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Koizumis letztes Gefecht?

 
     
 
Noch überraschender als Deutschland kam Japan zu seinen Neuwahlen des Unterhauses. Anfang August fielen die Postprivatisierungsgesetze von Premier Junichiro Koizumi (63) nach einer Rebellion in den eigenen Reihen im Oberhaus durch. Prompt ließ der zürnende Koizumi, der damit eine Vertrauensfrage verbunden hatte, das Unterhaus, das seiner Vorlage im Juli nur knapp zugestimmt hatte, auflösen, um seine Reputation zu retten und die Rebellen
abzustrafen. Die Neuwahlen setzte er für den 11. September an.

Zur Überraschung aller Experten, die dies für politischen Selbstmord hielten, kam der medial dramatisch zelebrierte Befreiungsschlag beim Wahlvolk zunächst gut an. Die Umfragewerte schnellten auf Zustimmungsraten von 53 Prozent. Doch hat nun auch die Opposition nach anfänglicher Überraschung Tritt gefaßt und schilt Koizumi diktatorischen Verhaltens, zumal seine Taktik, die 37 Parteirebellen des Unterhauses aus der Regierungspartei herauszuwerfen und in ihren Wahlkreisen neurekrutierte "Killerkandidaten" gegen sie aufzustellen, nicht überall gut ankommt. Dazu hat sie angesichts der desolaten Staatsfinanzen, der stagnierenden Wirtschaft, einer unpopulären Rentenreform und eines ebenso unbeliebten Auslandseinsatzes japanischer Truppen im Irak nicht eben wenig Munition gegen den begnadeten Selbstdarsteller im Amt des Regierungschefs. Die Wahlen versprechen also spannend zu werden. Dies ist in Japan, wo die national-konservative Liberaldemokratische Partei (LDP) seit ihrer Gründung 1955 mit Ausnahme weniger Monate ununterbrochen herrscht, eher ungewöhnlich.

In Duell zweier oft programmatisch kaum unterscheidbarer konservativ orientierter Kandidaten entscheidet in Japan weniger die telegene Ausstrahlung ihrer jeweiligen nationalen Parteispitze als die konkreten Wohltaten, die der Kandidat bisher für den Wahlkreis und sein lokaler Unterstützer aus dem reichen Tokio locker gemacht haben, sowie die Vielzahl Geschenke des Abgeordneten für seine lieben Wähler. Dies kommt teuer, und wird nur dann etwas billiger, wenn man den Wahlkreis vom Vater und möglichst auch Großvater ererbt hat. So lassen sich Loyalitäten leichter übertragen. 150 Abgeordnete betreiben die Politik schon als erbliches Familienunternehmen. So auch Premier Koizumi. Der Finanzbedarf zur karriereentscheidenden Wahlkreispflege bleibt auch nach allen Reformen der vergangenen Jahrzehnte hoch. Und auch bei sicheren Wahlkreisen reichen die staatlichen Zuweisungen kaum. Deswegen hängt selbst der sauberste Abgeordnete von Spenden ab, wobei die lukrativsten stets die der von öffentlichen Aufträgen lebenden Bauwirtschaft sind.

So kam es, daß Japan seit dem Ausbruch seiner Stagnationskrise ab 1992, statt wie in Deutschland den unproduktiven Sozialstaat aufzublähen, mit sage und schreibe 1.000 Milliarden Euro die Bauwirtschaft durch öffentliche Schulden, die mittlerweile 160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen, alimentierte. So wurden unverdrossen Tunnel zu halbverlassenen Weilern gebohrt, Brücken ins Nichts gestellt, 60 Prozent der Küste zubetoniert, so gut wie alle Bergbäche kanalisiert und die meisten Berge in Küstennähe zur Landgewinnung gesprengt oder angebaggert, ein ästhetischer und ökologischer Frevel an der herrlichen Insellandschaft ohnegleichen. Koizumi, dessen vom Rüstungsminister des Weltkriegspremier Hideki Tojos, Kishi, begründete patriotische Fraktion der Bauindustrie weniger nahesteht, suchte dem Bauwahn des neuen "Konstruktionsstaates Japan" Einhalt zu gebieten. Allein wegen der Wichtigkeit der Bauwirtschaft in der von der industriellen Abwanderung nach China bedrohten japanischen Provinz mit nur gemischtem Erfolg.

Ursprünglich stieß die Privatisierung der Post auf wenig öffentliches Interesse. Zuvor hatte Koizumi ohne viel öffentliches Aufheben die hochdefizitären Autobahngesellschaften privatisiert. Die Eisenbahn war schon 1987 nach wesentlich mehr Leidenschaften vom damaligen Premier Yasuhiro Nakasone privatisiert worden, auch um den militanten Eisenbahnergewerkschaften, die als einzige in Japan noch zu streiken wagten, erfolgreich das Genick zu brechen. Bei der Post dagegen, die mit 2,4 Billionen Euro Spareinlagen und 900 Milliarden Euro Lebensversicherungsprämien das größte gesammelte Sparkapital der Welt kontrolliert, kam der Widerstand von der Baulobby in der eigenen Partei. Finanzieren doch die Sparmilliarden der Post durch den Kauf staatlicher Schuldscheine einem Schattenhaushalt namens Investitionskreditprogramm, mit dem ein Gutteil der Bauprojekte auf Pump bezahlt wird. Gleichzeitig werden die meisten der 25.000 Postämter mit ihren 400.000 Bediensteten als Familienbetriebe geführt, wobei der Vorsteher sehr erfolgreich Stimmen für den örtlichen LDP-Kandidaten werben kann.

Sollten bei den Wahlen, was wahrscheinlich ist, die nach dem Ausschluß der Rebellen verlorenen Mandatszahlen nicht wieder erobert werden können, dürften Koizumis Tage gezählt sein. Gelänge ihm wider Erwarten dagegen ein Erdrutschsieg, würde sein präsidialer Stil bestätigt. Nicht nur würde der Widerstand gegen seine Reformen zum Schweigen gebracht, Japan würde in die Lage versetzt, aus seiner Strukturkrise durch weitere deregulierende Reformen auszubrechen. Es könnte dann durch seine strukturpolitische Reformen und sein außenpolitisches Selbstvertrauen einer neuen deutschen Regierung zum Vorbild werden.

 Nicht immer nur staatstragend: Auch Koizumi gibt sich gerne volksnah
 
     
     
 
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