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Der kranke Staat am Bosporus gerät aus seiner laizistischen Verankerung

 
     
 
Ministerpräsident Bulent Ecevit ist davon überzeugt, daß die Türkei in "wenigen Jahren" die Bedingungen erfüllen könnte, um Mitglied der Europäischen Gemeinschaft (EU) zu werden; das meint er ernst und richtet seine Politik darauf ein. Zugleich mehren sich aber die Hindernisse zum Weg der Türkei nach Europa.

Gegen die islamistische "Tugend-Partei" (FP) liegt bei dem dortigen Verfassungsgericht
ein Verbotsantrag vor. Die Entscheidung darüber wird in den nächsten Wochen erwartet. Sie wird in keiner Weise die Türkei näher zur EU führen. Zum einen kann die Union das Verbot von Parteien nicht als Mittel der innenpolitischen Auseinandersetzung akzeptieren, zum anderen kann es ihr nicht entgehen, daß der Gegensatz zwischen islamischer Bewegung und laizistischem Staat sich verschärft, womit ein großes Fragezeichen zur künftigen innenpolitischen Entwicklung des Landes entsteht.

Diese Verschärfung der Beziehungen zwischen Laizismus und Islam kommt vielfach in der täglichen politischen Auseinandersetzung zum Ausdruck. Während die "Tugend-Partei" der Armee vorwirft, sie selbst habe die islamische Terrororganisation "Hisbollah" gegründet, um unliebsame Oppositionelle zu beseitigen, wird gegen die FP der Vorwurf wiederholt, sie betreibe die Einführung eines theokratischen Regimes.

Zur gleichen Zeit verschärft sich auch der Gegensatz zwischen den europaorientierten und den konservativen Türken. Eigentlich sind die letzteren nicht gegen Europa gerichtet. Sie lehnen aber unbedingt die institutionellen Konzessionen ab, die die Türkei machen muß, um sich der EU anzupassen. Sie befürchten nicht zu Unrecht, daß die Einführung rechtsstaatlicher Grundsätze das Ende der Türkei als einheitlichen Staat einleiten werde. So gelingt es den Konservativen innerhalb der Regierung immer wieder, die Maßnahmen zu vertagen, die für die Anpassung an den EU-Rahmen notwendig sind. Der dafür zuständige Minister, Mehmet Ali Irtemcelik, ist bereits kaltgestellt worden.

Daniel Cohn-Bendit ist es nicht erlaubt worden, Leila Zana, die inhaftierte Abgeordnete der kurdischen Partei HADEP im Gefängnis zu besuchen. Zur gleichen Zeit wurden drei kurdische Bürgermeister in der Osttürkei verhaftet und nur nach Protesten aus der EU bedingt freigelassen. Liberale Politiker meinen dazu, "irgendwelche Leute wollen nicht, daß die Türkei ihren Platz in Europa einnimmt und tun was sie können, um den europäischen Rechtsradikalen Vorwände dafür zu liefern". Günter Verheugen, der für die EU-Erweiterung zuständige Kommissar in Brüssel, bestätigte diese Sicht in einem Interview: "Fortschritte bei der Lösung der Kurdenfrage sind vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen unbedingt erforderlich".

Eine der Hauptsorgen der Regierung Ecevit gilt der Inflation, die z. Zt. bei 65,8 Prozent liegt, anstatt 68,9 Prozent vor Jahresfrist. Dieser leichte Rückgang geht wesentlich auf die Unterstützung des IWF zurück, der das Programm zur Bekämpfung der Inflation leitet und u. a. der Türkei ein Darlehen von vier Milliarden Dollar auf drei Jahren gewährt hat. Dennoch gehen die Regierung in Ankara und der IWF davon aus, daß ab Mitte des Jahres 2000 die Inflation rasch bis zu 20 Prozent gegen Ende des Jahres fallen und 2002 nur noch 5 Prozent betragen werde.

Die Basis dieser Erwartung ist die rasch aufholende Industrie, die im laufenden Jahr von 11 Prozent Steigerung ihres Umsatzes ausgeht. Die Zuversicht für die Zukunft der türkischen Wirtschaft spiegelt sich in der Instanbuler Börse, die fast täglich neue Höhen erreicht.

Gregor M. Manousakis

 
     
     
 
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