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Kirche und Welt in der Frühen Neuzeit im Preussenland

 
     
 
Die diesjährige Jahrestagung gehörte in die deutsch-litauische Veranstaltungsreihe "400 Jahre Litauische Bibel", die in Erinnerung an Johannes Bretke (1536-1602), Pfarrer zu Labiau und der litauischen Gemeinde zu Königsberg sowie erster Übersetzer der Bibel ins Litauische, von Jochen Dieter Range und seinem Lehrstuhl für Baltistik in Greifswald geplant wurde. Die Tagung hatte die Aufgabe, das politische sowie sozial- und bildungsgeschichtliche Umfeld Bretkes darzustellen und zu erörtern. Da die achtbändige Handschrift von Bretkes Bibelübersetzung nach seinem Tod von seinen Erben an den Landesherrn verkauft wurde, dann die längste Zeit über der Staats- und Universitätsbibliothek
Königsberg gehört hatte und schließlich über das Staatliche Archivlager in Göttingen in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz gelangt ist, hat das Archiv die Kommission eingeladen, die Tagung in den Archivräumen in Berlin-Dahlem durchzuführen. Beides wurde dankbar angenommen und mit großem Erfolg durchgeführt, zumal zahlreiche Kollegen und Mitarbeiter des Archivs die Gelegenheit genutzt haben, an der Tagung teilzunehmen.

Den ersten Vortrag hielt Mario Glauert, Potsdam/Berlin, über "Die Verfassungsentwicklung der Kirche im Preußenland von der Ordenszeit bis zum 18. Jahrhundert". Er führte aus, daß der Deutsche Orden sich bereits im 13. Jahrhundert eine Vormachtstellung gegenüber den nur formell gleichrangigen geistlichen Landesherren der vier Bistümer sicherte, die er im 15. Jahrhundert dank seiner militärischen Schutzfunktion weiter ausbauen konnte. Als ihm nach dem Zweiten Thorner Frieden 1466 nur noch die Bistümer Pomesanien und Samland verblieben, konnten die Hochmeister um 1500 faktisch ein Nominationsrecht durchsetzen, das die frühe Einführung der Reformation 1523/25 begünstigte. Dazu sei gekommen, daß die Bischöfe dabei aktiv mitwirkten und nach der Säkularisierung der Ordensherrschaft auf die weltlichen Rechte ihrer Bistümer verzichteten. Während dies weitgehend konfliktfrei verlaufen sei, gelang es der Landesherrschaft erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts gegen den Widerstand der preußischen Stände, die evangelischen Bischöfe durch eine Konsistorialverfassung zu ersetzen. Während des 17. Jahrhunderts ließe sich ein schleichender Kompetenzverlust der beiden preußischen Konsistorien beobachten, so daß der Kurfürst bereits vor der Königskrönung von 1701 das landesherrliche Kirchenregiment (ius spremum episcopale) durchsetzen konnte. 1750/51 schließlich seien die beiden preußischen Konsistorien zusammengelegt und dem neu gegründeten Oberkonsistorium in Berlin unterstellt und damit weitgehend entmachtet worden.

Räumlich und zeitlich eingegrenzter war der Vortrag von Jan-Erik Beuttel, Berlin, über "Kirchengründungen im Insterburgischen". Er setzte mit der Beobachtung ein, daß erst nach dem Verlust der westlichen Landesteile infolge des Zweiten Thorner Friedens die große Wildnis als Siedlungsraum an Bedeutung gewonnen habe, mit Einführung der Reformation und Gründung des Herzogtums sei dies intensiviert worden. Am Beispiel des Hauptamtes Insterburg wurde gezeigt, daß der Aufbau kirchlicher Strukturen in den östlichen Landesteilen nur zögerlich voranging und mit der Aufsiedlung der ausgedehnten Waldgebiete nicht Schritt halten konnte. Zahlreiche überwiegend litauische Untertanen seien daher genötigt gewesen, für den Besuch des Gottesdienstes übermäßig große Wegstrecken zurückzulegen. Die Gründung neuer Pfarrkirchen zur besseren Versorgung der Bevölkerung war dem Landesherrn und seiner Kirchenleitung daher besonders angelegen. Kriege und Seuchen hätten im 16. und 17. Jahrhundert immer wieder zu Rückschlägen geführt, bevor die Zahl der Kirchen im Amt Insterburg nach 1709 mit dem Retablissement und der systematischen Ansiedlung unter anderem von Glaubensflüchtlingen (Salzburger) eine nach Umfang und Verteilung seiner Bewohner angemessene Größenordnung erreicht habe.

In die katholisch gebliebene Nachbarschaft des Herzogtums führte Andrzej Kopiczko, Allenstein, mit seinem Vortrag "Die Verkündigung im Ermland nach der Reformation". Für das bisher wenig bearbeitete Thema bildeten Sy-nodalbeschlüsse und Visitationsniederschriften das wichtigste Quellenmaterial, als aussagekräftig erwiesen sich Buchbesitzverzeichnisse ermländischer Geistlicher. Das Predigen in der Muttersprache der Pfarrkinder war wiederholt anzumahnen - im Mittelalter neben den Deutschen für die Prußen, in späterer Zeit auch für Polen. Charakterisiert wurde die Predigttätigkeit der Bischöfe und der beiden Kapitel in nachreformatorischer Zeit, die Katechese, vor allem nach Petrus Canisius, als Aufgabe der Gemeindepfarrer belegt. Es sei schwer, im ganzen eine Typologie der Verkündigung zu bestimmen. Am wichtigsten waren biblische Schriften, insbesondere die Evangelien, aus denen einzelne vorgelesen und erläutert wurden. Homilien oder Postillen seien als Hilfen benutzt worden. Daneben habe es thematische Predigten gegeben, die anhand ausgewählter Schriftstellen besprochen wurden. Eine besondere Rolle spielten polemische und apologetische Predigten, die der Auseinandersetzung mit der evangelischen Kirche dienten.

Christofer Herrmann, Allenstein, stellte "Gotische Nachklänge in der Archi- tektur ostdeutscher Kirchen im 16., 17. und frühen 18. Jahrhundert" vor. Nach der architekturgeschichtlichen Blütezeit der Backsteingotik seien im 16. und 17. Jahrhundert in den westlichen und mittleren Teilen Ostdeutschlands kaum noch Kirchen gebaut worden, vielmehr ließe sich infolge der Kriege des 15. und frühen 16. Jahrhunderts ein Verlust an Pfarreien und Sakralbauten feststellen. Lediglich in den östlichen und südöstlichen Landesteilen, wo die Besiedlung während der Ordenszeit sehr dünn gewesen sei, sei die Entwicklung anders verlaufen. Die Backsteingotik endete etwa an der Linie Passenheim - Angerburg - Wehlau. Nur östlich davon seien im 16. und 17. Jahrhundert neue Kirchen entstanden, während in den westlichen Gebieten oft nur einzelne Bauteile (Turm, Gewölbe) ergänzt wurden. Die Architektur der ländlichen Kirchen des 16., 17. und frühen 18. Jahrhunderts zeige am Außenbau kaum wirkliche Renaissance- oder Barockelemente. Vielmehr orientierten sich die Bauten nach wie vor an gestalterischen, in sehr vereinfachender Weise übernommenen Grundzügen der Gotik (chorlose Saalbauten mit Westturm, Blendengliederung der Giebel und Türme). Neu seien unter anderem die Verputzung der äußeren Wände, die Verwendung des Kreuz- oder Blockverbandes statt des gotischen Verbandes und deutlich kleinere Backsteinformate.

Einzelheiten aus dem Leben von Kirchengemeinden bieten die Niederschriften von Kirchenvisitationen. Die Edition einer solchen war die Grundlage des Vortrages von Jacek Wijaczka, Kielce. Es handelte sich um die Visitation, die der evangelische Bischof Joachim Mörlin im Jahre 1569 von April bis Juli vorgenommen hatte. Zunächst wurde die Landschaft historisch charakterisiert, in der während der Ordenszeit der Bischof in einem Drittel Landesherr war, von dem wiederum ein Drittel dem Domkapitel unterstanden hatte. Es sei diese ein Gebiet mit einer dichten prußischen Bevölkerung gewesen, so daß dort kaum Rodungsdörfer entstanden waren. Dort umfaßten die Kirchspiele bis zu 30 Siedlungen, da die Kirchen nur an zentralen Orten errichtet waren. Die Kirche habe es hier schwer gehabt, die Christianisierung durchzuführen, so daß sich auch noch in reformatorischer Zeit Spuren der vorchristlichen Vergangenheit zeigten. Interessant seien die Beobachtungen über die Bildung der Pfarrer, wie sich diese im Bücherbesitz der Pfarrhäuser zeigte, oder wie die Pfarrer mit der Sprache der Prußen zurechtkamen. Der Vortragende konnte manches Bemerkenswerte über das Kirchenvolk vortragen, soweit es der Visitator hat niederschreiben lassen.

Dann sprach Sven Tode, Hamburg, über "Die Bildung der Geistlichkeit in Danzig und im Fürstbistum Ermland in der Frühen Neuzeit". Einleitend stellte er die Bedeutung von Bildung für die frühneuzeitliche Gesellschaft - insbesondere im kirchlichen Bereich - heraus. Durch die Aneignung von Bildung konnten Standesgrenzen durchbrochen und Machtpartizipationen erreicht werden. Anhand von drei Beispielen verdeutlichte er den hohen konfessionellen Bildungsgrad der Gemeinde am Ausgang des 16. Jahrhunderts, die Unterschiede im Stadt-Land-Vergleich in bezug auf Seelsorge und Ausbildungsstand der Prediger sowie den theologischen Bildungsstand von Pfarrwitwen, der in dezidierten Suppliken an die Obrigkeit zum Ausdruck kommt. Sein Vortrag mündete schließlich in fünf Thesen:

1) Durch die neu eingerichteten Priesterseminare sei es zu einer Verbreiterung der sozialen Basis von Klerikern gekommen, mithin quasi eine "Demokratisierung" der Priesterausbildung erfolgt;

2) Zwischen den Lehrinhalten der Prediger in ihren Gemeinden und den besuchten Lehranstalten sei ein direkter Bezug nachweisbar;

3) Das Verhältnis zwischen Priestermangel und Bildungsanspruch an den einzelnen Seelsorger zeige, daß die Bildungsansprüche konjunkturellen Schwankungen unterworfen gewesen seien;

4) Konfessionelle Lehrinhalte seien auch in der Gemeinde unter theologisch "Ungebildeten" bekannt gewesen;

5) Der Erfolg jesuitischer Bildungsideale, die auch in den protestantischen Bereich hineinreichten, lasse sich nicht verkennen. Nicht zuletzt die borussische Geschichtsschreibung habe die Leistungen protestantischer Bildungsinhalte über- und jene der jesuitischen Reformbewegung unterbetont.

Im ausführlicheren Abendvortrag sprach Heide Wunder, Kassel, über "Das Kirchenvolk im Herzogtum Preußen". Die Kenntnisse über diese Thematik seien nicht zuletzt wegen der Archivalienverluste am Ende des Zweiten Weltkrieges überaus selektiv. Unbestreitbar seien jedoch die Unterschiede der Christianisierung der deutschen, litauischen und polnischen Bevölkerungsgruppen, die in den Kirchenordnungen der Reformationszeit klar formuliert seien. Teilweise wären damit auch unterschiedliche Formen von Christlichkeit und Kirchlichkeit bei ländlichen und städtischen Bewohnern verbunden. Insbesondere die Kirchenrechnungen des 17. und 18. Jahrhunderts, die sich für einzelne Gemeinden in landes- oder patronatsherrlichen Akten erhalten hätten, erlaubten Einsichten in das sittliche Verhalten des Kirchenvolks, in Einstellungen zu Religion und Pfarrer, in die Bedeutung, die sie den "Dienstleistungen" des Pfarrers zumaßen, und nicht zuletzt in ihre Frömmigkeit, die sie beispielsweise in frommen Stiftungen dokumentierten, also in wesentlichen Bereichen des Alltagslebens. Dennoch bleibe "das Kirchenvolk" ein Forschungsdesiderat, wie der Blick auf die vielfältigen Forschungen in anderen deutschen Territorien zeige.

Am letzten Tag stellte Ulrich Müller, Berlin, auf der Grundlage seiner zweiten Dissertation unter der Überschrift "Johann Lohmüller und die Reformation in Livland und Preußen" eine aus Preußen stammende Persönlichkeit vor, die eher in Livland eine größere Rolle gespielt habe. Lohmüller habe dort als Sekretär und Syndikus der Stadt Riga die beginnende Reformation gegen die Landesherren (Erzbischof und Deutscher Orden) gefördert und Herzog Albrechts Pläne zur Durchführung der Reformation in Livland unterstützt. Von 1536 bis zu seinem Tod 1560 sei er als herzog-licher Rat in Königsberg auch mit theologischen Lehrstreitigkeiten befaßt gewesen, die zur Ausweisung der Räte Dr. Westerburg und Daniel Gnaphäus geführt hätten. Im Streit um Osiander habe Lohmüller den Herzog aufgefordert, dessen Lehren als irrig aufzugeben. Albrechts Vision von Preußen als Heimstatt für Glaubensflüchtlinge sei an der Haltung der lutherischen Orthodoxie gescheitert. Lohmüller habe von 1555 bis 1559 auch das Amt eines samländischen Offizials bekleidet.

Einem von der Forschung bisher wenig beachteten Thema wandte sich Hans-Jürgen Bömelburg, Warschau, zu: Reformierte Eliten im Preußenland: Religion, Politik und Loyalitäten in der Familie Dohna (1560-1680). Er stellte diese "zweite Reformation" durch reformierte Eliten im Herzogtum in die Nähe ähnlicher Vorgänge in den großen Städten Danzig, Elbing und Thorn im Königlichen Preußen und unter dem Adel Polen-Litauens. Gestützt auf eine umfangreiche archivalische und biographische Familienüberlieferung (heute in Berlin und Allenstein) wurde diese reformierte Konfessionalisierung und der daraus folgende Konflikt mit den lutherischen Ständen des Herzogtums nachgezeichnet. Die Dohnas hätten um 1600 an der Spitze einer Gruppe reformierter Adliger (weiterhin Truchseß von Waldburg, Lehndorff, Kreytzen) gestanden, die das reformierte Bekenntnis im Herzogtum Preußen gefördert hätten. Dies habe auf den Landtagen einen Konflikt mit der lutherischen Mehrheit ausgelöst, der über mehrere Jahrzehnte ausgetragen worden und in eine Festschreibung des lutherischen Konfessionsstandes für alle Landesbeamten gemündet sei (1612). Auf die Verhältnisse vor Ort hätten auch die reformierten Kirchenpatrone nur begrenzt Einfluß nehmen können, da der Bekenntnisstand durch das Corpus doctrinae pruthenicum (1568) und die Konsistorialverfassung (1587) festgeschrieben gewesen sei. Allerdings hätten die Dohnas in ihren Patronatskirchen die Bilderfrömmigkeit eingeschränkt (Entfernung von Heiligendarstellungen) und gegenüber den Reformierten tolerante Pfarrer zu nominieren gesucht.

Die thematische Vielfalt der Vorträge machte deutlich, eine wie unruhige Zeit die frühe Neuzeit für das Preußenland gewesen ist. Das gilt nicht nur für die politische Entwick-lung, sondern auch für die erörterten Fragen der Bildungs- und Sozialgeschichte. Es wurden dabei noch große Forschungswünsche deutlich, zu deren Bearbeitung hiermit eingeladen wird.

Die Mitgliederversammlung gedachte des kurz nach seinem 100. Geburtstag verstorbenen Ehrenmitglieds Staatssekretär a. D. Dr. h. c. Klaus von der Groeben sowie der ordentlichen Mitglieder Dr. Klaus Conrad und Dr. Werner Neugebauer. Der Mittelalterhistoriker Dr. Mario Glauert, Berlin, der Architekturhistoriker Prof. Dr. Christofer Herrmann, Allenstein, die Memellandhistorikerin Dr. Ruth Leiserowitz, geb. Kibelka, Berlin, und der Frühneuzeitler Dr. Sven Tode, Hamburg, werden zu neuen ordentlichen Mitgliedern, der Danziger Mediävist Prof. Dr. Wieslaw Dlugokecki, Marienburg, der Rechtshistoriker Prof. Dr. Dariusz Makilla, Thorn/Warschau, und der Bibliothekswissenschaftler Prof. Dr. Janusz Tondel, Thorn, zu korrespondierenden Mitgliedern gewählt. Bernhart Jähni
 
     
     
 
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