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Friedrich Nietzsche - Leben Werk und Wirkung

 
     
 
Kein Philosoph der Neuzei hat die Gemüter bis zu heutigen Tag heftiger erregt als Friedrich Nietzsche. Keiner hat es vor ihm geschafft sowohl in den einstigen kommunistischen Staaten wie auch bei der katholischen Kirch gleichermaßen auf dem Index zu stehen. Nach wie vor polarisiert der eigenwillig Philosoph, ohne daß eine eindeutige Zuordnung gelingt. Der sich am 25. August zu einhundertsten Mal jährende Todestag Nietzsches bündelt zwar noch einmal im besondere das vielfältige Interesse an seiner Person in Form von Publikationen und Ausstellungen doch die Aktualität seiner Philosophie
wäre auch ohne dieses Datum ohnehin vorhande gewesen.

Selten auch ist im nachhinein das Lebenswerk eines Philosophen derart eng mit de Lebensweg in Verbindung gebracht worden wie im Fall Nietzsches. Das lag nicht zuletzt a ihm selbst; an seinem Hang und auch seiner Kunst zur Selbstdarstellung, seinem ehe unüblichen Lebenswandel in Italien sowie seiner im Spätwerk immer stärker vollzogene Identifikation mit dem griechischen Gott Dionysos in fataler Abgrenzung zum herkömmliche Kirchenchristentum. Gerade der Untertitel seiner Autobiographie "Ecce homo" "Wie man wird, was man ist", deutete bereits unmißverständlich an, daß hie ein Philosoph sich selbst durch sein Werk zu erklären sucht. So konnte es kau ausbleiben, daß Nietzsches einsames, entsagungsvolles Leben als Leiden an der Welt un der Wahrheit erschien.

Vor allem die Mischung aus Selbstbewußtsein in den Schriften und Scheitern in wirklichen Leben war für die früh einsetzende Disposition der Künstler aus der Halbwel des "Fin de Siécle" und des Expressionismus zu seinem Werk verantwortlich Ohnehin waren es immer wieder Dichter, die sich seiner liebevoll annahmen, sic öffentlich auf ihn beriefen und sich von seinem gepflegten Stil und seiner Lehr beeinflussen ließen. Daß er einer der "Verkanntesten, Einsamsten" war, desse "Herz überfloß vor Liebe zum Menschengeschlechte", befand etwa der jung Hermann Hesse, während der lyrische Einzelgänger Georg Trakl in Nietzsches Leben sein eigene Einsamkeit wiedererkannte und Stefan George und sein (weithin wohl homoerotischer Kreis unter Berufung auf ihn die Idee eines neuen Adels zu begründen suchte.

Der Philosoph, der für derartige Regungen sorgte und sich selbst gern als "Dynamit" bezeichnete, wurde 1844 in Röcken bei Leipzig als Sohn de protestantischen Dorfpfarrers geboren. Der Vater verstarb früh an den Folgen eine Gehirnerweichung – ein Erbteil, das stets auch für Nietzsches Ende im Wahnsin verantwortlich gemacht wird, wenn auch nach wie vor eindeutige medizinische Belege fü diese These fehlen. Nietzsches Kindheit verlief glücklich und in enger Beziehung zu seiner älteren Schwester Elisabeth, die Jahrzehnte später zu seiner Nachlaßverwalteri werden sollte. Nach dem Tod des Vaters zog die Mutter mit den Kindern nach Naumburg, w Nietzsche in dem ehemaligen Kloster Schulpforta das dortige Elitegymnasium besuchte.

Anschließend studierte er in Bonn und Leipzig Klassische Philologie. Nietzsche gal als äußerst begabt und hatte eine steile akademische Karriere vor sich: mit nur 2 Jahren und noch nicht einmal promoviert, wurde Nietzsche 1869 auf Empfehlung seine Mentors Ritschl zum außerordentlichen Professor der Klassischen Philologie in Base ernannt. Normalerweise hätte dies die Eintrittskarte in ein gehobenes bürgerliches Lebe sein müssen, Familie und Gelehrtenkarriere inklusive. Nicht so bei Friedrich Nietzsche Er fühlte sich nie recht wohl in Basel, wohl auch bald unverstanden und zog sic schließlich mehr und mehr in ein einsames Dasein zurück. Statt der Basler Damenwelt die nötigen Avancen zu machen, grübelte er in seiner Freizeit über die Beschaffenheit de Welt nach – der leise Abschied von der Philologie.

Wirklich glücklich waren die Basler Jahre für ihn nur in einer Hinsicht: durch die Freundschaft zu Richard Wagner, der mit Cosima nach der Revolution von 1848 in Luzern in Schweizer Exil wohnte. Die Beziehung zu Wagner war für Nietzsche äußerst fruchtbringen und stimulierten ihn zu seiner ersten Schrift "Die Geburt der Tragödie aus de Geiste der Musik" – ein gründlich unverstandenes Werk, das Nietzsche vollend der Philologen-Zunft entfremdete und geradezu in die Arme der Philosophie trieb. In diese Frühwerk sind bereits die Grundzüge des nietzscheanischen Denkens zu erkennen zurückgehend auf Schopenhauer postulierte Nietzsche die grundlegende Antinomie zwische Leidenschaft und Vernunft und definierte daraus die dionysische und die apollinische Seit des antiken Griechentums. Seine These in deutlicher Anlehnung an die eigene Gegenwart: Nu das Dionysische kann der Kultur den notwendigen wiederbelebenden Impuls verschaffen, sons erstarrt sie unweigerlich in der eigenen Dekadenz. In Wagner sah und verehrte Nietzsch dieses dionysische Element, bis er sich Jahre später enttäuscht von ihm zurückzog.

Nicht nur die Philologen ignorierten sein Werk; es wurde auch darüber hinaus kaum zu Kenntnis genommen. Nietzsches Gesundheitszustand verschlechterte sich immer mehr. Er lit unter penetranten Kopfschmerzen und einem heftigen Augenstechen. Auch seine zweit Veröffentlichung, die "Unzeitgemäßen Betrachtungen", wurde kein Erfolg. 187 schließlich beurlaubte ihn die Universität Basel mit einer jährlichen Pension zu Wiederherstellung seiner Gesundheit – doch er sollte nie wieder zurückkehren. Dami war die hoffnungsvolle akademische Karriere früh gescheitert; Nietzsche sah darin jedoc nicht zuletzt ein immenses Maß an Befreiung. Auf der unruhigen Jagd nach Plätzen, wo da Klima seine Schmerzen erträglicher machte, irrte er fortwährend, in der Regel allein, in Italien umher, nur selten zog es ihn nach Naumburg zurück. Bald kristallisierten sic Sils-Maria im Schweizer Hochgebirge als Sommer- und Turin als Winterresidenz heraus.

Wie kaum ein anderer in dieser Schärfe außer Marx hat Nietzsche seine eigen Lebenszeit als Übergangsepoche zur Moderne angesehen. Im Morgen, wenn nicht gar in Übermorgen vermutete er auch stets seine Leser. Zunächst hatte er kulturelle Themen wi Bildung, Erziehung, Wissenschaft kritisch beleuchtet, zunehmend jedoch rückte die Politi in sein Blickfeld, wenn auch nicht in direkter, tagesaktueller Form. Denn im Grunde – und hier ganz Romantiker – war Nietzsche die Politik ein eher sekundärer Bereich, in jedem Fall der Philosophie und den Künsten untergeordnet. So konnte er auch im "Ecc homo" von sich behaupten, der "letzte antipolitische Deutsche" zu sein Dennoch zeigte er zeit seines Lebens Interesse an den politischen Strömungen seiner Zeit etwa der Sozialdemokratie oder dem Antisemitismus. Am deutsch-französischen Krie 1870/71 hatte er freiwillig als Sanitäter in Lothringen teilgenommen und erst späte distanzierte er sich vom Kaiserreich, das ihm dann als Hort der Verdummung und de geistigen Dekadenz vorkam. Aus dem jugendlichen Patrioten und Nationalisten wurd zunehmend der kosmopolitische Denker, was Heidegger 1936 zu der Formel von de "europäisch-planetarischen Metaphysik" Nietzsches anregte.

Mit der gewohnten Schärfe und dem psychologisch entwaffnenden Blick, der ihm eige war, entlarvte Nietzsche nacheinander Demokratie, Liberalismus, Parlamentarismus un Sozialismus als Äußerungsformen des nach seiner Lehre allgegenwärtigen Willens zu Macht. "Liberal" war für Nietzsche ohnehin nur "ein vornehmes Wort fü Mittelmaß", Demokratie ein Ausdruck politischer Schwäche. Als Verächter der Mass kritisierte er an ihr vor allem das permanente Buhlen um Mehrheiten. Der Sozialismus wa ihm nichts anderes als ein neuer "Sklavenaufstand der Moral": "Gleichhei der Rechte fordern, wie es die Sozialisten der unterworfenen Kaste tun, ist nimmermeh Ausfluß der Gerechtigkeit, sondern der Begehrlichkeit." Als erste "Sklavenaufstand der Moral" betrachtet Nietzsche das Christentum – für ih nichts anderes als "die Rache Judäas gegen das herrschaftliche Rom" –, de zweite begann für ihn mit der Französischen Revolution 1789, der dritte drohte nun in den sozialistischen Bewegungen. Dagegen proklamierte Nietzsche den Gedanken de Aristokratie – verstanden im wahrsten Sinne des Wortes als Herrschaft der Besten nicht des damals zumeist schon längst verkommenen Erbadels. Nicht zu Unrecht erkannt daher der dänische Literaturprofessor Georg Brandes, der als erster Gelehrter überhaup 1888 in Kopenhagen eine Vorlesung "om den tyske filosofen" gehalten hatte, be ihm einen "aristokratischen Radikalismus". Dementsprechend war und blie Nietzsche den linken, an Marx orientierten Intellektuellen fremd und suspekt. Bereits 189 kanzelte ihn Franz Mehring als "Philosoph des Kapitalismus" ab, und Geor Lukács erklärte 1934: "Es gibt kein einziges Motiv der faschistischen Ästhetik das nicht direkt oder indirekt von Nietzsche stammt." Allerdings hatte sich Hitle immer wieder geweigert, Nietzsche zum großen Philosophen des Nationalsozialismu auszurufen. Zwar ließ er sich demonstrativ neben der Marmorbüste des Philosophen in Weimar ablichten, empfing er von Elisabeth Förster-Nietzsche den Spazierstock ihre Bruders und wurde 1938 pompös mit dem Bau eines Nietzsche-Tempels in Weimar begonnen doch ansonsten hielt sich der Staat eher zurück. Dagegen behauptete Mussolini, sei Faschismus sei "die Verwirklichung der Ideenwelt Nietzsches". Wohl kaum hätt sich Nietzsche in der Welt des Duce wiedererkannt. Zweifelsohne aber hat er Teile de faschistischen Ideologie in seinem Spätwerk vorweggenommen – als Seismograp künftiger politischer Entwicklungen. Das späte, mit dem berühmte "Zarathustra" 1883 beginnende Werk unterscheidet sich insofern fundamental vo seinen bisherigen Schriften, als Nietzsche nun zunehmend Zukunftsvisionen entwickelte. Un auch die Analyse des Bestehenden wurde immer schärfer, kompromißloser und schließlic exaltierter. Im Blickfeld dabei vor allem: die Dekadenz: der geistige wie kulturell Verfall, den er in den europäischen Kulturen überall witterte, sowie da Kirchenchristentum, dessen Ethik er für die schleichende Schwäche des Abendlande verantwortlich machte. Zu den Schlagworten des Spätwerks wurden nun Nihilismus, Wille zu Macht, Übermensch, die Ewige Wiederkehr des Gleichen sowie die neue Gerechtigkeit als Ausdruck einer neuen Moral der Stärke. Der Nihilismus stand in engem Zusammenhang mit de von ihm geforderten "Umwertung aller Werte" – der Überwindung von Dekaden und Christentum. Der Übermensch war für Nietzsche die nötige Konsequenz aus der fü ihn manifesten Tatsache des "toten Gottes": "Wie können wir aber lebe ohne Gott? Muß der Mensch da nicht über sich selbst hinauswachsen?", so frag Nietzsches zweites Ich Zarathustra. All dies sollten auch die Ingredienzen seine geplanten Hauptwerkes "Der Wille zur Macht" sein, für das nur Skizzen, Exzerpt und Konspekte existieren. Denn im Januar 1889 kulminierte Nietzsches Krankheit endgültig In einer wahnsinnigen Pose brach der deutsche Philosoph vor einem Droschkengaul in Turi zusammen und verbrachte die letzten elf Jahre seines Lebens geistig umnachtet in Naumbur und Weimar, wo er am 25. August 1900 starb. Zu Lebzeiten kaum zur Kenntnis genommen verursachte ihm sein Wahnsinn eine ungeheure Popularität, die sich nach seinem Tod zu Weltruhm steigerte.

Nietzsche hat niemals seine Zukunftsvisionen konkret geäußert. Das macht e einerseits so spannend, ihnen im Werk nachzuspüren, das macht andererseits auch ihre nach wie vor aktuellen Charakter aus. Nachdem einige seiner Hauptgedanken wie der Will zur Macht und der Übermensch in der Vergangenheit gründlich mißverstanden un vulgarisiert worden sind, spricht einiges dafür, daß nun seine Idee der Ewige Wiederkehr des Gleichen im neuen Jahrhundert für Furore sorgen wird. Sie war für de Philosophen selbst ohnehin seine wichtigste Lehre; ein Terminus im Sinne eine konservativen Revolution; die Welt als Kreislauf und Ort potentiell gleichbleibende Kräfte. In jedem Fall bietet Nietzsches Werk noch genügend neue Aspekte und Facette – es wird auch weiterhin mit ihm nicht langweilig werden.


 
     
     
 
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