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Irak-Konflikt: London fürchtet Isolation in Europa

 
     
 
Frankreich und Deutschland walzern über die Tanzfläche, während Britannien Trost sucht in den muskulösen Armen Amerikas." In blumigen Worten brachte der bekannte britische Publizist Timothy Garton Ash Englands Unbehagen über die neuerwärmte Herzlichkeit zum Ausdruck, die Berlin und Paris zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages überschwenglich zur Schau trugen: "Britannien hält dem glücklichen Paar süßliche Gratulationsreden, obwohl es viel lieber den Bräutigam gestohlen hätte", so das selbstironische Eingeständnis des Engländers.

Wo passen wir da noch hinein? - lautet die nervöse Frage jenseits des Kanals angesichts der Umarmungen unter den ehemaligen Erbfeinden. Der Preis für die Treue zu den USA ist offenbar die Isolation in Europa, dämmert den irritierten Insulanern.

Dabei sah für London doch vor kurzem alles noch ganz prächtig aus: Deutschlands Schröder hatte sich Tony Blair
zum leuchtenden Vorbild erkoren und konnte mit den Franzosen (im krassen Unterschied zu seinen Vorgängern Kohl und Schmidt) nichts Rechtes anfangen. Die darüber verschnupften Franzosen revanchierten sich prompt durch eine neue "Sicherheitspartnerschaft" mit den Briten.

Nach der deutschen Einheit waren ohnehin beide westeuropäischen Mittelmächte zunächst in latente Angstzustände verfallen ob ihrer geschrumpften Dimension gegenüber dem "neuen" Nachbarn. Nach dem Abflauen der Erregung schien England Ende der 90er Jahre unversehens in die komfortable Rolle einer Diva hineingewachsen zu sein, um deren Gunst beide entfremdeten Partner auf dem Kontinent zu werben trachteten. Selbst die Euro-Einführung ohne die Briten änderte daran nichts.

Dann kam die Irak-Krise. Vor die Wahl gestellt, eine gemeinsame Linie mit Berlin und Paris zu finden oder Washington zu folgen, versuchte Tony Blair zunächst doppelt zu spielen, als transatlantischer Vermittler getarnt. Die Maskerade flog bald auf und die Fronten begannen sich zu klären.

Als sich im Sommer 2002 Kanzler Schröder mit seiner jähen Attacke auf Washington diplomatisch vergaloppierte, schlug Chiracs große Stunde. Geschickt lavierend ließ Paris Deutsche und Amerikaner auf einander eindreschen, bis den Deutschen schon kurz nach den Bundestagswahlen die Puste ausging. Je tiefer Berlin in hausgemachten Ungereimtheiten versackte, desto peinlicher wurden die Szenen. Wir erinnern uns Verteidigungsminister Struck, wie er auf dem Warschauer Nato-Gipfel im Herbst 2002 hinter seinem US-Kollegen Rumsfeld herschwänzelte, um sich am Ende mit einer Art Domestiken-Audienz im Schatten einer Säule abspeisen zu lassen. Die in Schröders Rhetorik eingewickelten Deutschen vermerkten übel, wie - nach der Auftrumpferei von August und September - jedes nicht ganz so gemeine Wort aus Washington in Berlin wie Honig aufgesogen wurde. So konnte es nicht weitergehen: Schröders Zick-zack-Kurs kostete Deutschland nicht bloß seine Glaubwürdigkeit, er war abstoßend würdelos.

Das war die lang ersehnte Chance der Franzosen. Die Deutschen brauchten sie jetzt als Freund und Fürsprecher. Der 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages war die glänzende Gelegenheit für Paris, als eben solcher auf den Plan zu treten und seinen Fuß ins Brandenburger Tor zu stellen: Voilà, da sind wir wieder! Und wie in den guten alten Zeiten sind es (vordergründig) die Deutschen, die den politisch schwächeren Part in dem Tandem abgeben, während Paris führt - Schröders Konzept- und (wahltaktischer) Skrupellosigkeit sei Dank.

England spielt in der neuen Zweisamkeit nicht nur keine Rolle. Es ist schlimmer - viele in London haben den schmerzlichen Eindruck: Während Berlin und Paris voller Stolz eine eigene Linie verfolgen, liegt Britannien wie ein Dackel an der Leine der USA. Die sogenannten Konsultationen, mit denen Bush Tony Blair bedenkt, sind kaum mehr als hohle Fototermine. Entschieden wird ohne England, nur marschieren dürfen die Briten. Dafür ist die Entfremdung von Europa ein hoher Preis. Die Hoffnungen der Briten können sich zur Zeit nur auf die Zukunft richten: Die derzeit günstige außenpolitische Position Frankreichs hat nichts an den Realitäten von 1990 ff. geändert. Deutschland bleibt der potentere Partner. Zurück aus den zweiten Flitterwochen mit den Deutschen dürften die Franzosen dies bald bemerken, die alte Rivalität mit Berlin könnte zum Nutzen Londons wieder erwachen.

Doch das kann noch dauern. Dieser Tage wird Londons Position durch die grobschlächtigen Drohungen und Beschimpfungen Washingtons gegen Berlin und Paris noch verschlechtert, sie binden beide europäischen Kontinentalmächte nur noch fester aneinander und schließen England umso fester aus. Die abenteuerlichen Phantasien eines Donald Rumsfeld, der nun mit der Ukraine oder wem auch immer Deutsche und Franzosen in die Zange nehmen will, lösten an der Themse nur betretenes Schweigen aus. So etwas Dummes hatten selbst US-kritische Stimmen in England bislang kaum für möglich gehalten. Als Blaupause für eine künftige britische Europapolitik scheidet Rumsfelds giftiger Ausfall sowieso aus. Timothy Garton Ash treiben denn auch andere Visionen um. Mit Polen käme neben Italien und Spanien eine weitere, mittelgroße Nation in die EU, dazu etliche kleine. Diese betrachteten mit Argwohn ein deutsch-französisches Dominanzstreben. Hier könnte sich England als dritter im Bunde der Großen anbieten. Schließlich nähme das spezifische Gewicht der deutsch-französischen Achse in einer größeren EU logischerweise ab, das Tandem wäre allein nicht mehr in der Lage, dem Rest der Union wie in der Vergangenheit die Richtung vorzugeben, so der Publizist.

Das ist fein ausgedacht, es hat nur einen Webfehler: Englands tragischen Hang, sich im Ernstfall letztlich für Amerika und gegen Berlin-Paris zu entscheiden, wird es auch in der Zukunft immer wieder in eine Außenseiterposition bugsieren. Es sei denn, die gallisch-germanische Zweckehe fliegt tatsächlich auseinander. Das wäre dann allerdings sehr wahrscheinlich auch das Ende der EU - und womöglich das Fanal der nächsten europäischen Tragödie.
 
     
     
 
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