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Hinter dicken Mauern

 
     
 
Kinder, ich gehe ins Kloster!“ Dieser Satz mag gerade in der heutigen Zeit ein wenig merkwürdig anmuten, aber so oder so ähnlich wird Erika Krüger ihre Kinder wohl mit ihrem neuen Beruf konfrontiert haben. Zudem, Erika Krüger geht nicht „richtig“ ins Kloster, die 55jährige hat dort im Dezember ihre neue Position als Äbtissin angetreten.

Aber wie wird man Äbtissin? Die neue Herrin des Klosters Ebstorf, einem von sechs evangelischen Damenklöstern in der Lüneburger Heide, hat sich vermutlich selbst nie träumen lassen, daß sie eines Tages in ihrem Lebenslauf
neben Bauzeichnerin, Hausfrau und zweifache Mutter, dann über den zweiten Bildungsweg Lehrerin für Deutsch und Geschichte in der Weiterbildung für Sozialhilfeempfänger, den Beruf Äbtissin einfügen würde. Eigentlich hatte sie sich auf eine Stellenanzeige, in der man die Leiterin eines Damenstifts suchte, beworben. Von Äbtissin stand dort kein Wort. Vierunddreißig Damen bewarben sich auf diese Position, aber die sechs Bewohnerinnen des Klosters entschieden sich alle einstimmig für Erika Krüger.

Und wie reagierte die Familie? Es ist ja wahrhaftig nicht alltäglich, daß eine geschiedene Ehefrau, Mutter und Großmutter mit 55 Jahren einen neuen Berufweg und dann auch noch als Leiterin eines Klosters einschlägt. Für Erika Krüger entpuppte sich die neue Aufgabe schnell als Herausforderung und auch als Abenteuer. Ihre Familie befand nach anfänglicher Verwunderung, daß dieses neue Amt zu ihrer Mutter passe.

Wie sieht überhaupt in der heutigen Zeit der Klosteralltag aus? Früher lebten im Kloster vor allem alte Jungfern und Witwen aus reichen Adelsfamilien, heute verbringen hier ehemals berufstätige und auch verheiratete Frauen ihren Lebensabend. Die sechs Bewohnerinnen sind zwischen 64 und 80 Jahren, und im Laufe des Frühjahrs ziehen zwei weitere Damen nach Ebstorf ins Kloster. Regelmäßig leben auch für einige Wochen Besucherinnen in den Mauern des historischen Gebäudes, aber diese Mauer ist in der heutigen Zeit kein Abschluß mehr. Die tatkräftigen Damen sind füreinander und auch für die Gemeinde da, in der sie leben. Veranstaltungen mit den Gemeindemitgliedern, Kindersingen in den Klostergängen und die Hilfe bei der Ausrichtung des alljährlichen Schützenfestes von Ebstorf gehören zu den äußerst weltlichen Aufgaben. Abwechselnd übernehmen sie die einstündige Führung der Touristen durch die Räumlichkeiten und die Gartenpflege.

Natürlich spielt die Religion in dieser christlichen Wohngemeinschaft auch eine große Rolle. Jeden Morgen verlassen die Konventualinnen ihre eigenen Woh- nungen und versammeln sich zur Morgenandacht. Während der Woche tragen alle Bewohnerinnen Privatkleidung. Die typische Tracht wird nur am Sonntag oder bei kirchlichen Feiertagen angelegt, wobei hier angemerkt sei, daß es sich um ein evangelisches Kloster handelt und die dortigen Regeln nicht so streng wie in einem katholischen sind.

Was sind aber die Aufgaben der Äbtissin? Erika Krüger muß das Kloster geistig wie auch weltlich repräsentieren. Sie übernimmt die Planung und Organisation des Klosters und seiner Veranstaltungen, der Haushaltsplan des Klosters wird ebenfalls von ihr überwacht. Selbstverständlich muß auch ein Kloster mit seinen begrenzten finanziellen Mitteln haushalten, und dafür ist Erika Krüger verantwortlich. Die seelsorgerische und theologische Betreuung der Gemeindemitglieder gehört allerdings nicht, wie möglicherweise vermutet, zu ihren Aufgaben, denn das übernimmt die zuständige Pastorin. Allerdings ist die Klosterherrin für die vielen Klosterschätze verantwortlich. Jedes Jahr besichtigen 12.000 Touristen die historischen Gebäude, in denen unter anderem eine der ältesten Weltkarten zu bewundern ist. Die Karte wurde im 13. Jahrhundert von dem Kleriker, Diplomaten und Schriftsteller Gervasius von Tilbury geschaffen. Das Kloster wurde vor über 800 Jahren gegründet und bis zur Re- formation 1528 von Benediktinerinnen bewohnt. Die alten Kreuzgänge aus dem 13. und 14. Jahrhundert, die wunderschönen farbigen Glasfenster, die Szenen aus der Bibel zeigen, Truhen und Kisten aus der Zeit seit 1177, die thronende Madonna aus dem Nonnenchor, den 600 Jahre alten Mauritiusleuchter und Skulpturen aus den verschiedensten Epochen werden nicht nur Kunstkenner faszinieren. (Kloster Ebstorf, Kirchplatz 10, 29574 Ebstorf, Telefon 0 58 22/ 23 04.)

Erika Krüger betrachtet es als ihre Pflicht, die einmaligen und wertvollen Kunstschätze zu bewahren und ihnen auch die nötige Achtung durch die Öffentlichkeit entgegenbringen zu lassen. Die Frage, ob sie sich der neuen Aufgabe gewachsen fühlt, wagt man bei ihrer überzeugenden Art gar nicht zu stellen. Diese Frau ist selbstbewußt und willensstark, Charaktereigenschaften, die sie vielleicht von ihrer ostdeutschen Mutter mit auf den Weg bekommen hat. Fritz Hegelmann

Erika Krüger: Als neue Herrin des niedersächsischen Klosters Ebstorf auch für Veranstaltungen zuständig
 
     
     
 
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