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Berlin: Zurück zu den

 
     
 
Mit der Großausstellung "Das XX. Jahrhundert. Ein Jahrhundert Kunst in Deutschland", die kürzlich in Berlin eröffnet wurde, ha das Nachdenken und Resümieren über das Selbstverständnis der Deutschen am Ende diese Jahrhunderts einen Höhepunkt erreicht. Es ist eine aussagekräftige Pointe, daß si zusammenfällt mit dem Berlin-Umzug von Regierung und Parlament. Sie setzt sich zusamme aus drei großen Einzelexpositionen im Alten Museum ("Gewalt in der Kunst"), in der Neuen National
galerie ("Geist und Materie") und im Museum Hamburger Bahnho ("Collage-Montage"), die jeweils selbstständig sind und doch im Zusammenhan miteinander stehen. Ist es in Schinkels Altem Museum der Glaube an die gesellschaftlich Wirkungsmacht der Kunst, der in den Mittelpunkt gerückt wurde, werden in Mies van de Rohes hellem Glasbau die Metamorphosen der spirituellen Sehnsüchte der Künstle herausgearbeitet. Im Hamburger Bahnhof schließlich, der erst vor wenigen Jahren als Ausstellungsort für moderne Kunst eröffnet wurde, geht es um neuere, vom rasante technischen Fortschritt inspirierte Kunst- und Ausdrucksformen, die vor allem in de zweiten Jahrhunderthälfte kreiert wurden. Bei aller quantitativen Wucht (über 600 Werk von 200 Künstlern) enthält die Ausstellung sich jeder Geste pompösen Auftrumpfens. Si ist, um das vorwegzunehmen, weder als Kanonisierungsversuch noch als repräsentativ Selbstdarstellung der Kunst in Deutschland angelegt. Am besten tut man daran, sie als Abfolge widersprüchlicher und Widerspruch herausfordernder Meditationen, als Gesprächsangebot über Themen zu betrachten, die die deutsche Kunst und Gesellschaft in diesem Jahrhundert beschäftigen und die, wie sich an seinem Ende herausstellt, längs noch nicht erledigt sind.

Die stärkste Wirkung geht von der Ausstellung "Die Gewalt in der Kunst" aus Der Titel zielt auf die Ansprüche der Kunst und der sendungsbewußten, in Nietzsche Tradition stehenden Künstler auf gesellschaftliche Wegweisung und Erziehung, die ih Gegenstück in der kunstgläubigen Erwartungshaltung des deutschen Publikums fanden – und finden. Die Rotunde des Alten Museums als Vestibül wirkt überaus sinnfällig, wei Schinkel hier Schillers Programm einer "Ästhetischen Erziehung de Menschengeschlechts" den kongenialen architektonischen Ausdruck gegeben hat. Ei großer, durchgehender Bogen wird geschlagen von Albrecht Dürer, der in seine "Ästhetischen Exkurs" die faktische Gottgleichheit des Künstlers hervorgehobe hatte, bis hin zu Joseph Beuys als Adepten von Nietzsches "Artisten-Metaphysik" Alle die heißen Debatten in Deutschland, die sich um die verspätete Nation, u romantische Weltflucht, um die Sakralität der Kunst und die mit ihr verbundene Überwältigungsphantasien und Erlösungshoffnungen rankten, die Diskussionen über die Unfähigkeit der Deutschen zur Politik, über die Flucht aus der Geschichte und über ein Vergangenheit, die nicht vergehen will – sie alle sind in dieser großen Kunstscha aufgehoben. Und das in einer abgeklärten Weise, die den moralischen Furor vergangene Zeiten vermissen läßt. Es hat sogar etwas Erheiterndes, Hitler auf dem Gemäld "Der Bannerführer" von Hubert Lanzinger gewissermaßen als Nachfahre vo Wassili Kandinskys "Blauem Reiter" zu sehen. Deutsche Geschichte un Kunstgeschichte als Panoptikum: Allein für diese Wendung ins Ironische, für dies geniale, leider noch immer untypische Leichtigkeit, gebührt dem Ausstellungsleite Klaus-Peter Schuster Dank und Respekt.

Die Kunst des "Dritten Reiches" wird nicht einfach mehr als Widersacher de Moderne präsentiert, sondern als eine extreme Möglichkeit der Kunst in Deutschland un zugleich als Paradigma für den Sündenfall der Moderne überhaupt. Die Neigung zu Gesamtkunstwerk, das alle Sinne bezwingt, die Ästhetisierung des gesellschaftliche Lebens, die Formierung der Massen, die Ersetzung der realen Wirklichkeit durch ein virtuelle, das war eine Tendenz, die sich gerade auch in der avantgardistischen Kuns – auch außerhalb Deutschlands – seit langem abzeichnete. Die politisch Situation im "Dritten Reich", im Zusammenspiel mit den neuen technische Errungenschaften, bot die Möglichkeit, in der Luft liegende künstlerisch Allmachtsphantasien im ungeheuren Maßstab umzusetzen. Leni Riefenstahls legendär Parteitags- und Olympia-Filme entstanden in Deutschland, doch Begeisterung lösten si auch im Ausland aus. Am Rande: Es war beim Presserundgang vielsagend, wie sic ausgerechnet im thematischen Raum "Die Ästhetik der Macht", in de Riefenstahl-Sequenzen über die Leinwände flimmern und die Breker-Statu "Prometheus" aufgestellt ist, der erste große Stau der aufgeklärten Benjamin und Adorno-geschulten Journalisten bildete.

Die These vom deutschen "Sonderweg" wird zwar nich aus-drücklich zurückgenommen, aber doch deutlich relativiert. Neu ist dieser Ansat nicht, aber noch nie wurde er einer so großen und anspruchsvollen Ausstellung zugrund gelegt. Insofern darf man ihr schon jetzt eine Langzeitwirkung prognostizieren. Mehr noch Sie macht deutlich, daß die innere Gelassenheit der deutschen Gesellschaft schon vie größer, daß die geistigen und mentalen "Normalisierungsprozesse" in Deutschland viel weiter fortgeschritten sind, als man annimmt und hysterisch Medienkampagnen das suggerieren.

Einen spezifischen Blickwinkel, der sich auf den Kunstertrag aus Ostdeutschlan richtet, kann man in diesem Kontext schlechterdings nicht erwarten. Es sind abe bedeutende Künstler vertreten, die in Ostdeutschland oder im Sudetenland geboren sind, s Bernhard Heisig (geboren 1925 in Breslau), Siegmar Polke (1941 in Oels/Schlesien) un Markus Lüpertz (1941 in Reichenberg). Nach Heisigs Gemälde "Beharrlichkeit de Vergessens" ist sogar ein thematischer Ausstellungsraum benannt. In Ausstellung un Katalogtext wird ausdrücklich ein Zusammenhang zwischen den geschichtsträchtigen Werke von Heisig, Lüpertz sowie von Georg Baselitz und Eugen Schönbeck – letztere kame 1957 bzw. 1955 aus der DDR nach Westdeutschland – hergestellt und mit dem gemeinsame Fluchterlebnis begründet.

Das Bild "Der geblendete Simson" des gebürtigen Ostdeutschland Lovis Corint (geboren 1858 in Tapiau, gestorben 1925 Zandvoort/Niederlande) wird gleich im erste Ausstellungsraum zum Thema "Künstlerkult der Deutschen" neben Werken von Ma Beckmann, Otto Dix, Anselm Kiefer und anderen gezeigt. Das 1912 vollendete Gemälde wa das erste größere Werk, das Corinth nach einem Schlaganfall geschaffen hatte. Im Rahme der 1996 in München und Berlin gezeigten Corinth-Ausstellung hatte es vor allem ein biographische Ausdeutung erfahren: In ihm sollte sich die Überwindung des eigenen Leid widerspiegeln. Nun drückt sich darin – laut Katalog – ein in Ketten gelegte Übermenschentum aus, "der Kampf gegen das Leben durch die Gewalt der Kunst, als dionysische Übersteigerung des Lebens".

Die Ausstellung ist weit entfernt vom plakativen Europa- oder Westliche- ode Eine-Welt-Enthusiasmus. Andererseits sind die internationalen Verknüpfungen de Kunstszene so überzeugend und notorisch, daß eine exklusiv national angelegt Kunstgeschichte vermutlich ihr Thema verfehlt hätte. Deshalb zeigt die Ausstellung auc "Kunst in Deutschland" statt "Deutscher Kunst". Doch wenn sich ein nationale Kunstmetaphysik als Zentrum gesellschaftlicher Sinnstiftung und Bezugspunk politischen Handelns zu verbieten scheint, ein paar Denkanstöße über deutsche Spezifik in der Kunst, über feststellbare "Differenzen" zwischen der Kunst in Deutschland und der in den Nachbarländern, hätte man gern erhalten. Ausgerechnet de letzte der Katalogtexte, der sich unter der Überschrift "Das Deutsche als ästhetische Unmöglichkeit" mit dieser Frage zu beschäftigen vorgibt, erklär "das Deutsche" einfach zu einem "imaginären Fluchtpunkt" und vereng es auf den gewaltsamen Versuch, eine falsche "Sinntotalität" herzustellen. Zu Beweis wird der Romantiker Wackenroder einfach mit Hitler kurzgeschlossen. Man fragt sich was dieser mit alt- und neulinken Vorurteilen befrachtete Aufsatz in diese qualitätsvollen Katalog überhaupt zu suchen hat.

Zum Schluß durchschreitet man eine von stechendem weißen Licht erfüllte, völli leere Halle, die Gerhard Merz gestaltet hat und den Brecht-Satz, wenn alle Irrtüme verbraucht seien, stehe man dem Nichts gegenüber, zu paraphrasieren scheint. Das ist ein radikale Absage an den Fortschritts- und Humanisierungsglauben, der im 19. und 20 Jahrhundert noch die Kunst erfüllte. Doch ein Zitat aus dem Römerbrief 13, Vers 12 verleiht der Rauminstallation so etwas wie eine Transzendenz zur Hoffnung: "Die Nach ist fortgeschritten, der Tag nähert sich. Befreien wir uns also von den Werken de Finsternis, kehren wir zurück zu den Waffen des Lichts." Beim Verlassen des Museum ist man direkt neugierig auf das nun kommende 21. Jahrhundert.

Die Ausstellung ist bis zum 9. Januar 2000 geöffnet. Der Katalog (Nicolai Verlag Berlin) kostet 49,80 DM. Der Bildatlas "Das XX. Jahrhundert (Verlag DuMont, Köln kostet ebenfalls 49,80 DM.


 
     
     
 
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