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Bonn in Bedrängnis

 
     
 
Spätestens seit dem 13. Oktober 1998 ist klar, daß eine breiter angelegter Kampf für den gefährdeten deutschen Rechtsstaat eine internationale Dimensio annehmen kann. An diesem Tag nämlich beschloß das US-Repräsentantenhaus, sich auch de bedenklichen Entwicklung im "neuen Deutschland" anzunehmen. Jenseits de Atlantiks ist nämlich engagierten Politikern und Vertretern der Öffentlichkeit ein Entwicklung in Osteuropa und in Deutschland aufgefallen, die sie – jedenfall hinsichtlich Deutschlands – bis vor kurzem als unvorstellbar ansahen. Und so heiß es dann auch in dieser Resolution unter anderem:

"... Die Verbrechen des Kommunismus umfaßten insbesondere die organisierte un systematische Vernichtung von Privateigentum, einschließlich Grundeigentum .. Staaten, die bisher dies noch nicht getan haben, werden aufgefordert, widerrechtlic enteigneten Besitz den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben oder, wenn ein Rückgabe nicht möglich ist, unverzüglich eine rechtmäßige und rechtswirksam Entschädigung zu bezahlen."

Kaum zu glauben für Deutschland-Freunde überall im Ausland: Auch die angeblich sei 1990 glücklich vereinigte Nation gerät – sogar noch empfindlicher als die osteuropäischen Ex-Satellitenstaaten der Sowjetunion – in Schieflage, was Recht Gerechtigkeit und Eigentum angeht.

Die einsetzende Wirkung nach dem Bekanntwerden der neudeutschen Entwicklung in Sache Eigentumsrecht
trifft einen höchst persönlichen Nerv der Amerikaner: nämlich die Frag nach dem Standort und Partner Deutschland. Sicherheit und Zukunftsperspektive gerate dramatisch ins Blickfeld. Die schnelle Erklärung von Kanzleramtsminister Bodo Hombach die US-Resolution träfe für Deutschland nicht zu, sondern nur für Länder, die kommunistisches Unrecht nicht wiedergutgemacht hätten, verrät deutlich eine beginnend Nervosität angesichts des Kommenden. (Vom Inhaltlichen her wäre diese Erklärung aus de Kanzleramt ein passender Gesprächsansatz.)

Wenn die politisch Verantwortlichen hierzulande wissen, wie empfindlich, aber auch wi selbstsicher die mächtigste Demokratie der Welt Begriffe wie Freiheit und Eigentum sieh – und deren inneren Zusammenhang –, so können sie dies "Internationalisierung" eines deutschen Skandals nicht wegstecken. Hatte doc schon die Regierung Kohl/Kinkel durch die Anerkennung der Enteignungen von 1945 bis 194 und vor allem durch das Platzen der sogenannten "Vorbedingungslegende" (Sowjetunion habe Beibehaltung rechtswidriger Wegnahmen zur Bedingung für deutsch Vereinigung gemacht) in wenig schmeichelhafter Weise auch jenseits der Grenzen auf sic aufmerksam gemacht. Am 5. März startet die Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE in Hamburg eine mehrsprachige Informationskampagne. Aufmerksamkeit und Reaktionen im Land und in der Welt sind mit Spannung zu erwarten.

Aber auch auf der EU-Ebene kommen die Vertreter und Verteidiger von Unrechtsmaßnahme und Rechtsverstößen in Bedrängnis. So läuft am 28. März bereits die Frist für da EU-Mitglied Bundesrepublik Deutschland ab, die zur Bekanntgabe der konkreten Maßnahme gesetzt wurde, um die rechtswidrige Millionen-Subvention an Nichtberechtigte in Mitteldeutschland rückgängig zu machen. Vor allem LPG-Nachfolger und -Ausgründer mi entsprechender SED/DDR-Vergangenheit waren mit um 60 Prozent vergünstigten Landkäufe aus dem riesigen Beuteland-Reservoir des Bundes "unterstützt" worden. Ei klarer Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft!

Die genannte Frist, übrigens von seiten der Verantwortlichen selbst den Mitarbeiter der Treuhand-Nachfolgerin BVVG bisher nicht offiziell mitgeteilt, bedeutet praktisch da Platzen und die Unwirksamkeit von rund 50 Prozent aller Beutelandverkäufe seit 1994 mi Bezug auf das sogenannte "Flächenerwerbsprogramm nach Entschädigungs- un Ausgleichsleistungsgesetz (EALG)". Einsetzende Unruhe bei Erwerbern und Banken läß sich ausmalen.

Zwar haben die Niederlassungen der BVVG, die auf Anweisung zunächst die Beuteland-Verkäufe stoppten, nun einen freihändigen Verkauf von Äckern und Forsten in Aussicht gestellt und sogar Interessenten zur Abgabe von Angeboten ermuntert. Die Verantwortlichen bewegen sich aber erneut auf schwankendem Boden. Sofern nämlic Eigentümeransprüche (im Polit-Jargon "Alteigentümer") nicht vorrangi sämtlichst berücksichtigt sind, laufen auch neue Verträge womöglich schnell ins Leere Spätestens beim Grundbuchamt – so auch ein erstes Verwaltungsgerichtsurteil – droht der ganze Deal zu scheitern.

Konstruktiv könnte dagegen ein Einsteigen der Eigentümer/Anspruchsträger in neu Verträge sein, unter anderem zusammen mit den investitionsbereiten bisherige Interessenten, die als nichtberechtigte Neueinrichter im Sinne des europäische Gemeinschaftsrechts gelten. In einem abgewandelten sogenannten "Tandem-Modell" (nur Eigentümer kommen als Berechtigte ins Grundbuch) könnten die "geplatzten" Verträge neu und korrekt mit den "Kompensationsberechtigten", also de rechtmäßigen Eigentümern/Enteignungsopfern verhandelt und je nach Interessenlag abgeschlossen werden.

Wenn die Enteigneten, denen man bisher so übel mitgespielt hat, vor dem Hintergrun der Brüsseler Entscheidung vom 22. Dezember 1998 die Gunst der Stunde erkennen, melde sie umgehend alle Ansprüche auf Flächenerwerb an und bringen sich bei der anstehende Neuverteilung kooperativ ins Spiel. Werden aber nicht alle Ansprüche schnell gelten gemacht, laufen die Zögerer Gefahr, auch bei dieser so bescheidenen Naturalrestitutio leer auszugehen, weil der Beutelandbesitzer namens Fiskus das von ih "verwaltete" Land meistbietend nach Verkehrswert in ganz Europ "verwertet". Daß er den Erlös an die rechtmäßigen Eigentümer auskehrt dürfte man angesichts der Lage im Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland kaum erhoffe können, selbst wenn der Staat demnächst unter mehr Druck gerät.

In ganz Europa wird das weitere Verhalten der so an den Pranger gestellten Republi beobachtet, auch wenn die Angelegenheit offiziell gern heruntergespielt wird. Allein 87 Beschwerden sind im Zusammenhang mit dem "Flächenerwerbsprogramm" und de Verstößen gegen die EU-Wettbewerbsregeln bei der Kommission in Brüssel eingegangen Besonders hervorgetreten sind aus Deutschland die Eingaben der Arbeitsgemeinschaft fü Agrarfragen durch Rechtsanwalt Wendenburg, das Memorandum der ARE, eine europarechtlich Bewertung von Professor Pechstein und zahlreiche Einzelbeschwerden und Informationen zu den Praktiken des deutschen Fiskus.

Hinzu kamen aber eben auch geharnischte Stellungnahmen aus den anderen EU-Ländern beispielsweise vom französischen und wallonischen Grundbesitzerverband. Dies alles in seiner sachlich und rechtlich nicht zu widerlegenden Form verfehlte seine aufklärend Wirkung nicht, machte aber auch die politische Brisanz und die dahinterliegenden Absichte der Verantwortlichen in Deutschland deutlich.

Selbst für zwei deutsche Höchstgerichte wird es 1999 schwierig, mit ihrem Kurs in Sachen Eigentumsschutz weiterzufahren wie von 1991 bis 1998. Das Bundesverfassungsgerich (BVerfG) wird zunehmend gedrängt, in den anhängigen Klagen gegen das Entschädigungs und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) Farbe zu bekennen und die Forderungen de Gleichheitsgrundsatzes zu beachten. Man darf vermuten, daß das BVerfG bis Weihnachte 1998 gehofft hatte, sich durch ein langes EU-Hauptprüfungsverfahren viel Zeit lassen zu können – vergeblich.

Eine wichtige Weiterentwicklung der Rechtsprechung und wohl auch neue Erkenntniss erbrachten Urteile und Beschlüsse des – bei vielen früheren Entscheidunge kritisierten – Bundesverwaltungsgerichts. Das Urteil und die Begründung eine entsprechenden Berliner Verhandlung vom 25. Januar 1999 in der Frage der Rehabilitatione darf ab Ende Februar 1999 erwartet werden.

Übrigens zeigt sich neuerdings bei einer Reihe von Entscheidungen eine erst Kurskorrektur in Richtung Rechtsstaatlichkeit, beispielsweise in der festgelegte Verpflichtung für Kommunen, bei Grundstücksenteignungen aus der DDR-Zeit gleichwertig Ersatzgrundstücke zu verschaffen. Hier gibt es eine erste Untätigkeitsklage gegen ein Kommune und rechtsstaatlich reagierende Richter.

Möglicherweise merken die verantwortlichen Juristen zunehmend, daß sie wirklic nichts von der DDR-Wirklichkeit wußten und verstanden und nun dazulernen. Denkbar auch daß der Druck auf das Eigentumsrecht und die auffallend starke Veränderung de Rechtswesens in Richtung auf ein Fortwirken des SED-Regimes in der "Berline Republik" bei manchem jetzt Vorsicht nährt. Der bekannte Düsseldorfer Rechtsanwal Stefan v. Raumer hat in einer Zusammenstellung (ARE-Dokumentation III/1999) diese in Ansatz positive Entwicklung nachgewiesen und Schlüsse für die Betroffenen abgeleitet.

Politisch engagierte Aktionen und Veränderungen in der juristischen Einschätzung un Umsetzung von Unrechtsmaßnahmen begegnen sich bereits. Das Enteignungsunrecht 1945-194 als unendliche Geschichte kann man im Zeichen der Kräftebündelung der Betroffenen nich mehr – wie so oft versucht – auf ein paar tausend "Junker" verengen die Sache damit zudecken und die "biologische Lösung" erwarten.

Als 1998 in Mecklenburg Landwegnahme-Opfer aus 1945-1949 mi Kleinflächen-Fiskus-Geschädigten (den durch den Artikel 233 EGBGB Geschädigten gemeinsam für Gerechtigkeit und den Eigentumsschutz des Grundgesetzes eintraten, löst dies bei den anwesenden PDS- und SPD-Spitzenleuten – wohl auch wegen de Wählerstimmen und der vielen kleinen Leute als Betroffene – merkliches Erschrecke aus, die Sorge vor einem Zusammentun der Opfer und Betroffenen, Befürchtungen bei Gedanken an ein Ende des praktizierten "Teile und herrsche" ...

Zum Tausenden zählenden Kreis der sogenannten "233er" ist noch zu bemerken daß am 8. November 1998 in Borken/Hessen eine Erlanger Rechtswissenschaftlerin in ihr Habilitationsarbeit die Vererblichkeit der Siedler-Kleinflächen nach DDR-Recht und de bundesdeutschen Recht nachwies und auch die neue Enteignungswelle des Fiskus in Mitteldeutschland in Frage stellte.

Prompt änderte im Januar 1999 der Bundesgerichtshof (BGH) seine bisher vertreten Ansicht und bestätigte die Vererblichkeit der Kleinflächen für die Siedler-Nachkomme von 1945. Diese können nun zumindest auf eine kleine Verbesserung ihrer Rente durc Verkauf oder Verpachtung ihrer Sieben-Hektar-Flächen hoffen, anstelle eine kostenpflichtigen Wegnahme durch den Fiskus, der das Land dann an Dritte verkauft oder de mächtigen LPG-Nachfolgern (den "roten Baronen") zuschanzt.

Beim BGH haben sich ohnehin im letzten Jahr einige Richter der brisanten Frage de Vermögensauseinandersetzung bei der LPG-Umwandlung angenommen. Im Ergebnis führt dies zu einem spannenden juristischen und wohl auch politischen Neuanfang 1999. Schon dre BGH-Entscheidungen in Sachen LPG-Nachfolge können in ihren Auswirkungen nur so gedeute werden:

Die Umwandlung der DDR-Agrarkombinate und die von 1991 bis 1994 vonstatten gegangen Umstrukturierung ist weder eine "Erfolgsstory", wie Manfred Stolpe und ander Strategen mit Vergangenheit tönen, diese Umstellung im ländlichen Raum ist auch nich "beendet, weil alles verteilt ist", wie Agrar-Interessenpolitiker in den Neue Bundesländern jubilieren – das Vorhaben ist vielmehr als gescheitert anzusehe – ein neuer Anlauf ist erforderlich. Um ihn allerdings durchzusetzen, bedarf e großer Anstrengungen und politischen Drucks.

Wer dann noch – auch hier geht es um Gerechtigkeit und Recht – die näherrückende Übergabe der in Washington lagernden Adressenkartei der Stasispitzel (vo allem auch aus der Prominenz der alten Bundesrepublik) ins Blickfeld nimmt, könnte doc auch für die Bürger des früheren SED-Staates ein Stück mehr Gleichbehandlung de Täter sowie für die Oppositionellen und Bürgerrechtler der Ex-DDR ein Stück Genugtuun erhoffen. So läßt sich zum Jahresbeginn 1999 für ein verstärktes Engagement manche Argument und ein gutes Stück neuer Hoffnung und Motivation finden. Noch ist de Rechtsstaat nicht verloren. Aber er benötigt die gebündelte Kraft aller Bürger, die für ihn eintreten
 
     
     
 
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