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Finanzpolitik: Staatsverschuldung und Anspruchsdenken

 
     
 
Beim Wort Staatsverschuldung pflegt den Staatsbürger ein ungutes Gefühl zu beschleichen. Genaue Zahlen kennt er nicht, doch weiß er, daß von Millionen schon längst nicht mehr die Rede ist. 1990 hat die Staatsverschuldung mit 1054 Milliarden DM sogar die Billion überschritten und ist schon Ende 1995 bei fast 2 Billionen (1999 Milliarden DM) angelangt.

Man fragt sich: Wo sind die Grenzen der Verschuldungsfähigkeit? Ist der Staatsbankrott unvermeidlich? Und schließlich: Was hat der Staatsbürger als Steuerzahler
, als Rentner, als Sparer und haftender Schuldner zu erwarten? Ist nicht die Ansicht weit verbreitet, daß unsere beiden letzten Staatsbankrotte 1923 und 1948 Folgen der beiden Weltkriege gewesen seien? Zweifellos waren die Rüstungsfinanzierung und die Kriegsentschädigungsleistungen aller Art die Hauptursachen, doch zeigt die lange Liste der weltweiten Staatsbankrotte, daß es auch ohne Kriege zu Zusammenbrüchen der Staatsfinanzen kommen kann. Die Bundesrepublik Deutschland jedenfalls hat noch nie einen Krieg geführt, und dennoch ist die Staatsverschuldung in unvorstellbarem Maß gewachsen.

Die Behauptung, die Schuldenentwicklung sei hauptursächlich Folgelast des verlorenen Krieges, beispielsweise die soziale und wirtschaftliche Eingliederung von rund 15 Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen aus dem Osten und der DDR, trifft nur bedingt zu. Denn das rapide Ansteigen der Staatsverschuldung ist offensichtlich kein speziell deutsches Phänomen, wie die Budgets unserer EU-Partner oder auch der USA zeigen.

Unter Staatsverschuldung versteht man die Schulden der öffentlichen Haushalte, also des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Wer die im "Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland" oder in den aktuellen Jahres- und Monatsberichten der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Zahlen verfolgt, wird gewahr, daß die Ausgangsgrundlage der Bundesrepublik Deutschland in punkto Staatsverschuldung äußerst günstig war, hatte sich der Staat doch durch die "Währungsreform" nahezu voll zu Lasten seiner inländischen Gläubiger entschuldet. Dank des Fleißes der Kriegs- und Nachkriegsgeneration bei gleichzeitiger Bescheidenheit in ihren Ansprüchen konnte der Wiederaufbau der weitgehend zerstörten Städte und Industrieunternehmen ohne nennenswerte Neuverschuldung bewältigt werden.

Im Jahrzehnt 1950 bis 1960 bewegte sich der Schuldenzuwachs zwischen 0,3 und 1,6 v. H. des Bruttoinlandprodukts (BIP). Gleichlaufend gelang es, die staatlichen und privaten Vorkriegsauslandsschulden (13,7 Mrd. DM) nachhaltig abzubauen. Schon 1953 wiesen die Haushalte Kassenüberschüsse aus. Finanzminister Fritz Schäffer (CSU) häufte im sogenannten Juliusturm Milliardenbeträge an. Gefüllte Kassen wecken jedoch bekanntlich Begehrlichkeiten. Die lange Geschichte der Wahlgeschenke, dynamischer Ausgabenpolitik, defizitärer Haushalte und überproportional steigender Verschuldung begann und setzte sich in jeder Legislaturperiode und von Regierung zu Regierung auf immer höherem Niveau fort.

Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und den damit zusammenhängenden Erblasten, die unsere politische Führung merkwürdigerweise in ihrem Ausgang nicht geahnt hatte, begann ein neues Kapitel im Buch der Staatsverschuldung. Sowohl der formale als auch der finanzielle Rahmen der traditionellen Budgetpolitik geriet durch abgrundtiefe Schuldenlöcher völlig aus den Fugen. Das bisher übliche finanzpolitische Instrumentarium war nicht mehr anwendbar. Glaubten doch unsere Politiker, die "Übernahme" aus der Portokasse zahlen zu können.

Da auch die Solidaritätsabgabe nicht ausreichte, blieb somit nur noch der Ausweg über Neben- und Sonderhaushalte, zumal da die spezifischen Verwendungszwecke auch einen entsprechend strukturierten Finanzierungsbedarf erforderten. Zu nennen sind der "Fonds Deutsche Einheit", der "Kreditabwicklungsfonds", die "Treuhandanstalt" und der spätere "Erblastentil-gungsfonds". Bezieht man die ebenfalls in die "Finanzierung Ost" eingeschalteten "ERP-Sondervermögen" sowie die Förderbanken des Bundes (KfW, Deutsche Ausgleichsbank und Berliner Industriebank) mit ihren sprunghaft gestiegenen Kreditvolumina ein, so muß man von einer geradezu weltmeisterlichen Staatsverschuldung sprechen. Die Haushaltspolitik geriet dadurch zur Finanzakrobatik. Es entstanden ständig neue Schuldpositionen und innerhalb des Gesamthaushaltes kam es laufend zu Abgrenzungen, Umgruppierungen und Übertragungen. Selbst Haushaltsexperten verloren den Über- und Durchblick. Als die Kreditfinanzierung aus dem Ruder zu laufen drohte, griff man zur Mittelbeschaffung mittels Privatisierung von Bundesunternehmen. Defizitäre Unternehmen wie Bahn und Post ließen sich jedoch nicht ohne Übernahme ihrer Pensionsverpflichtungen veräußern. Trotz aller Bemühungen zwang die drohende Nichterreichung der Maastricht-Kriterien sogar zu Budgettricks, die bei anderen EU-Staaten als "kreative Buchführung" angeprangert wurden. Es geht jedoch nicht an, die deutsche Vereinigung als einzige Hauptursache für die anschwellende Verschuldung der letzten Jahre zu bezeichnen. Überproportional ansteigende Ausgaben für die gesetzlichen Alterssicherungssysteme und die Arbeitslosenunterstützung sowie uferlose Aufwendungen für Armutsflüchtlinge aus aller Welt, Kriegsflüchtlinge, für Militäreinsatz auf dem Balkan, Hilfeleistungen allerart und allerorten, üppige Zahlungen an internationale Organisationen u. a. m. können nicht mehr aus den Einnahmen der laufenden Haushalte aufgebracht werden und müssen daher aus zusätzlicher Kreditaufnahme gedeckt werden.

In 48 Jahren hat die Staatsverschuldung sich von 20 Milliarden DM im Jahre 1950 auf inzwischen 2200 Milliarden erhöht. Besorgniserregend ist zudem die hinsichtlich erkennbarer Zukunftsrisiken betriebene Vogel-Strauß-Politik. Weder werden Rücklagen bzw. Rückstellungen für die mit Sicherheit im kommenden Jahrzehnt stark ansteigenden Beamtenpensionen gebildet, noch wird Vorsorge für die zu erwartende Inanspruchnahme aus den vom Bund übernommenen Garantieverpflichtungen getroffen. Man denke nur an das drohende Risiko aus den Garantien zugunsten Rußlands (ca. 70 Millionen DM), aber auch Südamerikas.

Steigende Verschuldung bedingt zwangsläufig höhere Belastungen für den Schuldendienst. Eine höhere Schuldenquote (Verschuldung in Prozent des Bruttoinlandprodukts) – 1970 lag sie bei 18 Prozent, heute bei über 60 Prozent – bedeutet eine zunehmende Einengung der fiskalpolitischen Handlungsspielräume. Die übermäßige Verwendung von Finanzmitteln aus wachsender Neuverschuldung verhindert eine ausreichende Mittelbereitstellung für Investitionen. Investitionen sind aber die Hauptantriebskraft für das Wirtschaftswachstum, und auf stetiges Wachstum ist gerade der Staat als Fiskus angewiesen.

Befindet sich also der Staat in einer ausweglosen Situation? Nun, es wäre einfältig, die Schuld an der steigenden Verschuldung voll der Regierung oder den Politikern zuzuschieben. Verantwortlich ist zweifellos auch die übersteigerte Anspruchshaltung vieler Bürger. Sofern hier keine grundsätzliche Änderung der Verhaltensweise eintritt, nämlich daß man nicht unbegrenzt über seine Verhältnisse leben kann, werden Gefälligkeitspolitiker die Schuldenmacherei in der Erwartung ungebremst fortsetzen, daß sie deren Folgen nicht (mehr) zu verantworten haben werden.

Wenn nicht kraftvoll gegengesteuert wird, dürfte der Staatsbankrott kommen, wahrscheinlich nicht unversehens, sondern in Raten. Aber der Staat kann ja angeblich nicht Bankrott machen! Nur: Für die Staatsschulden haften weder die Regierung noch die Politiker noch Millionen staatlicher Unterstützungsempfänger einschließlich unserer unzähligen Staatsgäste, sondern die treudeutschen, soliden und sparsamen Staatsbürger. Zu bezahlen ist die Zeche mit Sicherheit – aber bitte in Euro. D. R

 

 
     
     
 
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