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Breslaus letzter deutscher Oberhirte

 
     
 
Professor Marschall legt eine umfassende Dokumentation der Hirtenbriefe und Hirtenworte des nach wie vor umstrittenen ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (1920-1945) vor. Kardinal Bertram wurde 1859 in Hildesheim geboren, studierte in Würzburg Theologie und erwarb den theologischen und kirchenrechtlichen Doktorgrad. 1906 wurde er Bischof von Hildesheim, am 27. Mai 1914 zum Fürstbischof von Breslau gewählt. Es war damals eine der größten Diözesen der Welt. Obwohl bereits am 4. Dezember 1916 zum Kardinal erhoben, wurde die Ernennung wegen des Krieges erst am 15. Dezember 1919 promulgiert. Man möchte gern Bertram gegen seinen Amtsbruder Graf v. Galen ausspielen. Jedoch waren die Verhältnisse in Münster und Breslau ebenso unterschiedlich wie die beiden Persönlichkeiten. Galen entstammte westfälischem Uradel, was damals eine große Rolle spielte. Seine Diözese war geradezu „katholisch
imprägniert“, während Breslau mehrheitlich protestantisch war und Bertram aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kam. Dazu war er von schmächtiger Statur und obendrein mit einem Sprachfehler behaftet, während Galen schon durch seine hünenhafte Gestalt imponierte. Während er nur für seine eigene Diözese verantwortlich war, mußte Bertram die Belange aller deutschen, oft sehr unterschiedlichen Diözesen berücksichtigen. Sehr früh durchschaute er den Nationalsozialismus, wie sein „Offenes Wort in erster Stunde am Jahresschluß 1930“ beweist: „Lieber in Offenheit ernste Wahrheiten sagen, als Gefahren verschleiern.“ In Anspielung auf Sowjetrußland sprach er von „Deutschland, wo schon Millionen den Boden vorbereitet haben für die Herrschaft eines ‚Bundes der Gottlosen’“. Scharf verurteilte er die „aus falschem Nationalismus entspringenden Irrtümer“, besonders die „einseitige Verherrlichung der Rasse.“ „Wir katholischen Christen kennen keine Rassereligion!“ Ebenso unmißverständlich wandte er sich gegen das Gerede von einem „positiven Christentum“, „denn jeder denkt sich darunter, was ihm beliebt.“

Obwohl selber nie in der Seelsorge, hatte Bertram ein untrügliches Gespür für deren Anliegen. So hatte er auch dafür Verständnis, daß wegen der katastrophalen Arbeitslosigkeit „Millionen aufhorchen, wenn mit hochtönendem Phrasenschwall verkündet wird: die bestehende Ordnung müsse zerschlagen werden, um eine bessere aufzubauen.“

Das Werk umfaßt die Hirtenbriefe vom Oktober 1914 bis März 1945. Sie sind Quelle für die Pastoral-, aber auch die jüngere Zeitgeschichte: Erster Weltkrieg, Volksabstimmung in Oberschlesien, Weimarer Republik, Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg.

Bereits nach dem Ersten Weltkrieg sollte Oberschlesien, das mehr als 600 Jahre zum Deutschen Reich gehört hatte, an Polen abgetreten werden. Bertram untersagte seinen Priestern politische Reden und Agitation, während polnische Priester damals wie auch nach 1945 als politische Propagandisten auftraten. Der Kardinal selbst durfte nicht in das Abstimmungsgebiet. Obwohl sich am 20. März 1921 56,9 Prozent der Bevölkerung für den Verbleib bei Deutschland aussprachen, beschlossen die Alliierten, Oberschlesien zu teilen. Der wertvollere Teil mit 3123 qkm wurde Polen übertragen. Bertram traf der Verlust Oberschlesiens zutiefst. Er sorgte dafür, daß die polnisch sprechenden Gläubigen in ihrer Muttersprache betreut wurden. Hierdurch unterschied er sich höchst vorteilhaft von den polnischen Bischöfen, die, gleich den kommunistischen Machthabern den Gebrauch der deutschen Sprache untersagten. Die Theologiestudenten aus zweisprachigen Landesteilen wurden verpflichtet, gründlich polnisch zu lernen. Selbst diejenigen aus rein deutschen Gebieten mußten polnische Sprachkurse absolvieren.

Am 14. Juni 1929 wurde das Konkordat zwischen dem Vatikan und Preußen abgeschlossen. Breslau wurde Erzbistum und bildete mit dem neuen Bistum Berlin, Frauenburg und der Freien Prälatur Schneidemühl die Ostdeutsche Kirchenprovinz.

Da Bertram kein wortgewaltiger Prediger war, verlegte er sich auf die „schriftliche Predigt“, die Hirtenbriefe. Sie waren volkstümlich, wenn auch nicht gerade mitreißend. In seinem ersten Fastenhirtenbrief von 1915 mahnte der Bischof, zu Gott zurückzukehren. Die Gläubigen sollten sich durch eifriges religiöses Leben offen zur Kirche Christi bekennen, eine stets aktuelle Mahnung. Für ihn war es eine nur allzu selbstverständliche Pflicht, am Geburtstag des Kaisers für den obersten Landesherrn beten und einen feierlichen Gottesdienst halten zu lassen.

Bertram unterschied stets sorgfältig zwischen der politischen und religiösen Bedeutung der verschiedenen Belange. In der „Kundgebung aus den Tagen meiner Romreise 1933“ wird deutlich, daß er sich um Loyalität gegenüber der Regierung bemühte, aber, ohne unnötig zu provozieren, für diejenigen einsetzte, die infolge der Machtübernahme der Nazis Schweres zu erdulden hatten. Mit seiner abschätzig so genannten „Eingabenpolitik“ suchte Bertram wenigstens die Grunderfordernisse einer geordneten Seelsorge zu sichern. Spektakuläre Aktionen wie die des „Löwen von Münster“ hätten das Regime nur herausgefordert, ohne daß sich die Situation für die Kirche verbessert hätte. Lediglich die Gläubigen hätten mit schärferen Maßnahmen der Machthaber rechnen müssen. Der frühere österreichische Außenminister Alois Mock sagte anläßlich einer Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des „Anschlusses“: „Nur wer weiß, wie es sich in einer Diktatur lebt, hat ein Recht, heute selbstgerecht Schuld zuzuweisen, wo etwas mehr Demut am Platz wäre.“

Adolf Kardinal Bertram, Hirtenbriefe und Hirtenworte. Bearbeitet von Werner Marschall. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2000, 1.020 Seiten, 91 E

Kardinal Bertram: Er wünschte, daß die Gläubigen sich durch eifriges religiöses Leben offen zur Kirche Christi bekennen.

 
     
     
 
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