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Mitsprache für Moslems

 
     
 
Bis zum Ende des Jahres will der neue französische Innenminister, der zugleich Kultusminister ist, einen Vertretungsrat für Moslems in Frankreich ins Leben rufen. Das Vorhaben war schon unter Mitterand mit dem damaligen Innenminister Pierre Joxe auf der Tagesordnung. Nach Ansicht des "Figaro" und Nicolas Sarkozy handelte es sich um eine einmalige Reform des Statuts der Moslems in Frankreich. Man wolle sich damit auch in der arabischen Welt profilieren.

Oktober 1999 hatte mit Lionel Jospin als Regierungschef Jean-Pierre Chevènement versucht, die zahlreichen Auseinandersetzungen unter den verschiedenen moslemischen Vereinen beizulegen, anscheinend aber vergeblich. Die Moslems in Frankreich sind derzeit in sechs Vereinen zersplittert, die Mühe haben, zusammenzuleben und zu arbeiten. Nach Presseberichten gäbe es in Frankreich gegenwärtig zwischen vier und fünf Millionen Mohammedaner. In ihrer großen Mehrheit sind das Sunniten
. Zum Beispiel zählte die Région "Nord-Pas-de-Calais" 500 000 Moslems bei einer Gesamtbevölkerung von vier Millionen Einwohnern.

Laut den Berechnungen des Innenministeriums sind zehn Prozent dieser Glaubensangehörigen praktizierende Moslems. Die Hälfte davon sind mit der französischen Staatsbürgerschaft ausgestattet. Ihnen stehen 1500 islamische Moscheen und entsprechende Lokale zur Verfügung, wo sie ihren Glauben ausüben können. Die ganze Angelegenheit scheint für Nicolas Sarkozy sehr delikat zu sein. Im Gegensatz zu der Bundesrepublik Deutschland ist Frankreich eine laizistische Republik, in welcher die Staatsbehörden zu einer strikten Neutralität den Religionen gegenüber verpflichtet sind. Seit einem Gesetz vom 9. Dezember 1905, welches die Trennung zwischen Staat und Kirche verfügt hat und zu jener Zeit gegen die einflußreiche katholische Kirche gerichtet war, ist die französische Republik verfassungsmäßig machtlos gegenüber diesen religiösen Vereinen, vorausgesetzt, daß die Glaubensgemeinschaften keine Politik betreiben, die durch den Staat und seine Befugnisse beeinträchtigt werden.

Mit dem Vertretungsrat der Juden, der während des ersten Kaiserreichs errichtet wurde, und der evangelischen Föderation scheint das System gut zu funktionieren. Ihrerseits ist die katholische Hierarchie immer darum besorgt, die Unabhängigkeit der von den durch sie kontrollierten privaten Schulen aufrecht zu erhalten und sämtliche Regierungen der Fünften Republik haben stets gemieden, den Schulkrieg ("guerre scolaire") zu entflammen. Mit dem Islam ist die Sache jedoch nicht so leicht. Denn für die französischen Staatsbehörden geht es eigentlich darum, die Politisierung des zu errichtenden Vertretungsrats der Moslems zu verhindern. Moslemische Mächte wie Algerien, Marokko oder die Türkei üben mit finanziellen Mitteln oder direkter Einflußnahme einen Druck auf ihre in Frankreich wohnenden Bürger aus. Unter diesen Umständen würden der Innenminister und seine Berater einen komplizierten Wahlmodus zum geplanten Vertretungsrat vorziehen, anstatt den fundamentalistischen Tendenzen freien Weg zu geben.

Eine Woche lang tagt ein Sonderausschuß, die sogenannte COMOR, der die Wahl veranstalten soll. Ursprünglich war die Wahl zum Vertretungsrat für den 23. Juni nächsten Jahres vorgesehen. Gegenwärtig ist die Zahl der auserwählten Personen und der direkt gewählten Abgesandten zum Zentralorgan des Islam besonders strittig, denn die Regierung will auf jeden Fall verhindern, ein Gremium ins Leben zu rufen, das sich später ihrer Kontrolle entziehen würde.

Soviel man weiß, möchte Innenminister Sarkozy den Großrektor der Pariser Moschee, einen Anhänger eines aufgeklärten Islam, zum Vorsitzenden des Rats befördern. Zudem will Sarkozy, daß der französische Vertretungsrat der Moslems nicht zu sehr vom guten Willen des französischen Staates abhängt und nicht zu sehr von den Staatsorganen profitiert, um später nicht integriert zu werden. In einer so schwierigen Lage ist es zu befürchten, daß die Moslems in Frankreich sich in absehbarer Zeit unfriedlich verhalten werden. Francisco Lozagal
 
     
     
 
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