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In Unwissenheit geeint

 
     
 
Am 12. Mai 2005 sagten 569 von 594 anwesenden deutschen Abgeordneten im Bundestag "Ja" zur Verfassung der Europäischen Union (EU), ohne den Deutschen Gelegenheit zu einer Volksabstimmung darüber zu geben. Die Volksvertreter stimmten damit für den Europäischen Superstaat und entmachteten sich damit in weiten politischen Bereichen selbst. Aus dem europäischen Staatenverbund demokratischer Nationalstaaten
soll nun ein europäischer Bundesstaat mit dessen Attributen "Verfassung" und "Währung" werden.

Wie beim "Euro", mit dem die Deutsche Mark auf dem Altar Europas geopfert wurde, werden die Deutschen erneut über den Tisch gezogen, genauso, wie sie als weitaus größte Nettozahler das riesige finanzielle Umverteilungssystem der Brüsseler Bürokratenmaschine zu füttern haben. Obwohl fünf Millionen Arbeitslose und die Opferung eines großen Teils des erarbeiteten Wohlstands als Folge dieser europafixierten Politik die unübersehbare Mahnung zu Selbstbesinnung und Umkehr sein sollten, ist auch die Zustimmung des Verfassungsorgans Bundesrat am 27. Mai gewiß, und damit die deutschen Bundesländer auch ohne Föderalismusreform zu einer Art von regionalen Selbstverwaltungen degradiert. Die deutsche Zustimmung kommt punktgenau als "positives Signal nach Frankreich", wo am 29. Mai eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung stattfinden wird. Eine solche Volksabstimmung wie in den meisten anderen europäischen Staaten wurde den Deutschen nicht gewährt, es sei denn, daß Klagen beim Bundesverfassungsgericht eine Wende in letzter Minute herbeiführen. So strebt der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler mit seiner Klage eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung an und meint, der Bundestag dürfe mit Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz zwar ändern, aber er dürfe "das Grundgesetz durch die EU-Organe nicht außer Kraft setzen lassen".

Ob sich allerdings alle Abgeordneten vor ihrer Abstimmung im Bundestag mit dieser EU-Verfassung so intensiv beschäftigt haben, wie es dieser grundlegenden Problematik zukommt, bezweifelten die Reporter der ARD-Sendung "Panorama" vom 12. Mai 2005. Nachdem sie Abgeordnete aller Fraktionen im Bundestag befragt hatten, gaben sie ihrer Reportage die Überschrift: "Abstimmung der Ahnungslosen". Ging es doch bei dieser Abstimmung im Plenum nicht um eines der vielen fachbezogenen Einzelprobleme, wie sie in den Fachausschüssen gründlich beraten und dem Plenum vorgelegt werden, sondern um die Grundlage künftiger Verfassungspolitik in Deutschland und Europa.

So sieht die EU-Verfassung zum Beispiel die Möglichkeit vor, ein Bürgerbegehren einzuleiten, wenn eine Million Unterschriften dafür vorliegen. Auf die Frage von "Panorama", ob es auf EU-Ebene Möglichkeiten für ein Bürgerbegehren gebe, antwortete Wolfgang Gerhardt, der Außenexperte der FDP: "So weit ich weiß, nein" und der CDU-Außenexperte Friedbert Pflüger: "Auf EU-Ebene glaube ich nicht." Der SPD-Abgeordnete Horst Schild antwortete schlicht "Nein" und seine Genossin Marga Elsner: "Das ist nicht vorgesehen."

Die nächste "Panorama"-Frage lautete: "Auf welchen Politikfeldern hat laut Verfassung der Bundestag nichts mehr zu melden, wo ist allein die EU zuständig?" Richtige Antwort wäre: Zoll-Union und Wettbewerb im Binnenmarkt, Eurowährungspolitik, gemeinsame Handelspolitik und Erhalt der Meeresressourcen. Einige Antworten: "Ja, das ist die europäische Verteidigungspolitik" (Marga Elsner, SPD). "Das kann ich ihnen auch auswendig nicht sagen. Das sind sehr viele". (Hans Christian Ströbele, Grüne). "Kann ich Ihnen jetzt so genau nicht beantworten" (Petra Pau, PDS). "Allein die EU, hm ... Außen ... ich passe" (Silke Stokar, Grüne).

Die "Panorama"-Reporter wollten schließlich wissen, welche qualifizierten Mehrheiten im Brüsseler Ministerrat gebraucht werden, um ein Gesetz zu verabschieden. Richtig wäre: 55 Prozent der Mitgliedsstaaten und mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung. Die Bundesregierung feierte diese Regelung mehrfach und lautstark als großen Erfolg für Deutschland als bevölkerungsstärkstes Land der EU. Die Volksvertreter hingegen antworteten: "Oh ... (lacht), in Zahlen und Prozenten habe ich mir das noch gar nicht überlegt" (Marga Elser, SPD), "Kann ich Ihnen nicht sagen" (Silke Stokar, Grüne), "Ach, jetzt werden Sie aber sehr detailliert zum frühen Morgen" (lacht) (Cornelia Pieper, FDP), "Das weiß ich nicht, das muß ich im Einzelnen nachschauen" (Friedbert Pflüger, CDU) und "Oh, da passe ich jetzt" (Petra Pau, PDS).

Immerhin stimmten 95 Prozent der Abgeordneten für die EU-Verfassung, stellte "Panorama" fest. Das Motto der EU lautet: "In Vielfalt geeint". Unter Anspielung darauf resignierte "Panorama" und formulierte sarkastisch: "Heute muß es eher heißen: in Unwissenheit geeint" ...
 
     
     
 
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