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Platzecks bittere Medizin

 
     
 
Die Diskussion um den "Aufbau Ost", die Klaus von Dohnanyi vor einigen Monaten angestoßen hatte, ist auf Bundesebene sanft entschlafen, auch dank des müde-lustlosen Aufbau-Ost-Ministers und vormaligen Landesvaters von Brandenburg, Manfred Stolpe. Laut Dohnanyi soll die Subventionierung mit der Gießkanne aufhören und die Förderung auf industrielle Kerne und Zukunftstechnologien konzentriert werden. Andernfalls würde die Ex-DDR
ein Subventionsgrab bleiben, das auch den Westen hinabziehe.

Der Umkehrschluß, der sich daraus ergibt, ist brutal: Einen flächendeckenden "Aufschwung" wird es nicht geben, weite Landstriche sind ohne reale Zukunftschancen. Den Menschen, die dort leben, zumindest den jüngeren, kann man nur zum Wegzug raten, oder sie müssen bereit sein, die wirtschaftlichen und sozialen Nachteile in Kauf zu nehmen oder in Eigeninitiative zu kompensieren. Dohnanyis Thesen weckten daher viel böses Blut. Der Hauptvorwurf lautete, er wolle die Ex-DDR "abhängen". Wieder einmal wurde - kennzeichnend für die Diskussionskultur in Deutschland - eine Tatsachenbeschreibung zur moralischen Fehlleistung erklärt.

Das gleiche wiederholt sich jetzt auf Landesebene. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck will das Prinzip der dezentralen Konzentration, das sein Vorgänger Manfred Stolpe eingeführt hatte, beenden und statt dessen die Finanzmittel in die "Metropolregion" um Berlin lenken. Dort vor allem erreicht Brandenburg seine Wirtschaftskraft und ist ein bescheidener Aufschwung zu verzeichnen. Davon können die berlinfernen, strukturschwachen Gegenden trotz massiver Förderung bloß träumen.

Experten raten seit zehn Jahren zum Kurswechsel: Berlin und sein Umland seien der einzige Ballungsraum weit und breit. Wenn es überhaupt zu Produktionsansiedlungen komme, dann hier. Dieser Ansatz wird durch negative Gegenbeispiele wie etwa den Lausitzring bestätigt, der im Formel-1-Sport dem Hockenheim-Ring Konkurrenz machen sollte. Er ist auch deswegen zur Investitionsruine geworden, weil er sich in einem abgelegenen und dünnbesiedelten Gebiet befindet.

Platzeck verzuckert sein Konzept mit der Zusicherung, daß regionale "Wertschöpfungszentren" weiterhin unterstützt würden. Trotzdem werden die Folgen hart sein. Ein breiter Rückzug des Staates aus der Infrastruktur steht an, aus Straßenbau und -erhalt, aus Verwaltungs- und medizinischen Einrichtungen, aus Sport- und Kulturstätten. Kleine Dörfer bleiben sich selbst überlassen. Das bringt die Kommunalpolitiker in der Prignitz, der Uckermark, der Lausitz oder dem Fläming, verständlicherweise auf die Barrikaden. Sie pochen auf die "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse". Doch dieses Verfassungsgebot, das zeigen die letzten 15 Jahre, kann nicht gegen wirtschaftliche Tatsachen durchgesetzt werden. Viele Bewohner der Randregionen haben das erkannt und sind abgewandert. Bis 2020 wird ihre Einwohnerzahl nochmals um bis zu 14 Prozent zurückgehen, wird vorhergesagt. Auch großzügige Arbeitsmarktmaßnahmen könnten diesen Trend nur verlangsamen, nicht aufhalten. Doch das Geld dafür ist nicht mehr da. Die staatliche Pro-Kopf-Verschuldung Brandenburgs liegt 40 Prozent über der von Sachsen. Wenn CDU-Politiker von einem "Entsiedlungsprogramm" Platzecks sprechen, ist das nicht mehr als giftige Polemik.

Gemessen an den früheren Versprechungen der Politik verbreitet Platzecks Strategiepapier gedrückte Stimmung. Er scheint sich jedoch zu der Erkenntnis durchgerungen zu haben, daß es besser ist, sich in das Unvermeidliche zu schicken und auf seine beschränkten Möglichkeiten zu besinnen, als weiter Illusionen nachzuhängen. Für die ländlichen Randgebiete hat Platzeck die Parole ausgegeben: "Bildung ist objektiv das einzige Versprechen, das sich hier politisch geben und einhalten läßt." In Cottbus wurde dieser Tage eine grandiose neue Universitätsbibliothek eröffnet. Keine der vier Berliner Universitäten kann einen vergleichbaren Büchertempel vorweisen.
 
     
     
 
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