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Debatte um das Zentrum gegen Vertreibungen nimmt immer groteskere Züge an

 
     
 
Die Auseinandersetzung um das von der Vertriebenen-Präsidentin und CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" und die polnische Reaktion darauf, hat - trotz aller geschmacklichen Entgleisungen - auch etwas Positives: Sie hat den Schleier der schönen Versöhnungsreden und der "Friede, Freude, Eierkuchen"-Atmosphäre in den deutsch-polnischen Beziehungen zerrissen und einige, wenn auch desillusionierende Wahrheiten zu-tage treten lassen.

Die erste Wahrheit lautet: Auch (oder vielleicht gerade) "versöhnungsbereite" Polen haben sich, fast möchte man sagen: in breiter Front, wenn schon nicht mit dem Stil, dann aber umso mehr mit dem Inhalt der Forderungen des polnischen Magazins
Wprost identifiziert. Da ist an erster Stelle der ehemalige Außenminister, Botschafter und Auschwitz-Häftling Barto-szewski zu nennen, Träger des Friedenspreises des deutschen Buch- handels und "polnischer Festredner vom Dienst" bei diversen deutschen Verständigungs- und Freundschaftsveranstaltungen in Richtung Polen. Es war Bartoszewski, der seinen deutschen Freunden in aller Schärfe mitteilte, Polen könne den Deutschen eine Rechnung präsentieren, an der mehrere deutsche Generationen zu kauen haben würden.

Es war Leszek Kolakowski, berühmter Oxford-Professor, Dissident und Antikommunist, der die bereits vom Zaun gebrochene Debatte - nach Veröffentlichung der Foto-montage mit dem auf allen vieren kriechenden Schröder und Frau Steinbach in schwarzer SS-Uniform mit Hakenkreuzbinde - noch weiter anheizte, indem er aus seinen Kindheitserinnerungen die Szene beitrug, wie deutsche Soldaten 1939 seine Eltern ausplünderten. Dazu sagte der angesehene Gelehrte der Gazeta Wyborcza, im Falle Deutschlands könne das, was heute unmöglich erscheine, morgen Wirklichkeit werden. Kolakowski meinte hier offenbar künftige deutsche Gebiets- und Entschädigungsforderungen an Polen.

Auch Lech Walesa, der Held von Danzig und Gründer der "Solidarnosc" sowie ehemalige Staatspräsident, meldete sich zu Wort und meinte, die Deutschen hätten die Wiedervereinigung wesentlich auch den Polen zu verdanken. Wenn er sich, Walesa, 1989 dagegen ausgesprochen hätte, wäre es nicht zur Einheit Deutschlands gekommen. Dann meinte er, wenn die Deutschen auf ihrem "Zentrum gegen Vertreibungen" beharrten, dann würden die Polen ein Zentrum in Warschau hinstellen, das die Erinnerung an die deutschen Greueltaten an Polen wachhalten solle. Schließlich trug auch der ehemalige polnische Außenminister Bronislaw Geremek sein Scherflein zur Verschärfung bei, indem er im Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erklärte, ein Zentrum in Berlin wäre "ein Ort, an dem zum Haß erzogen wird". Das Zentrum würde die Beziehungen zwischen Polen und Deutschen "belasten".

Auf eine beschwichtigende Frage des Interviewers sagte Geremek schroff: "Mich interessieren die Gefühle von Frau Steinbach nicht besonders. Mich interessieren die Beziehungen zwischen unseren Ländern. Ein Zentrum in Berlin würde die Wiederkehr des Hasses fördern, auch unter Jugendlichen in Deutschland." Hier müßte man in aller Bescheidenheit fragen: Warum sollten die "Gefühle" der Frau Steinbach kein Interesse verdienen? Der nächste Schritt wäre doch, wenn man sagte: die deutschen Opfer - jene Elendsgestalten, meist Frauen, Kinder und Greise, die über das zugefrorene Haff im Januar 45 per Treck nach Westen flüchteten, oder - schlimmer noch, jene, die von sowjetischen Panzerkeilen überrollt und massenhaft vergewaltigt oder umgebracht wurden, verdienen kein Mitgefühl, nicht einmal Interesse. Woher will Geremek wissen, daß das geplante Zentrum zum "Haß" aufrufen wollte? Oder ist das Schicksal der Ostdeutschen, der Schlesier, Pommern, Ostdeutschland und Danziger, in den ersten Monaten des Jahres 1945 nicht so furchtbar, daß jede auch noch so taktvolle und behutsame Darstellung zu einer emotionellen Entladung führen müßte?

Andererseits - wenn eine einzige Ausstellung dieser Art bereits die "Verständigung" zwischen Polen und Deutschen rückgängig machen könnte - was wäre dann eine Aussöhnung wert, die bei der ersten Konfrontation mit den geschichtlichen Tatsachen in sich zusammenfiele? Geremek bezeichnet das geplante Zentrum als ein "gefährliches Projekt". In der Konsequenz bedeutet dies, daß die Geschichte des deutschen Ostens - und erst recht seiner Katastrophe im Jahre 1945 - unter einer Glasglocke dargestellt werden muß. Die deutschen Opfer von damals - soweit sie noch am Leben sind - sollten tunlichst schweigen und sich wenn überhaupt nur im europäischen Kontext dazu äußern. Das heißt: die deutsche Seite darf nicht aussprechen, was ist oder was wirklich gewesen ist. Die Deutschen sollen im Interesse der Verständigung ihre Leidensgeschichte unter den Teppich kehren - während die andere Seite ein natürliches Recht (ist es das Recht des Siegers?) hat, ihre Leiden und Opfer ständig im Bewußtsein zu halten.

Gewiß, hier kommt der ohnehin unsinnige Einwand: die Deutschen waren das "Tätervolk". Das aber bedeutet in der Konsequenz, daß es eine Gleichberechtigung der Deutschen auch nach mehreren Generationen nicht geben kann. Aber was ist das für eine Verständigung, bei welcher der eine schweigen und alles schlucken muß - und der andere, wann immer er es für richtig hält, auftrumpfen kann. Und was die "Täter" betrifft: die überwältigende Mehrheit der Ostdeutschen waren selber Opfer Hitlerscher Wahnideen. Diese Menschen wollten doch in Frieden und bescheidenem Wohlstand leben. Nur eine kleine Minderheit von Verrückten war versessen auf einen Krieg und auf Eroberungen. Die größten Leidtragenden waren 1945 auch auf deutscher Seite die einfachen Menschen, die zum Schluß nur noch um das nackte Überleben in Richtung Westen liefen.

Das Magazin Wprost hat mit Hilfe einer Anzahl polnischer Universitätsprofessoren und zweier amerikanischer Anwälte, die auf Nazi-Entschädigungsverfahren spezialisiert sind, den Deutschen bereits die Rechnung präsentiert: sie lautet über eine Billion US-Dollar, welche die Deutschen den Polen angeblich für den Zweiten Weltkrieg schuldig sind. Selbst ein so gebildeter und erfahrener Mann wie Bartoszewski will aber offenbar nicht ein- sehen, daß die Realisierung einer solch astronomischen - und im übrigen durch nichts zu rechtfertigenden - Forderung zwar den ökonomischen Kollaps Deutschlands nach sich ziehen würde, daß aber ein solcher Zusammenbruch auch die Nachbarn Deutschlands, darunter vor allem Polen, mit in den Abgrund reißen würde. Am Ende stünde dann (zu spät) die Erkenntnis: "Operation gelungen - Patient tot!" Man sollte sich hier wirklich an die Geschichte erinnern: Die maßlosen Reparationsforderungen der Alliierten (vor allem Frankreichs) nach dem Ersten Weltkrieg haben neben der Weltwirtschaftskrise zur Zerstörung der Weimarer Republik beigetragen. Sie haben zugleich Hitler den Weg zur Macht geebnet und damit den Zweiten Weltkrieg mit ausgelöst.

Es wäre bedauerlich, wenn in Polen bei einer bestimmten, durchaus maßgeblichen Schicht ein gewisser Charakterzug wieder zum Durchbruch gelangte, der dem Land und Volk in der Vergangenheit schwer geschadet hat: nämlich ein gewisser Justament-Standpunkt, gelegentlich sogar gepaart mit Realitätsverlust bis hin zum Größenwahn. So etwas äußert sich dann in der gegenwärtigen Auseinandersetzung etwa im - ironisch gemeinten - Vorschlag des Wprost-Chefredakteurs Marek Krol, man solle doch Erika Steinbachs "Zentrum gegen Vertreibungen" - im Jenseits, nämlich im Paradies errichten, denn schließlich seien die vom lieben Gott aus dem Paradies verjagten Adam und Eva die ersten Vertriebenen gewesen.

Gewiß hat es auch von deutscher Seite (gemeint ist hier jene Seite, die dem Projekt wohlwollend gegenüberstand) Fehler gegeben. Die Reise von Frau Steinbach nach Warschau, wo sie einem pol-nischen Auditorium die Idee des "Zentrums" nahe bringen wollte, mußte mit einem Fiasko enden, und zwar aus einem plausiblen Grund: Die Oder-Neiße-Linie ist zwar eine Realität und wird auch vom offiziellen Deutschland längst nicht mehr in Frage gestellt. Aber auf polnischer Seite verraten die zum Teil eruptiven Reaktionen auf Erika Steinbach und den BdV - die Zeitschrift Wprost bezeichnet den Vertriebenenverband gar als "Botschaft des Dritten Reichs in der Bundesrepublik" - eine gewisse Unsicherheit, ja sogar indirekt ein schlechtes Gewissen: irgendwie hat man dort das Gefühl, etwas bekommen zu haben, was einem nicht zusteht. Das äußerte sich in der Frage an die deutsche Abgeordnete, die als zweijähriges Kleinkind ihre Heimat verlassen mußte, ob sie in ihrer Kindheit mit einer Seife gebadet worden sei, die aus den Knochen ermordeter Juden und Polen hergestellt wurde. Selbst wenn man solche Entgleisungen beiseite läßt: Zu behaupten, daß Breslau alias Wroclaw oder Danzig alias Gdansk vor dem Zweiten Weltkrieg polnische Städte waren, ist absurd. Daraus ergibt sich dann eine Abneigung gegen jenen, der einen an das Außergewöhnliche dieses "Bevölkerungs- und Gebietstransfers" erinnert. Da die Deutschen das Pech haben, daß ihnen Hitler mit seinen Wahnideen und Verbrechen am Bein hängt, ist es üblich, das eigene Gewissen damit zu beruhigen, es seien ohnedies lauter Nazis gewesen, die damals, im Jahre 1945, die Opfer waren.

Kaum diskutiert wurde bisher die Tatsache, daß die Sowjets die deutschen Ostgebiete weitgehend kampflos und daher unversehrt erobert haben. Bis auf Breslau, Danzig oder Königsberg gab es nur wenige zerstörte Städte. Das oberschlesische Industriegebiet mit seiner gesamten Infrastruktur fiel so gut wie unbeschädigt in sowjetische Hände und wurde dann den Polen über- geben. Reiche landwirtschaftliche Gebiete waren die Kriegsbeute und verwandelten sich in die "polnischen Westgebiete". Auch hier könnte man eine Gegenrechnung aufmachen - über das von den Vertriebenen und Geflüchteten zurück-gelassene Vermögen, über den Wert von Fabriken, Straßen, sogar (wenn auch unvollendeten) Autobahnen. Vielleicht käme dann auch die deutsche Seite auf eine astronomische Summe.

Es gibt allerdings eine Person, die - wenn auch im Jenseits und womöglich (wie wir hoffen) in der Hölle - mit Händereiben und Triumph auf das erneute polnisch-deutsche Zerwürfnis reagiert: das wäre Josef Stalin, einer der Erfinder der Oder-Neiße-Linie. Er wußte genau, daß er damit Polen eine Hypothek aufbürdete: der Verlust Lembergs und der polnischen Ostgebiete wurde zwar reichlich durch die Länder im deutschen Osten entschädigt. Aber das deutsch-polnische Verhältnis war damit belastet, wenn nicht - wie sich jetzt so erschreckend gezeigt hat - vergiftet, und das womöglich auf lange Zeit.

Inmitten der Entgleisungen und komplexgeladenen Erklärungen machen einige (wenige, aber eindrucksvolle) polnische Leserreaktionen auf den Wprost-Artikel Mut. Im Internet schrieb einer, er sehe gar nicht ein, warum ein junger Deutscher, der den Zweiten Weltkrieg nicht erlebt habe, einem jungen Polen, der gleichfalls den Krieg nur aus Büchern oder Filmen kennt, etwas zahlen müsse. Ein anderer Leser meint, ob nicht die Russen und Ukrainer auch ein Recht hätten, den Polen eine Reparationsrechnung zu präsentieren. Schließlich seien polnische Armeen in früheren Jahrhunderten bis Moskau marschiert. Und dann fragt ein polnischer Leser, ob es nicht an der Zeit sei, zu arbeiten und aus eigener Kraft etwas auf die Beine zu stellen, statt sich nur immer zu überlegen, aus welchen fremden Taschen man etwas herausziehen könne. Doch das mögen - einstweilen - Rufer in der Wüste (oder an Oder und Weichsel) sein.

Haben die Deutschen die Wiedervereinigung den Polen zu verdanken?

Verdrängtes schlechtes Gewissen macht die Polen aggressiv

Das Selbstverständnis der Polen läßt nur die Opferrolle zu: Über Jahrhunderte hinweg fühlte sich die polnische Nation von den Russen, Preußen sowie Napoleons Frankreich, später von der Sowjetunion und Deutschland bedrängt und auch unterdrückt. Anläßlich der Diskussionen um das "Zentrum gegen Vertreibungen" zeigt sich allerdings die Angst der Polen, einmal nicht in der bewährten Rolle des Opfers, sondern nun auch als Täter dazustehen. Obwohl Polen seit dem Zerfall der Sowjetunion erstmals seit langem frei ist, ist die Nation noch nicht bereit, sich auch kritisch mit der eigenen, nicht immer ruhmreichen Geschichte auseinanderzusetzen.
 
     
     
 
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