|  | Mittlerweile dürfte wieder Ruhe eingekehrt sein in Bayreuth. Der     Trubel um die alljährlichen Festspiele ist vorüber; Kritiken ebenso bald vergessen wie     Begeisterung. Richard Wagner selbst wird kaum geglaubt haben, wie sehr er auch mit seiner     Idee eines eigenen Festspielhauses verbunden sein mochte, daß eben diese Idee auch 120     Jahre nach der ersten Aufführung noch Musikfreunde nach Bayreuth locken würde.
 Nachdem vom 13. bis 30. August 1876 dreimal der gesamte "Ring" gegeben wurde      übrigens im Beisein gekrönter Häupter wie Kaiser Wilhelm I.
   und König Ludwig     II. sowie mit einem Defizit von fast 150 000 Mark  las man in der Presse gar von     einer "Affenschande": "Das deutsche Volk hat mit dieser Affenschande nichts     gemein; und sollte es an dem falschen Golde des ,Nibelungenringes Wohlgefallen     finden, so wäre es durch diese bloße Tatsache ausgestrichen aus der Reihe der     Kulturvölker des Abendlandes ..."  Welch ein Irrtum! Wenn auch die     Meinungen über Richard Wagner und sein Schaffen noch heute weit auseinandergehen, so ist     doch zweifellos nicht von der Hand zu weisen, daß viele Komponisten bis in die Gegenwart     hinein nachhaltig von ihm beeinflußt wurden. 
 Richard Wagner hat zeitlebens um Anerkennung kämpfen müssen. Er war ein ruheloser     Geist, oft auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Mit großer Konsequenz und mit Energie     aber verfolgte er seine Pläne  und schuf Opern von Weltgeltung.
 
 Nicht viele Musikfreunde werden wissen, daß der 1813 in Leipzig geborene Wagner auch     eine kurze Zeit seines Lebens im ostdeutschen Königsberg verbrachte, eine Zeit, die er     selbst als "verloren" betrachtete, die ihn aber als Mensch wie als Künstler hat     reifen lassen.
 
 Wagner kam Anfang Juli 1836 nach Königsberg; er war seiner Angebeteten, der     Schauspielerin Minna Planer, gefolgt, die ein Engagement am dortigen Schauspielhaus     erhalten hatte. Auf Betreiben Minnas sollte der junge Komponist (seine Oper "Das     Liebesverbot" war gerade in Magdeburg mit nicht großem Erfolg aufgeführt worden)     die Stelle des Musikdirektors erhalten. Doch Wagner hatte in Königsberg kein Glück; die     Stelle wurde nicht frei und Wagner mußte sehen, wie er im "preußischen     Sibirien" , so in einem Brief an Robert Schumann, seinen Lebensunterhalt bestritt.     Als Hilfskapellmeister kam er einigermaßen über die Runden. Um so mehr klammerte er sich     an Minna und überredete sie zur Eheschließung.
 
 In der Königlich Preußischen Staats-, Kriegs und Friedenszeitung, der späteren     Hartungschen Zeitung, las man am 19. November 1836, daß am 23. November zum     Hochzeitsbenefiz für Fräulein Minna Planer "Die Stumme von Portici", eine Oper     von Daniel Francois Esprit Auber, die bei der Aufführung 1830 in Brüssel zur belgischen     Revolution führte, gegeben werden sollte (von Wagner inszeniert und dirigiert). Am 24.     November 1836 dann wurden Minna Planer und Richard Wagner in der Tragheimer Kirche von     Pfarrer Johann Friedrich Haspel getraut. In seiner Autobiographie "Mein Leben",     die er übrigens seiner zweiten Frau Cosima diktierte, erinnerte sich der Komponist an     dieses denkwürdige Ereignis:
 
 "Die am Vorabend stattfindende Benefizvorstellung der Stummen von     Portici, welche ich mit allem Feuer dirigierte, ging gut vonstatten und lieferte die     erwartete gute Einnahme. Nachdem wir den Polterabend, vom Theater heimkehrend, still und     ermüdet verbracht, nahm ich zum ersten Male Besitz von der neuen Wohnung"     (Steindamm, Ecke Monken- später Heinrichstraße), "ohne mich jedoch in das     zur Hochzeit aufgeputzte Brautbett zu legen, wogegen ich auf einem harten Kanapee, übel     zugedeckt, weidlich dem Glücke des kommenden Tages entgegenfror.
 
 Nun setzte es mich des andern Morgens in angenehme Aufregung, als Minnas Habseligkeiten     in Koffern und Körben bei mir ankamen; auch hatte sich das regnerische Wetter     vollständig verzogen, die Sonne strahlte hell am Himmel; nur in unserem Gastzimmer wollte     es nicht warm werden, und ich zog mir für lange Zeit die Vorwürfe Minnas wegen     vermeintlich unterlassener Pflege der Heizung zu. Endlich kleidete ich mich in den neuen     Anzug, für welchen ich einen dunkelblauen Frack mit goldenen Knöpfen erwählt hatte.
 
 Der Wagen fuhr vor, und ich machte mich auf, die Braut abzuholen. Der helle Himmel     hatte uns alle freundlich gestimmt; in bester Laune traf ich Minna in ihrem prächtigen,     von mir ausgewählten Anzuge. Mit wirklicher Innigkeit und Freude im Auge begrüßte sie     mich; das schöne Wetter für ein gutes Anzeichen erklärend, machten wir uns zu der     plötzlich uns lustig dünkenden Trauung auf. Wir genossen die Genugtuung, die Kirche wie     zu einer glänzenden Theatervorstellung überfüllt zu sehen. Es kostete Mühe, bis zum     Altar vorzudringen, wo uns die nicht minder weihevolle Versammlung unserer Trauungszeugen     im theatralischen Putze empfing. Es war nicht eine wahrhaft befreundete Seele unter allen     Anwesenden, denn selbst unser sonderbarer alter Freund Möller fehlte, weil sich für ihn     keine schickliche Paarung gefunden hatte.
 
 Das tief Ungemütliche, erkältend Frivole der Umgebung sowie des ganzen durch sie     unwillkürlich beeinflußten Vorganges blieb nicht einen Augenblick meiner Empfindung     fremd. Die Traurede des Pfarrers, von dem man mir später berichtete, daß er bei der     früheren Muckerei, die Königsberg so unsicher gemacht hatte, nicht ganz unbeteiligt     gewesen, hörte ich wie im Traume zu. Mir wurde nach einigen Tagen gemeldet, man trage     sich in der Stadt mit dem Gerücht, daß ich den Pfarrer wegen in seiner Rede enthaltener     gröblicher Beleidigung verklagt hätte: ich begriff nicht, was man meinte, und vermutete,     daß ein Passus, welchen ich allerdings mit einiger Verwirrung vernommen hatte, zu jener     Übertreibung Veranlassung gab. Der Prediger nämlich verwies uns für die leidvollen     Zeiten, denen auch wir entgegengehen würden, auf einen Freund, den wir beide nicht     kennten. Einigermaßen gespannt, hier etwa von einem heimlichen einflußreichen Protektor,     der auf diese sonderbare Weise sich mir ankündigte, Näheres zu erfahren, blickte ich     neugierig auf den Pfarrer: mit besonderem Akzent verkündigte dieser wie strafend, daß     dieser uns unbekannte Freund  Jesus sei, worin ich keineswegs, wie man in der Stadt     vermeinte, eine Beleidigung, sondern nur eine Enttäuschung fand, während ich     andererseits annahm, daß derlei Ermahnungen dem Ritus bei Trauungsreden entspräche.
 
 Doch war im ganzen meine Zerstreutheit bei dem im tiefsten Grunde mir unbegreiflichen     Akte so groß, daß, als der Pfarrer uns das geschlossene Gebetbuch hinhielt, um darauf     unsere Trauringe zu sammeln, Minna mich ernstlich anstoßen mußte, um mich zur Nachfolge     ihres sofort gegebenen Beispiels zu ermuntern. Mir wurde es in diesem Augenblick wie durch     eine Vision klar, daß sich mein ganzes Wesen wie in zwei ineinanderfließenden     Strömungen befand, welche in ganz verschiedener Richtung mich dahinzögen: die obere, der     Sonne zugewendete, riß mich wie einen Träumenden fort, während die untere in tiefem     unverständlichem Bangen meine Natur gefesselt hielt.
 
 Der unerhörte Leichtsinn, mit welchem ich die oft jäh sich aufdrängenden     Vorstellungen des Doppelfrevels, den ich beging, ebenso schnell wieder zu verjagen wußte,     fand einen freundlichen, für alles entschuldigenden Anhalt an der wirklich herzlichen     Wärme, mit welcher ich auch das in ihrer Art und namentlich in ihrer Umgebung wahrhaft     seltene und eigentümliche Mädchen blickte, das sich so rückhaltlos mit dem im Leben so     ohne allen Rückhalt dastehenden jungen Mann verband. Es war Mittag 11 Uhr am 24. November     1836; ich war 23 Jahre und sechs Monate alt.
 
 Bei und nach der Heimkehr aus der Kirche gewann meine gute Laune die volle Oberhand     über alle Bedenken. Minna trat sogleich in wirtschaftliche Sorge für den Empfang und die     Bewirtung der Gäste ein, die Tafel war gedeckt und ein reiches Gastmahl, an welchem auch     der energische Stifter unserer Ehe, Abraham Möller, trotz einigen Verdrusses über seine     Ausschließung beim kirchlichen Akte teilnahm, mußte für die zum großen Leidwesen der     jungen Hausfrau vorgefundene und lange unbezwinglich bleibende Kälte des Zimmers     entschädigen.
 
 Alles nahm seinen gemeinen, eindruckslos vorübergehenden Verlauf; doch blieb mir die     gute frische Laune noch bis zum anderen Vormittag zu eigen, wo ich meinen ersten Ausgang     nach dem Stadtgericht zu nehmen hatte, um mich gegen Verklagungen zu stellen, welche aus     Magdeburg von meinen dortigen Gläubigern nach Königsberg mir nachgesandt worden waren     
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 Es war wahrlich keine Ehe aus dem Bilderbuch, die Minna und Richard Wagner führten.     Stieftochter Natalie wußte sich zu erinnern: "... wenn er es recht toll und roh     getrieben", lag er "vor ihr auf den Knien und weinte und bettelte um Verzeihung     wie ein Kind. Doch währte der Friede nur ein paar Stunden; dann ging diese rohe,     entwürdigende Behandlung von neuem los."
 
 Hinzu kommt die berufliche Ungewißheit. Erst im April 1837 übernimmt Wagner die ihm     versprochene Stelle. Im August des gleichen Jahres noch geht er allerdings nach Riga ans     dortige Stadttheater. Bis Bayreuth ist es von da noch ein weiter Weg voller Höhen und     Tiefen. Doch so verloren wie Wagner seine Königsberger Zeit ansah, war diese denn doch     nicht. Neben der Orchesterouvertüre "Rule Britannia" nennt Dr. Erwin Kroll in     seinem Buch "Musikstadt Königsberg" (Freiburg, 1966) eine Musik zu dem     romantisch-historischen Schauspiel "Die letzte Heidenverschwörung in Preußen"     oder "Der deutsche Ritterorden in Königsberg", die Wagner in der alten     Krönungsstadt der preußischen Könige schuf. Weiter fand man Wagner als Dirigenten von     Orchesterkonzerten, auch entwarf er einen Operntext nach einem Roman "Die hohe     Braut" von Heinrich König und stellte nach einer Erzählung aus "Tausendundeine     Nacht" den Text für eine zweiaktige komische Oper mit dem Titel "Männerlist     ist größer als Frauenlist" oder "Die glückliche Bärenfamilie" zusammen.     Er verfaßte weiter eine Abhandlung über "Dramatischen Gesang" und eine     Einführung zu einer Aufführung von Bellinis Oper "Norma". Im Sommer 1837     begegnete Wagner auch dem Roman "Rienzi, der letzte Tribun" des englischen     Schriftstellers Edward Bulwer-Lytton. Wagners Oper "Rienzi" wurde schließlich     zu seinem ersten großen Erfolg (1842) und begründete seine Berufung als Kapellmeister an     die Dresdner Hofoper.
 
 Als Wagner mit seiner Frau Minna 1839 Riga Hals über Kopf verlassen muß  die     Gläubiger sind ihm wieder einmal auf den Fersen  und sie über Pillau per Schiff     nach London und Paris fliehen, ist es die stürmische Seefahrt, die derart tiefe     Eindrücke hinterläßt, daß Wagner sie in seiner Oper "Der fliegende     Holländer" verarbeiten kann. "So ist ein ostdeutscher Fischertanz für den     Matrosentanz in dieser Oper Vorbild geworden" (Kroll).
 
 Friedrich Nietzsche hat einmal über Wagner geschrieben, "daß er allem in der     Natur, was bis jetzt nicht reden wollte, eine Sprache gegeben hat". Vielleicht liegt     darin auch die Faszination, die alljährlich Tausende Musikbegeisterter nach Bayreuth     zieht.
 
 
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