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Die Grenzen des Marktes

 
     
 
Das Geschäft mit der Religion blüht. „Wenn die Münze in der Kiste klingt, die Seele aus dem Feuer springt“ - jahrhundertelang warf man der Kirche diesen Spruch wie einen Fehdehandschuh vor die Füße. Sie mache Geschäfte mit den religiösen Empfindungen der Menschen. Nun, im Zeitalter der Informationsflut und des ausufernden Pluralismus, ist es umgekehrt. Jetzt bedienen sich Geschäftemacher der Kirchen und der seelische
n Gemütslagen der Menschen. Immer öfter erscheinen Werbungen mit religiösen Motiven oder Hintergründen.

Das ist besonders in der Vorweihnachtszeit zu beobachten. Eine Zigarettenfirma wirbt mit drei unheiligen Königinnen. Dekor und Ambiente spielen eindeutig auf die Weisen aus dem Morgenland an. Weibliche Reize in Großaufnahme sollen die Szene zum Kontrast machen und damit wohl lustig wirken. Ob damit religiöse Gefühle auch verletzt werden, kümmert die Werbeleute nicht. Kontrast und Konfrontation sind gewollt.

Bei solchen Werbegags geht es nicht nur um Äußerlichkeiten, etwa wenn Benetton eine als Nonne verkleidete Dame irgendeinen farblosen Satz aufsagen oder keck in die Kamera blicken läßt. Nein, man läßt sich nicht lumpen und geht auch weiter auf der Suche nach Hohn und Spott. Das Abendmahl muß es schon sein. Eine unsägliche Textil-Werbung bildete vor ein paar Jahren zwölf nur mit Jeans bekleidete Mannequins im Dekor von Leonardo da Vincis Abendmahl-Szene ab. Der Deutsche Werberat rügte die PR-Kampagne wegen Verletzung religiöser Gefühle. Die Firma stoppte die Kampagne, die PR-Agentur sprach von einem Erfolg. Die Firma sei nun vielen Millionen Deutschen ein Begriff.

Ähnlich probierte es VW in der Nachweihnachtszeit. „Freuet Euch, meine Freunde, ein neuer Golf ist geboren“ - mit diesem Spruch warb man in Frankreich. Viele Gläubige protestierten, ein Kunde schrieb an den Generaldirektor, selbst wenn dieser „keinerlei religiöse Überzeugung hätte, der gesunde Menschen- verstand und die Achtung vor dem anderen hätten Ihnen eine solche Provokation unter dem Deckmantel der Werbung untersagen müssen“. Man werde sich nach einer anderen Automarke umsehen. Auch die französischen Bischöfe reagierten schnell. Die von ihnen im Januar 1997 ins Leben gerufene Vereinigung „Glaubensüberzeugungen und Freiheiten“ erstattete Anzeige. VW zog die rund zehntausend Plakate zurück. Aber die Bischöfe blieben hart und verlangten Entschädigung für die „blasphemische Instrumentalisierung von Bildern und Worten zu kommerziellen Zwecken“. Der Prozeß wurde anberaumt, VW suchte den Vergleich. Man einigte sich schließlich außergerichtlich, VW spendete an ein katholisches Hilfswerk eine Summe in nicht genannter Höhe.

Das Phänomen hat Methode. VW und die anderen Firmen berufen sich, einschließlich ihrer PR-Agenturen, zunächst auf die Meinungsfreiheit, ziehen sich dann auf die Position des harmlosen und nichtsahnenden Managers zurück, der eigentlich nur den Bekanntheitsgrad einer Szene nutzen wollte, um endlich zu einem Schuldeingeständnis zu kommen. Dabei ist der erste Ansatz durchaus glaubwürdig. Public-Relations-Agenturen schwimmen mitten im Zeitgeiststrom. Der predigt die Meinungsfreiheit, allerdings vor allem die individuelle. Daß diese gelegentlich an die Grenze der Gewissensfreiheit der anderen stößt, kümmert die Mainstreamer wenig. Bei ihnen kommt noch die soziologische Erkenntnis hinzu, daß der Mensch von heute Sehnsucht hat nach Geborgenheit, auch im Transzendentalen. Seit Jahren werden die Kirchen an Weihnachten und Ostern wieder stärker besucht, noch stärker seit dem elften September. Alerten PR-Managern kann dieser Trend nicht verborgen bleiben. Trends in Werbegedanken und diese in klingende Münze umzusetzen - das ist in ihren Augen lediglich ein berufliches Ziel.

Der Markt ist der Gott, das Geld der Prophet und dieser Maxime müssen sich, so glauben sie, auch religiöse Gefühle unterordnen.

Der in Essen lehrende Ästhetik-Professor Norbert Bolz beschreibt das Phänomen in seinem Buch „Das kontrollierte Chaos - Vom Humanismus zur Medienwirklichkeit“ so: „Geld entlastet uns von dem Zwang, den eigentlichen Sinn des Lebens zu suchen“, und mit der Vergöttlichung des Geldes gewännen neue Kommunikationsformen an Bedeutung. War es bisher schon so, daß Gefühle erst im Kino richtig schön waren, so stelle die Werbung den emotionalen und sinnhaften Kontext zur Welt der Waren her. Die Werbung dringe nun in den Bereich der Transzendenz vor, sie bekomme religiösen Cha-rakter. Der Markt werde zum Sinnersatz, seine Gesetze zu Lebensgeboten.

Mit diesem Erklärungsmuster müssen sich Christen natürlich nicht notgedrungen abfinden. Tun sie auch nicht. In der Diözese Regensburg regte sich Widerstand gegen die Verunglimpfung religiöser Gefühle durch die Werbung oder die Medien ganz allgemein. Mithilfe einer Unterschriftenaktion machte man sich für eine Änderung des Blasphemie-Paragraphen stark. In allen Pfarreien lagen Listen aus. Die derzeitige Regelung lasse „friedfertige Christen praktisch schutzlos“, erklärt der Regensburger Generalvikar Gegenfurtner. Ziel ist, den Paragraph 166 des Strafgesetzbuches über Gotteslästerung an die Bestimmungen des Paragraphen 130 anzupassen, der in puncto Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung enger gefaßt ist. Es kamen genügend Unterschriften zusammen, um Ministerpräsident Stoiber zu beeindrucken. Der versprach, die Sache voranzutreiben.

Auslöser für die Aktion war ein Fehlschlag vor Gericht. Eine Klage gegen die Darstellung eines gekreuzigten Schweins im Internet war vom Gericht mit der Begründung zurückgewiesen worden, der öffentliche Friede sei durch solche Darstellungen nicht gefährdet. Würde der Paragraph 166 nun den Bestimmungen des Paragraph 130 angepaßt, Blasphemie also genauso behandelt wie Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung, dann reicht es, wenn der Sachverhalt vorliege. Generalvikar Gegenfurtner fordert Toleranz auch gegenüber Christen. Es gehe bei der Aktion nicht um Sonderrechte für Christen, sondern um Achtung vor den religiösen Überzeugungen der anderen. Das sei eines der grundlegenden Persönlichkeitsrechte jedes Menschen, ganz gleich welcher Konfession oder Religion. Hier hat der Markt seine Grenzen.

Geschäfte machen und Geldverdienen sind legitime Tätigkeiten, wer wollte das bestreiten. Aber wenn sie auf Kosten der Persönlichkeitsrechte anderer Menschen gehen, ist der Preis zu hoch. Außerdem: Die Instrumentalisierung religiöser Gefühle öffnet besonders tiefe Felder im Innern des Menschen. Sie verletzt das Sanktuarium, die Verankerung im Schöpfer, indem sie das Göttliche mit einer Handelsware gleichsetzt.

Die Initiative aus Regensburg fand über München ihren Niederschlag im Bundestag. Rund achtzig Abgeordnete der Union brachten einen Gesetzentwurf ein, der eine Verschärfung des Paragraphen 166 im Sinne Gegenfurtners vorsieht. Er wurde in die Ausschüsse verwiesen. Dort blieb er liegen.

Die Reform des Paragraphen 166 kostet zwar nichts. Aber die FDP will nicht mitziehen, und die Unionsspitze wollte nicht riskieren, daß die FDP durch diesen Entwurf verprellt und einen eigenen Entwurf zum Staatsbürgerrecht einbringen würde. Das ist Politik, mag mancher da sagen. Schade. Man könnte sich die Politik gerade bei so sensiblen Themen auch anders vorstellen.

Religion als Ramsch: Die Gesetzeslage macht es noch immer schwer, gegen den Mißbrauch des Glaubens durch geschmacklose Reklame vorzugehen
 
     
     
 
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