teil dieses Geldes spricht deutsch, wie die Luxemburger. Wegen der geringen Bevölkerungszahl erhielt 1997 jeder Luxemburger im Schnitt 3 333 DM. In Portugal kamen als Förderland je Einwohner bloß 520 Mark an.

Doch damit erschöpfen sich die Brüsseler Ungereimtheiten noch keineswegs. Niederländer, Öster-reicher und Schweden zahlten gemeinsam 6,4 Milliarden Mark ein mit 33 Millionen Einwohnern. Briten und Italie-ner wiederum zahlten zusam-mengenommen nur 2,4 Milliarden Mark ein – bei 117 Millionen Ein-wohnern.

Reich hilft arm! Dieses solidarische Prinzip, das Freiheit, Frieden und Wohlstand für alle Europäer sichern und gleichzeitig zur permanenten Erweiterung motivieren soll, funktioniert nicht.

Vielleicht liegt es daran, daß dieses Prinzip, historisch-mental gesehen, eben doch eher nordeuropäisch verwurzelt ist – deshalb griff es ja zunächst auch nur bei den Iren.

Fest steht jedenfalls: Der EU-Ministerrat ist dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, daß alle Netto-Empfänger ihre Hilfsgelder wirkungsvoller einsetzen, "statt unser Geld zu verbraten", wie Gerhard Schröder es kurz vor dem Berliner Gipfel Ende März 1999 formulierte.

Das Straßburger Parlament nannte das Ergebnis von Nizza 2000 mit großer Mehrheit "unzureichend"! Noch deutlicher wurde der CDU-Europa-Abgeordnete Elmar Brok: "Die Abstimmungs-Strukturen wurden nicht einfacher, sondern komplizierter; denn jetzt gibt es gleich drei Mehrheiten: 74 Prozent im Ministerrat, 62 Prozent für die Bevölkerung, 51 Prozent für Mitgliedstaaten. Eine Minderheit kann dadurch den EU-Ministerrat noch leichter blockieren als bisher, und Deutschlands überhöhte Netto-Zahlungen sind dadurch kaum noch abzubauen, sondern werden eher noch größer, unsere Asyl-Politik wird genauso erschwert wie der Kampf gegen die Kriminalität." Eine Ablehnung des Vertrages verzögere außerdem keineswegs die Osterweiterung. Es sei deshalb die Pflicht der Parlamentarier, Europa vor Nizza zu retten. ("Die Welt", 19. Dezember 2000, Seite 8)

Kurz und gut: Der französische Gipfel blieb erneut im rein Organisatorischen stecken, kam wieder nicht zum eigentlich inhaltlichen Schwerpunkt, zur strategischen Frage, welche die Zukunft betrifft: Was kostet die Osterweiterung? Und wie beteiligt sich jedes EU-Mitglied daran?

Die Art und Weise indes, wie sowohl Mitterand als auch Chirac ihre europäischen Aufgaben und Kompetenzen übertraten, mißachteten oder nicht genügend nutzten, drängt immer wieder den Verdacht auf, daß Aufgaben und Entscheidungs-Kompetenzen innerhalb der EU-Hierarchie vor allem deshalb ungenau beschrieben oder nur unklar abgegrenzt sind, weil nur so jene Spielräume entstehen, die die kleinen EU-Mitglieder in Nizza erstmalig dazu provozierten, Chirac namentlich anzuprangern: "Frankreichs Präsident verfolgt nicht europäische Ziele, sondern nationalistische Interessen Frankreichs!" Als er seine Nizzaer "Leistungen" den Straßburger Abgeordneten als das "bestmögliche Ergebnis unter den gegebenen Umständen" präsentierte, und Nizza als "historischen Gipfel an der Côte d’Azur" hochlobte, gab es nur ungewöhnlich kühlen, sehr spärlichen Beifall. EVP-Fraktions-Chef Hans-Gert Pöttering sagte frei heraus: "Das ist kein großer Vertrag!"

Dazu der Publizist Michael Stürmer: "Der Europäische Rat von Nizza hieß nur so. In Wahrheit war es eine altmodische Veranstaltung der europäischen Nationalstaaten, die um Vorteile und Positionen feilschten. Die Idee europäischer Einheit oder auch nur des Gesamtinteresses war ein Waisenkind; es fanden sich keine Adoptiveltern, nicht einmal Deutschland. ....Die EU hat mit dem Euro offenkundig eine Schwelle erreicht, die zur Zeit kaum überschreitbar erscheint." ("Die Welt", 23. Dezember 2000)

Nach Meinung kompetenter Beobachter ist das eher noch tiefgestapelt, der Chauvinismus war nämlich beim großen Berliner EU-Gipfel Ende März 1999 noch weit größer als in Nizza und er spricht nicht nur französisch.

Das eigentliche Management-Problem der Europäischen Union besteht deshalb nicht darin, daß einige Kommissare betrügerisch und korrupt handelten, so daß die gesamte EU-Kommission 1999 auf Beschluß des Straßburger Parlaments zurücktreten mußte. Weit schwerer wiegt die ineffiziente, verschwenderische, nur wenig erfolgreiche Tätigkeit der Kommission über 15 Jahre hinweg. Diese hat die großen strategischen Ziele der Süderweiterung infolge schwerwiegender Managementfehler derart massiv verfehlt, daß die Osterweiterung schon einmal von 1998 auf 2006 verschoben wurde; denn das dafür erforderliche Geld wird noch unverhältnismäßig lange Zeit für den Süden der EU benötigt. Bei dieser Sachlage hätte der große EU-Gipfel Ende März 1999 in Berlin die Qualität des Brüsseler Managements gründlich analysieren müssen, gewiß auch mit personellen Konsequenzen, um erst danach die Weichen des europäischen Einigungs-Prozesses bis 2006 zu stellen.

Den Vorsitz hatte Deutschland, und Gerhard Schröder wollte unsere total überhöhten, ungerechten Nettozahlungen reduzieren. Schweden und Niederländer wollten uns beistehen, aber alle wußten, daß allein dieser Tagesordnungspunkt für alle Südeuropäer geringere Subventionen, für Frankreich wie Großbritannien aber deutlich höhere Nettozahlungen auslösen mußte! Deshalb kam alles anders – der Gipfel wurde noch vor seiner Eröffnung abrupt über den Haufen geworfen! Spaniens Nato-Generalsekretär Javier Solana ließ wenige Stunden vor Tagungs-Beginn, in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag, Belgrad bombardieren. Damit sprengte er den ordnungsgemäßen Beginn der Tagung und halbierte den Zeitplan.

So konnte der überrumpelte Kanzler Schröder Deutschlands Nettozahlungen nicht um eine Mark reduzieren, weil das ganze Problem aus Zeitmangel vom Tisch gefegt wurde – genauso wie sämtliche zur Sprache anstehenden Ungerechtigkeiten oder die uneffektiven Subventions-Maßstäbe. Dies und anderes wurde ohne jede Änderung bis 2006 fortgeschrieben.

Jacques Chirac verteidigte vehement milliardenschwere EU-Hilfen für Frankreichs Landwirtschaft, obwohl diese bekanntlich klimatisch günstig gelegen, fruchtbar und ertragreich ist. Wir helfen trotzdem mit jährlich elf Milliarden Mark auch französischen Landwirten, darunter sogar im reichen Pariser Weizengürtel.

Für die Griechen gab es nicht ein einziges kritisches Wort.

Nur Italien bekam wegen seiner außergewöhnlich hohen Schwarzmarkt-Quote von über
25 Prozent höhere Beiträge aufgebrummt. Allerdings wurde der Italiener Prodi Präsident der EU-Kommission, obwohl Rom lange Zeit seine eigentliche Wirtschaftsleistung vor der EU verschwiegen und zwanzig Jahre lang zu niedrige Beiträge gezahlt hat.

Den größten Gewinn machte der unbestritten cleverste Tagungsteilnehmer, Javier Solana. Als Nato-Generalsekretär rettete er für Spanien die ungekürzte Fortzahlung von elf Milliarden Mark EU-Hilfe pro Jahr bis mindestens 2006, die überwiegend Deutschland aufzubringen hat, und über das Kosovo-Abenteuer empfahl er sich sogar als erster "Außenminister" Europas. Mit "unserem Geld" baut Spanien nun die ICE-Strecke Barcelona-Madrid, wir hingegen mußten die ICE-Strecke Würzburg-Erfurt, die zum Aufbau-Programm Deutsche Einheit gehört, streichen, weil das Geld dafür fehlt.

 
     
     
 
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