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Im Tod unter sich

 
     
 
Gewöhnlich sind Friedhöfe gärtnerische Anlagen; wuchtige Tannen, Ulmen, Eschen werfen Schatten, grellfarbiges florales Blühen, so weit das Auge blickt, hin und wieder ein verwildertes, von Gräsern überwachsenes Grab. Unzähliges Denkmalgestein, funkelnagelneu oder bereits abgesunken, säumt Wege und Winkel. Nichts dergleichen findet sich auf dem "Gesandtenfriedhof" in Regensburg. Er ist im Wortsinn ein "Straßenfriedhof", der südlich und östlich mit zwei schmalen Gassen die "Dreieinigkeitskirche" einrahmt. Man wandert auf Steinpflaster - Vorsicht, nicht stolpern - an den eng aneinandergereihten, hohen Monument-Grabmälern der in Regensburg während ihrer Amtszeit verstorbenen Diplomaten entlang. Alle erzählen eine Lebensgeschichte
, die hier ihr Ende fand.

Angelegt wurde der Friedhof im 16. Jahrhundert inmitten der heute historischen Altstadt. Er war notwendig geworden, weil seit 1594 alle Reichstage vom jeweiligen Kaiser nach Regensburg einberufen wurden. Anno 1663 erhielt er den Namen "Immerwährender Reichstag", und so blieb es bis zum Ende des "Alten Deutschen Reiches" 1806. Ursprünglich erschienen nur Länderfürsten, Kurfürsten zu den Beratungen, später wurden Grafen und Freiherren zugelassen. Bis zu 70 Gesandtschaften verschiedener Staaten siedelten in Regensburg, sozusagen ein erstes Europa-Parlament. Getagt wurde im "Alten Rathaus", im prachtvollen "Reichssaal".

In ihrer Gesamtheit prägten die Staatenvertreter das gesellschaftliche Leben der Stadt, Prunk und Pomp feierten Triumphe. Die Gesandten lebten mehr oder weniger isoliert, bildeten einen Cercle, blieben also in ihrem Dasein unter sich - und eben auch im Tode. Kam es zu Begegnungen mit der Bevölkerung, so wurde diese Ehre ranghohen, reichen oder mit Ansehen bedachten Bürgern zuteil. Schönheit jedoch hat überall Zutritt. So verdankt Regensburg der Gürtlerstochter Barbara Blomberg eine weit über die Stadt hinaus wirkende Liebesgeschichte, die ohne den "Immerwährenden Reichstag" nicht möglich gewesen wäre. Zunächst aber wandern wir durch die Gräbergassen des Gesandtenfriedhofs.

Wolkengrauer Himmel, Regen nieselt. Vereinsamter kann man sich nicht fühlen, lebensentfremdeter auch nicht. Je länger man durch die Gassenschläuche streift, je aufmerksamer man Totendenkmal für Totendenkmal ins Auge faßt, um so öfter blickt man sich um. Kein Mensch in der Nähe, niemand, der mit einem Blumengebinde unterwegs ist. An welchem Grab sollte man es niederlegen? Die Beerdigten sind längst vergessen, existieren lediglich als historische Gestalten und sind als solche der Erinnerung würdig. In der Ferne schleicht eine Katze über das Pflaster, verschwindet. Einzig von Leben zeugt hier die "Dreieinigkeitskirche". Obwohl sich ihr um diese frühe Tageszeit und bei unwirtlichem Wetter kein menschliches Wesen nähert, vermitteln ihre Mauern doch diesseitige Vertrautheit.

Wieder stockt der Fuß. Diesmal vor dem Grabmal des 1710 verstorbenen Barons Johann Christoph von Limbach. Aus loderndem Flammenzauber erhebt sich der Vogel Phönix, ewiges Auferstehungssymbol. Ein großflächiges Medaillon am Grabmal des Braunschweig-Lüneburgischen Gesandten Christoph von Schrader zeigt sein Halbporträt, neben ihm eine Dame, vermutlich die Gattin. Seltsam berührt verweilt man vor der Ruhestatt des kursächsischen Gesandten Anton Schott. Er starb 1685. Ein Jahr später verschied sein Sohn Anton. Dessen Medaillonbildnis reicht ein Putto dem sich aus einem Oval in der Höhe herausbeugenden Vater hinauf. Steinerne Ewige Lichte, Totenschädel, Rankenverflechtungen und musizierende Putti bilden den im Barock verschwenderisch gehandhabten Dekor der Grabmäler. Buchstäblich sprachlos steht man am Skulpturgrab des königlich-dänischen Ministers Esaias von Puffendorf. Zwischen zwei Säulen verharrt er, lebensgroß dargestellt, in heldischer Pose auf einem Podest. Er trägt eine Ritterrüstung aus mittelalterlicher Zeit, dazu eine Allongeperücke, die zu Puffendorfs Epoche Mode war. Wahrscheinlich ist er selber der Heros. Diese Form von Selbstdarstellung war auf europäischen Friedhöfen früherer Jahrhunderte keine Seltenheit, wurde vielfach zur Kultur erhoben. So in Italien auf dem "Cimetero die Staglieno" bei Genua. Unwillkürlich schreckt der Gedanke, Puffendorf würde herabsteigen und einem folgen. Aber das wäre auf dem Steinpflaster zu hören.

Ohne die "Dreieinigkeitskirche" wäre der Straßenfriedhof verödet, vielleicht würde er nicht einmal mehr existieren. Das den Friedhof dominierende Gotteshaus wurde in den Stilelementen der ausgehenden Renaissance und des beginnenden Frühbarocks 1627 bis 1631 errichtet. Es gewinnt besondere Bedeutung durch die Tatsache, daß es der erste rein evangelische Kirchenbau in Regensburg war und somit eine der ältesten evangelischen Kirchen in ganz Bayern. Historische Ursache war der Übertritt der Stadt zum Protestantismus 1542. Des weiteren machten auch die zuströmenden Exulanten aus der Oberpfalz und Österreich ein Gotteshaus ihres

Glaubensbekenntnisses notwendig. Fortan lebten Katholiken und Protestanten gemeinsam in der Stadt, mußten miteinander auskommen. Und siehe da: Wenn Dogmatiker sich nicht einmischen, klappt es zwischen Menschen freundlichen Willens.

Die Predigt zur Einweihung der Dreieinigkeitskirche am 5. Dezember 1631 stellte Superintendent Salomon Lenz unter das Thema: "Herr, deinem Haus gebührt Herrlichkeit für alle Zeiten." Und herrlich ist das Kircheninnere. Blickfang bildet die Sonnenscheibe an der Langhausdecke. Sie trägt die Inschrift: "Sanctae Trinitati sacrum" ("Ein Heiligtum für die Heilige Dreifaltigkeit"). Altar, Kanzel, Orgel, Empore, das prächtige Gestühl verleihen der Kirche den Rang "eines der besten Meisterstücke in Teutschland", äußerte 1718 Leonhard Chr. Sturm. Man verläßt die Kirche und steht wieder auf dem Pflaster des Gesandtenfriedhofs.

Höchster "Gesandter", Persona grata des Reichstages 1546, war Kaiser Karl V. Anläßlich eines Festaktes, zu dem vermutlich ins Rathaus eingeladen wurde, erregte ein junges Mädchen des Kaisers Aufmerksamkeit. Er ließ sie sich vorstellen. An der Hand ihres Vaters trat Barbara Blomberg zu ihm, knickste tief. Der Kaiser lächelte ihr zu. "Ihr seid sehr schön", sagte er. Erneut knickste Barbara, erneut lächelte der Kaiser. "Ich möchte Euch wiedersehen." Schweigen im Kreis. Barbara suchte den Blick ihres Vaters. Der antwortete: "Der Wunsch Eurer Majestät ist große Ehre." Erleichtertes Aufatmen der Ratsherren und Gäste.

Für die Zeit des Aufenthaltes in Regensburg schenkte der Kaiser Barbara Blomberg sein alterndes Herz; daß sie Protestantin war, nahm er in Kauf. Sie haben sich nie wiedergesehen. Ihren Sohn gebar Barbara am 24. Februar 1547 in der elterlichen Wohnung im imposanten Hausturm der Tändlergasse 1. Ein Schild weist das Ereignis aus. Den Knaben ließ der Kaiser an den spanischen Hof holen und zusammen mit seinem legitimen Sohn, dem Thronfolger Philipp, erziehen. Die von Karl mit reicher Apanage und dem offiziellem Titel "Erlauchte Mutter des erlauchtesten Don Juan d Austria" versehene Barbara begegnete ihrem Sohn nur noch ein einziges Mal. Da war er der gefeierte Sieger über die Türken in der Seeschlacht von Lepanto 1571. "Retter Europas" lautete sein Beiname.

Noch einen letzten Blick in die Gräbergasse auf die Denkmäler. Mehrere Jahrhunderte versahen Gesandte den diplomatischen Dienst, und wer nicht in sein Heimatland zurückkehrte, fand auf dem Gesandtenfriedhof letzte Bleibe. So blieben sie im Leben wie auch im Tode unter sich.

Diesen Regensburger "Straßenfriedhof" umwebt Melancholie. Aber das ist nicht selten bei eigentümlichen Kulturdenkmälern.

 

Straßenfriedhof in Regensburg: Hier fanden Diplomaten ihre letzte Ruhestätte. Fotos (2): Peter Ferstel / Stadt Regensburg

Heldenpose: Skulpturgrab des dänischen Ministers Esaias v. Puffendorf

 
     
     
 
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