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Neue Botschaft für die Familie

 
     
 
Was lieben die Menschen an Kindern? Viele leider nur den zukünftigen Beitragszahler für die Sozialsysteme. Der deutsche Romantiker Novalis sah es anders. In ihnen verkörpere sich die große Sehnsucht der Menschen. Kinder seien sichtbar gewordene Liebe, sagte er. Das wird in diesem Land nicht jeder so sehen wollen. Für manche sind Kinder eine zumindest finanzielle Last, und die Soziologe
n sprechen seit Jahren von der strukturellen Rücksichtslosigkeit in Deutschland gegenüber Familien - ein Wort, das auch die Politik trifft. Stichworte wären die geplanten Sozialeinschnitte, die Renten, die Gesundheit und andere familienrelevante Reformen. Die aktuellste Meldung aus dem Sozialbereich klingt schon vertraut. Angesichts der leeren Rentenkasse plädiert SPD-Fraktionschef Müntefering dafür, daß die Deutschen länger arbeiten sollen. Es war eine Vorbereitung auf die Vorschläge der Rürup-Kommission. CDU-Chefin Angela Merkel dagegen meint, Familien mit Kindern sollten weniger Beiträge zahlen oder Kinderlose höhere. Vielleicht brauchen wir auch beides, um das jetzige System zu retten. Für Ursula von der Leyen, die neue Sozial- und Familienministerin in Niedersachsen, stellt sich das Rentenproblem nicht nur als Finanzfrage. In einem Gespräch mit dieser Zeitung greift sie den Faden des Dichters Novalis auf. Der habe noch einen zweiten schönen Satz gesagt: "Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter." Es gehe um die Zukunft, nicht nur um die Kassenlage. Das ist es, was uns heute bedrücke.

Angesichts der demographischen Entwicklung, mit der wir konfrontiert seien, "müssen wir in der Rentenpolitik dringend umdenken. Wir haben ja bekanntlich den Generationenvertrag, das heißt, wir zahlen heute für die ältere Generation in dem Vertrauen darauf, daß unsere Kinder für uns zahlen, wenn wir alt sind. Das heißt aber auch - und das ist wichtig -, daß heute Kinder erzogen werden müssen - und wir verlassen uns darauf, daß diese Kinder später, wenn sie erwachsen sind, verantwortungsbewußt, gut ausgebildet und starke, stabile Menschen sind, die diese Leistung dann auch bringen können. Mit anderen Worten: die gesamte Verantwortung liegt also bei den Eltern heute, und die sind heute am schlechtesten in der Rentenpolitik gestellt. Sie tragen nämlich privat die Lasten des Großziehens und Ausbildens der Kinder, aber die Ergebnisse dessen, was sie ,produziert haben, also die Ergebnisse von Erziehung, werden in Zukunft von allen genutzt."

Die Ministerin, selbst Mutter von sieben Kindern, nennt konkrete Beispiele: "Eltern, die ein Kind bis zum 18. Lebensjahr erzogen haben, haben rund 230.000 Euro investiert. Das ist ein schmuckes Einfamilienhaus, und das entfällt schon einmal für die private Altersvorsorge. Oder Frauen, die Kinder erziehen, haben oft Unterbrechungen im Arbeitsleben, arbeiten viel Teilzeit, das heißt, sie beziehen sehr viel geringere Renten, während ihre Kinder später Tausende in die Alterssicherung einzahlen werden." Deutschland habe es "inzwischen mit einer ganz großen Gerechtigkeitslücke zu tun. Seitdem immer weniger Menschen Kinder bekommen, müssen wir die Frage nach Gerechtigkeit im System eben neu stellen, und das heißt, es muß bei der Reform der Rentensysteme berücksichtigt werden, daß die Erziehung von Kindern einen ähnlichen Beitrag zur Sicherung des Systems darstellt wie die Zahlung von Beiträgen. Ob das nun geringere Beiträge für Familien oder höhere für Menschen sind, die keine Kinder erziehen, das ist meines Erachtens eine Frage der Versicherungsmathematik und der technischen Umsetzung."

Ähnliches gelte, so Ursula von der Leyen, auch für die Pflegeversicherung. Geringere Beiträge gemäß der Kinderzahl entspreche übrigens den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Pflegeurteil. Auch hier spiele die Frage nach Gerechtigkeit eine Rolle. "Die Eltern erziehen die Kinder, die ja zukünftig uns dann als alte Menschen pflegen werden und die gleichzeitig die finanzielle Verantwortung für den Fortbestand des Systems tragen werden. Also muß dies als Beitrag für die Pflegeversicherung berücksichtigt werden." Und nicht nur für die Pflege. Analog gelte dieser Gedanke auch für die Rente. "Denn wenn wir mittel- und langfristig eine Reform der Rentensysteme anstreben, dann muß dies als absolute Forderung darin enthalten sein."

Die Ministerin denkt auch schon darüber nach, wie diese Forderung in die Debatte eingeführt und umgesetzt werden könnte. "Ich kann mir durchaus vorstellen, da aktiv zu werden. Ich habe die große Freude, in der Herzog-Kommission Mitglied zu sein und werde diesen Gedanken mit Sicherheit in die Herzog-Kommission hineintragen. Eine zweite Möglichkeit wäre eine Bundesratin-itiative."

Die Rürup-Kommission hat auch eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet zur Sanierung des Gesundheitswesens in Deutschland. Darunter sind einige, die auf Kosten der Familien gehen. Die Ministerin sortiert: "Man muß in der Tat sehr genau hinschauen, welche Auswirkungen auf Familien schlußendlich in dem Gesetzentwurf zu erkennen sein werden. Zwei Beispiele kann man schon heute herausnehmen. Zum einen die Kopfprämien, die Professor Rürup angesprochen hat. Danach würde jeder gleich zahlen, völlig unabhängig vom Einkommen und seinen sonstigen Belastungen, und was an sozialer Federung notwendig würde, würde der Finanzminister über den Familienlastenausgleich bestimmen. Das heißt aber nach unserer Erfahrung je nach Kassenlage. Da haben wir dann wieder die Schieflage drin. Familien wären wieder von Almosen abhängig, es stünde eben nicht der berechtigte Anspruch auf gerechte Verteilung der Lasten im Vordergrund." Daher sei es "ganz wichtig, daß wir das Thema Umfinanzierung in den Sozialversicherungssystemen und das Thema Sozialreform nicht miteinander vermischen." Diesen Fehler habe die rot-grüne Regierung "schon einmal gemacht durch die Einführung der Ökosteuer, um die Rente zu entlasten. Damit kam mehr Geld ins System, ohne daß wirklich im System etwas verändert wurde, und im Endeffekt haben wir es im Januar erlebt, daß sowohl die Ökosteuer angehoben wurde als auch die Rentenbeiträge, also beides stieg und beides hat Familien überproportional belastet, nämlich die Ökosteuer als indirekte Steuer, sie geht auf den Verbrauch, und die Rentenbeiträge als Belastung bis hin zur höheren Ermessensgrenze, unabhängig davon, wie viele Menschen von diesem Arbeitseinkommen leben müssen." In der Gesundheitspolitik bedeute das, daß einerseits die Finanzierungsfrage im Gesundheitswesen gestellt werden müsse - Stichworte wären etwa versicherungsfremde Leistungen oder Quersubventionen anderer Sozialkassen. Andererseits müsse aber auch dringend die Ausgabenseite beachtet werden, zum Beispiel bei Fragen und Alternativen wie ambulant oder stationär oder mehr Wahlfreiheit für Versicherte. Es gehe auch um mehr Wettbewerb im System.

Noch ist die Regierung Wulff keine hundert Tage im Amt und eigentlich schon gerupft. Der Regierungschef hat ein rigoroses Sparpro-

gramm verordnet. Neue Einschnitte stehen bevor, der finanzielle Spielraum für eine neue Politik scheint außerordentlich eng. Ursula von der Leyen macht sich keine Illusionen. "Die Finanzlage unseres Landes ist katastrophal. Wenn man es einfach ausdrückt, kann man sagen, das Land ist pleite. Wir müssen mit dieser Tatsache umgehen, das heißt: allererstes Gebot ist die Konsolidierung des Haushaltes." Als Sozialministerin müsse sie sich genau fragen, "was wir solidarisch finanzieren angesichts der sehr knappen Mittel - die konkurrieren ja um Dinge wie Bildung oder Pflege oder Krankenhaus oder Hochschule, alles wichtige Faktoren." In dieser Situation sei es "auch sozial, das knappe Geld, das wir haben, so sinnvoll wie möglich" einzusetzen. Das bedeute, daß die Leistungen genau überprüft würden. Zum einen, ob sie auch da ankämen, wo sie ankommen sollen, und zum anderen, ob sie auch weiter unabhängig vom Einkommen gezahlt werden. "Meine Aufgabe wird sein, sehr genau die Strukturen zu analysieren und gegebenenfalls Strukturreformen direkt anzugehen. Wir haben einen Haushalt, der zu gut 98 Prozent gesetzlich gebunden ist und nur gut zwei Prozent freiwillige Leistungen hat. Ich werde mich bei diesen freiwilligen Leistungen auf zwei entscheidende Feldern konzentrieren. Das eine nenne ich Gesundheitsland Niedersachsen, das andere Familienpolitik in Niedersachsen. Bei den gesetzlich gebundenen Leistungen muß man in einen ganz konkreten Dialog auch auf Bundesebene gehen." Auf dieser Ebene müsse endlich auch geprüft werden, welche Leistungen in welcher Form noch wichtig seien und welche Lasten vom Bund auf die Länder beziehungsweise die Kommunen gehen können und welche nicht. Hier werde sie sich in der Tat "neu mit dem Bund auseinandersetzen müssen".

Ursula von der Leyen gilt im Kabinett Wulff als die Albrecht-Tochter. Auf die Frage, was Sie tun werde, um sich einen eigenen Namen zu machen, hat sie eine vielversprechende Antwort parat: "Ich bin - richtig - die Albrecht-Tochter auf der einen Seite. Andererseits hat mein Vater sicherlich auf völlig anderen Feldern seine Pflöcke eingeschlagen. Ich bin als Ärztin ganz anders ausgebildet als er und werde daraus auch meine Akzente setzen, und ich werde mich konsequent einsetzen, daß das Thema Familie unter den Bedingungen, unter denen es heute steht, vorangetrieben wird. Das ist für mich auch das große Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch die Frage: wie wird Erziehungsleistung adäquat honoriert in unserer Gesellschaft? Man muß dabei eben sehen, daß heutzutage rund 80 Prozent der jungen Menschen sich Kinder wünschen, aber wenn sie dann von der Wirklichkeit eingeholt werden, 30 Prozent der Paare gar keine Kinder mehr bekommen, also offensichtlich die Botschaft unserer Gesellschaft nicht die richtige ist. Sie müßte sein: Kinder sind willkommen, und da müssen wir noch viel nacharbeiten, daß diese Botschaft auch in die Tat umgesetzt wird."

Ursula von der Leyen: Die 1958 geborene Ministerin für Familie und Soziales ist die Tochter von Ernst Albrecht, der von 1976 bis 1990 Ministerpräsident von Niedersachsen war. Foto: Landesregierung Niedersachsen
 
     
     
 
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