|  | Man wird wieder vermehrt Deutsch hören an der Alle. Neben     Königsberg gibt es jetzt mit Allenstein eine zweite Universitätsstadt in Ostdeutschland. Im     April nimmt die dort angesiedelte Ermländisch-Masurische Universität den Studienbetrieb     auf. Hochschulen gab es schon länger in Allenstein. Die akademische Tradition wurde 1950     begründet mit der Eröffnung der Landwirtschaftlich-Technischen Akademie auf dem Gelände     der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt  Kortau. 1969 kam die Pädagogische Hochschule und     1980 noch das Ermländische Theologische Seminar dazu. So wurde Allenstein eine immer     jüngere Stadt; fast die Hälfte der Bevölkerung ist heute unter dreißig Jahre alt. Das     Bildungsniveau und damit auch die durchschnittliche Einkommenshöhe blieben im südlichen     Ostdeutschland mit 80 Prozent des Landesdurchschnitts hinter der allgemeinen Entwicklung     zurück. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist die Region nach Flucht, Vertreibung und     polnischer Neubesiedlung immer noch relativ dünn besiedelt und mit einer fast archaisch     anmutenden Bevölkerungsstruktur gesegnet. Mehr als ein Viertel der 774 000 Einwohner     der Region ist immer noch in der Landwirtschaft tätig. Durch seine politisch unsichere     Randlage ist das Gebiet auch verkehrsmäßig weniger erschlossen. Ins Gewicht fällt auch     die gemischte Nationalstruktur. Viele der nach dem Krieg hier nicht freiwillig     angesiedelten Ukrainer leben im Allensteiner Bezirk sowie noch über 20 000 Deutsche. Alle     Volksgruppen wurden lange unterdrückt und erreichten daher viel seltener höhere     Bildungsabschlüsse. Nach der politischen Wende wurde auch hier umgedacht. Wirkliche     akademische Freiheit sollte nun einziehen und bald kam der Wunsch nach einem Ausbau der     drei bestehenden Hochschulen zu einer Universität auf. Im Juli 1999 war man am Ziel.     Polnisches Parlament und Senat beschlossen die Eröffnung einer Universität in     Allenstein, und im August 1999 unterschrieb Präsident Kwasniewski die Gründungsurkunde.     Die Bedeutung, die man von polnischer Seite dieser Neugründung beimaß, wird auch dadurch     belegt, daß Premierminister Jerzy Buzek persönlich zur Inaugurationsfeier am 1. Oktober     1999 an die Alle kam. 
 Als Ziele der Universität wurden vor allem die Hebung des Bildungsniveaus genannt, die     Hoffnung, die Hochqualifizierten dann auch in der Region halten zu können und in ihrem     Sog neue Betriebe ansiedeln zu können, die ihrerseits wiederum Arbeitsplätze nicht nur     für Hochschulabsolventen schaffen. Das ist bei einer Arbeitslosenquote von 21,7 Prozent     in Südostpreußen gegenüber 13,6 Prozent im Landesdurchschnitt enorm wichtig. Selbst     wird die Universität auch ein bedeutender Arbeitgeber sein. Bisher arbeiten dort schon     2700 Personen, gut 1 600 davon sind Lehrer. Etwa 30 000 Studenten sollen hier bald an 12     Abteilungen studieren. Das Angebot reicht von Theologie über Pädagogik, Recht,     Wirtschaft, Tiermedizin, Landwirtschaftstechnik bis hin zu einem reichhaltigen     humanistischen Angebot einschließlich Geschichte und Deutsch.
 
 Besonders interessant ist für alle Ostdeutschland natürlich die humanistische Fakultät     und dort wiederum die Abteilung Germanistik. Im Zuge des Ausbaus in Richtung Universität     hatte die Pädagogische Hochschule 1995 eine erste Abteilung für deutsche Philologie     eingerichtet, die von der damaligen Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth mit eingeweiht     wurde. Der Grund war damit gelegt, den Lehrstuhl hat seit der Betriebsaufnahme 1996     Professor Christofer Herrmann inne. Derzeit studieren schon fast 200 Studenten deutsche     Philologie, bisher hauptsächlich für das Lehramt. Mit dem neuen Studienjahr, dem ersten,     in dem der Lehrstuhl für deutsche Philologie zur Universität gehört, ist das     Germanistik-Vollstudium möglich. Die neue Universität hat auch das Recht, Doktortitel zu     verleihen. Der Andrang ist nach Angaben der Pressestelle der Hochschule riesig, auf einen     Studienplatz für Germanistik kommen sechs bis sieben Bewerber.
 
 Im jetzt beginnenden Semester werden sich 21 Lehrer um die Studenten bemühen, vier     davon haben Deutsch als Muttersprache. Eine moderne Ausrüstung soll das Übrige tun, um     einen hohen Standard zu gewährleisten. Die Germanisten nennen ein Sprachlabor mit 32     Plätzen ihr eigen sowie einen Saal mit multimediatauglichen Computern. Die Fakultät     betont die große Mithilfe von deutscher Seite, einmal von der Stiftung Deutsch-Polnische     Zusammenarbeit und besonders von der Dietrich-Stiftung aus der Allensteiner Partnerstadt     Offenburg. Um Georg Dietrich für seine große Hilfe zu ehren, gab man dem Computerraum     den Namen Georg-Dietrich-Saal.
 
 Der Ausbau der Bibliothek, die seit 1998 schon im Gebäude der Humanistischen Fakultät     an der Friedrich-Wilhelm-Straße  ist, kommt voran. Neben unzähligen     Tonbändern und Zeitschriften gibt es 6000 fremdsprachige, meist deutsche Bücher. Davon     sind 4 500 Bücher Gaben der oben genannten Stiftungen, der Robert-Bosch-Stiftung und     vieler privater Spender. Mit 211 Leseplätzen ist die Bibliothek großzügig     dimensioniert, und was besonders für Deutsche interessant ist: sie ist für jedermann     zugänglich, nicht nur für Studenten. Seitens der Fakultät betont man die gute, bereits     bestehende Zusammenarbeit mit den deutschen Hochschulen in Heidelberg und Freiburg, wo     auch immer wieder mehrwöchige Deutschkurse stattfinden.
 
 Als wichtig sieht die Universität auch die Einbeziehung des Allensteiner Deutschen     Vereins an, dessen kulturelle Aktivitäten für alle Deutschstudenten eine hervorragende     Kontaktmöglichkeit mit der deutschen Kultur sei.
 
 Was die Forschung betrifft, will man sich besonders den Eigenheiten der Region mit     ihrer deutschen Vergangenheit widmen und sowohl sprachwissenschaftlich als auch     literaturwissenschaftlich dem historischen Ostdeutschland näherkommen. Allenstein ist heute     eine junge dynamische Stadt. Dieser Entwicklung trägt gerade die Universitätsgründung     Rechnung. Sie ist eine Investition in die Zukunft, in eine gesamteuropäische Zukunft, in     der auch die deutsche Sprache wieder wie selbstverständlich einen Platz an der Alle     findet.
 
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