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Erdogan zwischen allen Stühlen

 
     
 
Schlimmer konnte es für die um ihr Ansehen ringende Türkei kaum kommen: In einem Video, das von dem Sender "TGRT" veröffentlicht wurde, posieren türkische Polizisten mit dem Attentäter des armenischen Journalisten Hrant Dink - in gemeinsamer Siegerpose vor der Landesfahne. Just entbrannte eine landesweite Debatte über den "tiefen Staat". Damit umschreiben die türkisch
en Medien das undurchdringliche Geflecht aus Militär und Polizei, das - entgegen allen Demokratiebeteuerungen - das Land am Bosporus in Wahrheit beherrsche und schon mehrfach demokratisch gewählte Regierungen aus dem Amt gefegt hat.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan taumelt zwischen jenen nationalistischen Sicherheitskräften, seiner islamischen Partei AKP, radikalen Islamisten und dem Wunsch, von der EU als Partner akzeptiert zu werden. In Europa ist vor allem der sogenannte "Türkentumparagraph" 301 umstritten, den Erdogan erst jüngst wieder vor Journalisten in Istanbul gegen Abschaffungsforderungen verteidigte. Das Gesetz stellt die Beleidigung des türkischen Staates und die "Verunglimpfung des Türkentums" unter Strafe. Darunter fällt auch die Erwähnung des Völkermords an den Armeniern. Kritiker monieren, daß die Formulierungen im Gesetz schwammig gehalten seien und so nationalistischen Eiferern und Denunzianten Tür und Tor öffneten.

Nach der Ermordung von Hrant Dink, dem Eiertanz um die Öffnung türkischer Häfen für Schiffe aus Zypern und dem Papstbesuch, der von Pöbeleien nationalistischer und islamistischer Kreise überschattet war, sitzt Erdogan im Wahljahr 2007 einmal mehr zwischen mehreren Stühlen. Seine Regierungspartei AKP kann es sich nicht leisten, auf polarisierende islamistische und nationalistische Wähler zu verzichten. Andererseits strebt Ankara weiterhin nach dem EU-Beitritt. Erdogans Problem dürfte weniger der eigentliche Inhalt des Türkentumsparagraphen sein als seine Auslegung und willkürliche Anwendung durch nationalistische Beamte, Richter und Staatsanwälte.

Während der Regierungschef nicht müde wird, sein Volk zur Besonnenheit aufzurufen, rücken seine Abgeordneten im Parlament von der Parole "Wir sind alle Armenier" indes wieder ab, mit der sie sich vor der Weltöffentlichkeit von dem Mord an Dink distanziert hatten. Die Wahlen im Blick tritt wieder die Sorge in den Vordergrund, Stimmen unter radikalen Nationalisten zu verlieren, denen die demonstrative Solidarisierung mit einem Armenier keineswegs sympathisch ist.

Der Verdacht, daß es bei den theatralischen Bekenntnissen zu Dink mehr um Schau als um den Ausdruck wahrer Haltungen ging, wird zudem dadurch erhärtet, daß die zivile Hetzjagd auf alles "Untürkische" unvermittelt weitergeht. Eine armenische Kirche in Istanbul wurde mit der Aufschrift "Armenier verrecke" beschmutzt. In den Fußballstadien erschienen vergangenes Wochenende gleich Tausende Fans demonstrativ mit weißen Wollmützen, der Kopfbedeckung, die der Dink-Attentäter während seines tödlichen Anschlags trug. Und auch die staatlichen Organe setzen ihren Kurs fort: Gegen die prokurdische Zeitung "Evrensel" läuft ein Prozeß wegen Beleidigung der Streitkräfte.

Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk wurde nach nationalistischen Drohungen unter Polizeischutz gestellt. Eigentlich wollte Pamuk dieser Tage nach Deutschland kommen, um in Berlin die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin entgegenzunehmen. Auf Anraten türkischer Sicherheitsbehörden wurde der Besuch abgesagt. Kurz darauf reiste der Autor allerdings in die USA, woraufhin sich die Frage stellt, inwieweit die Absage des Berlinbesuchs mit der starken türkischen Minderheit in der deutschen Hauptstadt in Zusammenhang steht. Auch unter Berlins Türken tummeln sich extrem-nationalistische Zirkel. In den USA leben nur wenige Türken.

Nach den Skandalbildern der Polizisten mit dem Dink-Attentäter regen sich überdies weitere Zweifel, ob Pamuk in der Hand der türkischen Sicherheitskräfte sicher ist. Schon zuvor hatte sich herausgestellt, daß einer der möglichen Komplizen im Mordfall Dink Informant der Polizei war. Nach türkischen Medienberichten sollen 17 Warnungen bei der Polizei von Trabzon, dem Heimatort der Tatverdächtigen, eingegangen sein. Die Stadt am Schwarzen Meer ist eine Hochburg von nationalistisch-religiösen Parteien wie der "Großen Einheitspartei" (BBP) oder der "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP). Vom dortigen Polizeirevier wurde nur einer der Hinweise an die Polizei in Istanbul weitergeleitet und dort offenbar schnell zu den Akten gelegt.

In Trabzon, wo vor einem Jahr bereits der italienische Priester Santoro von einem 16jährigen erschossen wurde, sind nun Inspekteure des Innenministeriums um Aufklärung von Hintergründen bemüht. Provinzgouverneur und Polizeichef wurden abberufen - Bauernopfer, schimpfen Kritiker. Im Fadenkreuz der Ermittler steht vor allem die "Große Einheitspartei" (BBP). Auf einem Foto aus dem Jahre 2005 ist Erhan Tuncel, der Anstifter des 17jährigen Dink-Attentäters, mit Parteichef Muhsin Yazicioglu auf einer Pressekonferenz zu sehen. Die BBP dementiert jegliche Beziehung zu den Attentätern.

Orhan Pamuk spielt nun mit dem Gedanken, vorerst in Amerika unterzutauchen. Hatten doch seine Äußerungen über die "Lynchmentalität im Lande" noch einmal Wasser auf die Mühlen der türkischen Seele gegeben. Ob er sein neues Buch "Das Museum der Unschuld" persönlich in der Türkei vorstellen wird, bleibt vorerst unklar.



Der umstrittene Paragraph 301 im türkischen Strafrecht

Der Paragraph 301 im türkischen Strafrecht regelt den Umgang mit der sogenannten "Herabsetzung des Türkentums". Im Absatz 1 heißt es: "Wer das Türkentum, die Republik oder die Große Nationalversammlung der Türkei öffentlich herabsetzt, wird mit sechs Monaten bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft." Absatz 4 relativiert nur unscharf: "Eine Meinungsäußerung, die mit der Absicht der Kritik erfolgt, ist keine Straftat." Was unter "Türkentum" verstanden wird, ist nicht erläutert. Unklar bleibt auch, was Herabwürdigung von Kritik unterscheidet.

Der dehnbare Paragraph wurde bis zum September 2006 69mal angewendet, um Schriftsteller, Journalisten, Verleger und Intellektuelle anzuklagen. Die Autorin Elif Shafak mußte sich für eine Passage in ihrem Roman "Bastard von Istanbul" verantworten. Auch der türkische Verleger der Griechin Mara Meimaridi wurde wegen des Buches "Hexen von Izmir" vor den Richter zitiert. Eine Zeitzeugin äußert sich darin über das Leben der griechischen Minderheit in Kleinasien im 20. Jahrhundert mit den Worten, "die Türkinnen sahen schlechter als die Griechinnen aus" oder "die türkischen Soldaten rochen fürchterlich aus dem Mund". Der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und der ermordete Journalist Hrant Dink waren ebenfalls Ziele von Anzeigen unter dem "Türk
 
     
     
 
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