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Baustelle SPD

 
     
 
Die letzte Grundsatzdebatte der SPD ist gründlich ins Wasser gefallen. Der Berliner Programm-Parteitag der SPD 1989 - damals noch im Westberliner ICC - fand unter widrigen Umständen für die Genossen statt.

Ein Monat zuvor war die Mauer gefallen und hat alles in Deutschland über den Haufen geworfen - vor allem das deutschlandpolitische Konzept der SPD. Den Niedergang des real existierenden Sozialismus Ost mußte die damalige Generation von SPD-Politikern erst einmal verkraften.

Diesmal erfolgt der Auftakt zur neuen Grundsatzdebatte im Ostteil der Stadt. Am Alexanderplatz
, jener häßlichen Dauerbaustelle, beginnt die SPD mit ihrer inhaltlichen Neubestimmung: Wer sind wir? Was wollen wir? Diese Standortbestimmung ähnelt der Dauerbaustelle "Alex".

Der Parteitag ist eine Medienveranstaltung, die einen Prozeß einleiten soll, der wichtiger ist als das Programm, das am Ende auf dem Tisch liegt. Bei Programmdebatten ist der Weg das Ziel.

Die SPD ist eine Partei, die Hunderttausende von Mitgliedern hat. Eingeladen sind aber nur 300 Spitzengenossen, dazu rund 100 Pressevertreter. Einfache Mitglieder dürfen in einem separaten Raum Platz nehmen und die Übertragung aus dem Konferenzsaal verfolgen.

Dort steht Ute Vogt auf der Bühne und fordert in reinem Schwäbisch: "Es braucht Visionen, wie die Gesellschaft in 20 Jahren aussieht."

Damit ist der Rahmen abgesteckt: Es geht nicht um tagespolitische Aussagen, sondern um allgemeine politische Forderungen, die sich die SPD auf die Fahne schreibt. Auf die stellvertretende Parteivorsitzende folgt der neue Chef, Ministerpräsident Kurt Beck. Es ist sein erster Auftritt in der Hauptstadt nach dem überraschenden Rücktritt von Matthias Platzeck vom Vorsitz.

Diese Grundsatzdebatte war Platzecks Thema. Der Pfälzer dagegen gilt als Machtmensch vom Schlage Helmut Kohls, als Mann mit dem Ohr am Volk. Intellektuelle Grundsatzdebatte? Das paßt nicht zu Beck, wenngleich er es versteht, in unendlichen, Marx schen Schachtelsätzen zu reden.

Gleich zu Beginn der Debatte sagt er, Solidarität beziehe sich für Sozialdemokraten nicht nur auf den unmittelbaren Nachbarn, "sondern auch auf die Hungernden in Afrika". Die SPD und Kurt Beck retten die Welt.

Doch dann kehrt der Mainzer Regierungschef aber schnell zu konkreten Beispielen und realen Begebenheiten zurück, das liegt ihm auch viel besser. Beck sinniert über seine Amtswohnung in der Vertretung der rheinlandpfälzischen Landesregierung in der Bundeshauptstadt: "Wenn ich mich manchmal am Abend auf den Balkon setze und an die Mauer denke, die genau hier verlaufen ist, und wenn ich mich daran erinnere, wie wir als Schüler auf der Westseite auf Holzgerüste gestiegen sind, um in den Osten hinüberzuschauen, dann weiß ich wieder, was für eine glückliche Generation wir sind."

Dann setzt er seine Rede fort, indem er sagt: "Wir haben uns manchmal geirrt, aber die Grundpositionen haben immer gestimmt." Solche Sätze wirken wie ein hilfloser Versuch, die eigene Rolle und die mangelnde Distanz der SPD zur SED zu rechtfertigen. Nirgendwo lag die SPD je falscher als in der Frage der "Anerkennung der Realitäten" vor 1989, auch wenn Kurt Beck das Gegenteil zu suggerieren versucht.

Zum anderen positioniert er sich - und das gelingt ihm schon besser - für die kommende Auseinandersetzung mit der Kanzlerin. Merkel spielt selbst ständig auf ihre mitteldeutsche Herkunft und die Zeit vor der Einheit an. Wenn Beck bewußt versucht, es ihr auf diese Art gleichzutun, dann ist die wichtigste Aussage des Parteitages vielleicht doch personeller und nicht inhaltlicher Natur. Nur einmal trifft Beck, der zur Minderheit der Bundespolitiker gehört, die ihren Wehrdienst absolviert haben, eine klare Aussage, die einen klaren Richtungswechsel bedeutet: "Wir müssen auch unseren Beitrag für den Frieden durch unsere Bundeswehr leisten."

Das ist das Gegenteil von dem, was noch im Berliner Programm Kernthese sozialdemokratischer Politik war. Selbst im rot-grünen Koalitionsvertrag von 1998 lautet der erste Satz im Kapitel "Außenpolitik" noch: "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik".

Von dieser Politik hat sich die SPD aber bereits unter Schröder verabschiedet. Vor Becks Wortbeitrag wurde ein Film gezeigt, den eine Bundeswehr-Presseabteilung gedreht haben könnte: Soldaten im Auslandseinsatz, die Bundesmarine in fremden Gewässern. Wer hätte das in den 80er Jahren gedacht, als die SPD noch für den politischen Arm der Friedensbewegung gehalten wurde? "Jedes Volk der Welt hat das Recht und die Pflicht, seine Bürger zu schützen", so Becks Fazit ein Vierteljahrhundert nach dem Nato-Doppelbeschluß.

Exklusive Veranstaltung: Zur Grundsatzdebatte der SPD am Berliner Alexanderplatz waren nur 300 Parteipolitiker und die Presse geladen. Einfache Mitglieder konnten allerdings in einem seperaten Raum die Sitzung über Großleinwand verfolgen.
 
     
     
 
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