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In Zukunft ein Slum

 
     
 
Die deutsche Bundesregierung darf vor den Problemen in Königsberg nicht die Augen verschließen

Den untenstehenden Beitrag sprach Henning von Löwis am 9. August im Deutschlandfunk. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion drucken wir ihn ab.

Sie haben sich viel gefallen lassen, haben die Irrungen und Wirrungen Moskauer Königsberg-Politik jahrelang geduldig ertragen. Doch kürzlich riß den Kaliningradern der Geduldsfaden.

Rund 5000 Menschen gingen auf die Straße, um ihrem Unmut Luft zu machen, um gegen jene Politiker an der Moskva zu demonstrieren, die der Sonderwirtschaftszone
Kaliningrad per Federstrich den Garaus machen wollten und denen es offenbar völlig gleichgültig ist, was das für das ohnehin arg gebeutelte nördliche Ostdeutschland bedeutet hätte.

Ohne die Zollfreiheit, die das Gesetz der Sonderwirtschaftszone Kaliningrad einräumt, würden die Ein- und Ausfuhren drastisch zurückgehen, die Einzelhandelspreise um 60 bis 70 Prozent steigen und Zehntausende ihre Arbeit verlieren. Jeder dritte Königsberger würde arbeitslos. Und die ausländischen Investoren, sie würden Kaliningrad wohl endgültig den Rücken kehren.

Kaliningrads Industrie- und Unternehmerverband, Initiator der Kundgebung, drohte, sich gegebenenfalls an das Verfassungsgericht zu wenden oder sogar das russische Recht im Königsberger Gebiet für nichtig zu erklären.

Deutliche Signale vom Pregel, die ihre Wirkung an der Moskva nicht verfehlten. Gouverneur Leonid Gorbenko gelang es anscheinend, die Kuh noch einmal vom Eis zu holen, die wirtschaftlichen Vergünstigungen für Kaliningrad zu bewahren – vorerst jedenfalls. Fragt sich nur, wie lange. Das Grundübel ist damit nicht beseitigt – die Königsberg-Frage bleibt ungelöst.

Vor einem halben Jahrhundert, im Jahre 1948, mußten die letzten Deutschen, die noch in Ostdeutschland verblieben waren, Königsberg verlassen. Heute, im Jahre 1998, präsentiert sich das russische Kaliningrad als völlig heruntergewirtschaftetes Notstandsgebiet. Der Traum von der freien Wirtschaftszone "Bernstein", von einem Hongkong an der Ostsee, ist längst ausgeträumt. Der Vater dieser Zone – Gebietschef Jurij Matotschkin – verschwand in der politischen Versenkung. Sein Nachfolger Leonid Gorbenko hat alle Mühe, den leck geschlagenen Dampfer "Kaliningrad" über Wasser zu halten. Mit einem 30-Millionen-DM-Kredit der Dresdner Bank mag das eine Zeit lang gelingen. Doch Gorbenko ist sich im klaren darüber, daß Kaliningrad mehr braucht als Geld. Kaliningrad braucht einen verläßlichen Partner.

Und das kann nach Lage der Dinge nur Deutschland sein. Denn Rußland möchte die Kriegsbeute Königsberg zwar behalten, aber Rußland hat offenbar weder den Willen noch die Möglichkeit, aus Kaliningrad ein modernes Stück Europa zu machen. Und so funkt denn Gorbenko unermüdlich Hilferufe in Richtung Westen – in Richtung Deutschland. Er werde alles daran setzen, daß deutsche Unternehmen nach Kaliningrad kommen, "um zu bauen, neue Produktionen zu eröffnen, unsere Arbeiter einzustellen, unsere Rohstoffe zu verwenden und für unsere Landsleute neue Arbeitsplätze zu schaffen – auf gegenseitig vorteilhafter Basis", so Gorbenko.

Im Juni reiste der Gouverneur mit einer Top-Mannschaft Kaliningrader Geschäftsleute nach Frankfurt am Main, um der deutschen Wirtschaft den Investitionsstandort Kaliningrad schmackhaft zu machen. Und auch Rußlanddeutsche möchte Gorbenko anlocken. Das Königsberger Gebiet sollte für die Rußlanddeutschen nicht nur eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Deutschland sein. Es habe alle Voraussetzungen, zu einer zweiten Heimat für die Rußlanddeutschen zu werden. Das sind Töne, die man in Bonn gar nicht gern hört – fürchtet man doch in Bonn, daß das russische Ostdeutschland zu deutsch werden könnte. Man hat panische Angst vor einer Regermanisierung Königsbergs.

Als Bundesaußenminister Klaus Kinkel kürzlich in Nidden auf der Kurischen Nehrung auf die "Kaliningrad-Frage" angesprochen wurde, steckte er – wie nicht anders zu erwarten – den Kopf in den Sand, wich aus und verwies auf eine "regionale Lösung".

Deutsche Königsberg-Politik ist Vogel-Strauß-Politik par excellence. Man will nichts hören, nichts sehen – und sich so wenig wie möglich engagieren. Die anderen werden es schon richten, hofft man am Rhein – und läßt die Menschen am Pregel im Regen stehen. Angeblich, um Rußland nicht zu provozieren. So die offizielle Lesart. Doch die Russen – besonders die Kaliningrader Russen – sie wären heilfroh, wenn Deutschland endlich Flagge zeigen würde im Bernsteinland an der Ostsee.

In Kaliningrad tickt eine Zeitbombe. Je tiefer die Kluft zwischen Königsberg und seinem Umland wird, um so mehr wächst die Explosionsgefahr. Als Insel der Armut in einem künftigen EU- und Nato-Meer wäre Kaliningrad ein permanenter Konfliktherd. Einsichtige – weitsichtige – Politiker in Moskau haben das längst erkannt. Und so plädiert denn Wladimir Schumeiko dafür, das nördliche Ostdeutschland zu einer "autonomen Republik" zu machen, damit es nicht zu einem Protektorat eines Nachbarlandes oder gar ein vom Europarat verwaltetes Territorium wird.

Eine 1997 in Moskau erschienene 600seitige Studie über die geopolitische Zukunft Rußlands spricht sich für eine andere Lösung aus: das Kaliningrader Gebiet an Deutschland zurückzugeben, "damit das letzte territoriale Symbol des schrecklichen Bruderkrieges verschwindet".

In die Königsberg-Frage ist Bewegung gekommen. Und das ist gut so, denn Königsberg liegt nicht auf dem Mond – Königsberg liegt mitten in Europa, Königsberg darf nicht herabsinken zu einem "Ostsee-Slum", Königsberg muß endlich Anschluß finden an das neue Europa – im Interesse der Menschen, die heute in Preußens Osten – in Rußlands Westen – zu Hause sind. (DOD)

 

 

 
     
     
 
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