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Blick in den Abgrund

 
     
 
Viele Gemüter hat sie erregt, indirekt einen Kampf der Generationen angefacht. Die Wehrmachtsausstellung verdammt die normalen Soldaten des Zweiten Weltkriegs pauschal zu brutalen Mördern, doch die Vater- beziehungsweise Großvatergeneration bestreitet; so war das nicht.

Was ist, wenn ein Besucher der Wehrmachtsausstellung auf einem Foto von einem Erschießung
skommando plötzlich seinen Vater zu erkennen glaubt? Dieser brisanten Frage widmete sich die Autorin Ulla Hahn in ihrem neuesten Roman "Unscharfe Bilder". Hier vermeint die Lehrerin Katja auf einem Foto ihren Vater auszumachen und stellt den älteren Herrn eines Nachmittags in seiner Hamburger Seniorenresidenz an der Elbe zur Rede. Der Schöngeist und Kenner der Antike Hans Musbach ist verwirrt, weiß seine Tochter doch, daß er als Lehrer seinen Schülern immer wieder die Grausamkeiten des NS-Regimes vor Augen gehalten hat. Nie hat er versucht, etwas schönzureden, und plötzlich sitzt seine Tochter unnachgiebig vor ihm und fordert eine Erklärung. Widerwillig belebt Musbach seine Erinnerung neu, doch seine Tochter reagiert zornig. Sie will nichts hören von jungen Abiturienten, von Bomben zerfetzten Kameraden, nagendem Hunger, aufbrechenden Frostbeulen, Heimweh und Zweifeln im Kriegsalltag der Deutschen. Sie will nur von den bestialischen Mordtaten hören. Unnachgiebig quält sie den Vater, der auch nach langer Vorgeschichte zu dem Bild der Ausstellung kommt, nur wirkt es im Zusammenhang plötzlich nicht mehr so, wie es die Tochter sehen wollte.

Ulla Hahns Buch verspricht nach den ersten Zeilen ein exquisites Lesevergnügen zu werden. Ein-drucksvoll schildert sie das Leben im Heim für betuchte Senioren, entwickelt facettenreiche Charaktere und überzeugt mit einer eindrucksvollen Sprache. Der Vater-Tochter-Konflikt kommt da ganz unerwartet. Sensibel beleuchtet sie die Beweggründe des Vaters und der Tochter, geht auf deren Schwächen und Stärken ein und fesselt den Leser mit dem Generationskonflikt. Dann aber versteigt sie sich in guter Absicht, Klischee und Belehrung. Zäh entspinnen sich die vielen Treffen zwischen Vater und Tochter. Ihr Verständnis für beide Seiten ist zwar gut wiedergegeben, aber was bitte soll das Ende der Geschichte des Vaters? Vom Wehrmachtssoldaten zum zwischen sowjetischen Partisanen lebenden Liebhaber einer jüdischen Widerständlerin? Eine völlig unnötige nachträgliche Heroisierung des Vaters. Wirklich schade! Fritz Hegelmann

Ulla Hahn: "Unscharfe Bilder", DVA, München 2003, geb., 288 Seiten, 18,90 Euro
 
     
     
 
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