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Thüringer Wald: Vertreibungs-Mahnmal

 
     
 
Das vom Bund der Vertriebenen seit drei Jahren angestrebte "Zentrum gegen Vertreibung" in Berlin läßt weiter auf sich warten. Vor allem fehlt es an einem gut gelegenen Gebäude für die Dokumentationsstätte und an Geld.

Eine vom BdV eigens gegründete Stiftung kann durch Spendensammlungen und die mit beachtlichem Erfolg propagiert
en kommunalen Patenschaften allenfalls einen Bruchteil der auf 80 Millionen Euro geschätzten Kosten auftreiben, das meiste wird vom Bund und den Ländern kommen müssen.

Doch genau hier stockt das Vorhaben, da die Regierung Schröder und die rot-grün regierten Länder der Darstellung von Verbrechen, die an Deutschen begangen wurden, noch immer mit großen Vorbehalten gegenüberstehen.

Im BdV hofft man auf einen Machtwechsel im Herbst, zumal führende Unionspolitiker wie Stoiber oder Merkel ihre Unterstützung für das Zentrum bekundeten. Doch selbst wenn es dazu kommen sollte, wird man sicherlich noch einen langen Atem brauchen, um die vielen Widerstände zu überwinden.

Einstweilen kann man sich nur darüber freuen, daß auf anderen Ebenen kleinere Projekte umgesetzt werden, die an das Vertreibungsunrecht erinnern. So hat das bereits im Februar (Folge 6, S. 8/9) über das von Kristof Berking erstellte Video-Zeitzeugen-Archiv berichtet. Und vor wenigen Tagen gab es im Thüringer Wald Richtfest an einem bemerkenswerten Bau: dem nach Originalplänen wiedererrichteten Altvaterturm auf dem Wetzstein (792 m ü. NN) bei Lehesten.

Das Vorbild des am östlichen Rand des Rennsteigs entstehenden zwölfstöckigen Turmes stand bis 1959 auf dem mit 1492 Metern höchsten Gipfel des nordmährischen Altvatergebirges. Für die bis zur Vertreibung zu über 90 Prozent deutschen Bewohner dieses östlichen Teils des Sudetenlandes waren der Berg und sein an die Mittelalterromantik der wilhelminischen Ära erinnernder Turm so etwas wie ein Wahrzeichen.

Dies galt für die Städte Mährisch-Schönberg, Freudenthal oder Römerstadt, besonders aber für den am Fuße des Berges gelegenen mondänen Kurort Bad Karlsbrunn, wo angeblich der sauberste Wind in Mitteleuropa weht.

Nachdem der 1903-12 entstandene, ursprünglich als "Habsburgwarte" bezeichnete Bau nach dem Zweiten Weltkrieg von den tschechischen Behörden dem Verfall preisgegeben worden war und 1959 einstürzte, lag es für die vertriebenen Nordmährer nahe, ihn als Symbol der Heimat in der Bundesrepublik wiederherzustellen.

Dies erst recht, als die geschichtslosen Kommunisten im Jahre 1970 auf den Altvater einen jener himmelstürmenden Fernsehtürme hinklotzten, wie sie überall im "Ostblock" die bald als brüchig erkannte Modernität des Systems versinnbildlichten.

Im Dezember 1976 wurde der Altvater-Turm-Verein e. V. in Langgöns/Hessen gegründet. Voller Eifer begaben sich dessen Aktivisten auf die Suche nach einem Ort zur Verwirklichung ihres Traumes. Zahllose Anfragen waren nötig, ehe man nach der Wiedervereinigung endlich fündig wurde.

Zu DDR-Zeiten war der grenznahe Wetzstein von der NVA mit Bunkern zubetoniert und durch Überwachungsanlagen verunstaltet worden. Ein 1902 erbauter Bismarckturm wurde noch in den 70er Jahren gesprengt.

Bald nach der Wiedervereinigung trug man sich in dem zwischen Saalfeld und Kronach gelegenen Dorf Lehesten mit Wiederaufbauplänen. Doch für eine Neuauflage des Bismarckturmes fehlte das Geld. Das wiederum rief den Altvater-Turm-Verein auf den Plan, der schon erkleckliche Summen beisammen hatte.

Man kam überein, dem Wetzstein wieder einen Aussichtsturm in Gestalt des mährischen Vorbilds zu geben. Mit 35,80 Metern soll es der höchste Turm der Gegend werden, von dem sich herrliche Ausblicke bis zum Erzgebirge und Fichtelgebirge bieten. Die Grundsteinlegung erfolgte am 21. Mai 2000. Danach gingen die Arbeiten zügig voran, so daß die oberste Turmdecke des trutzigen Sandsteinbaus im November 2001 betoniert werden konnte.

Besonders bemerkenswert am neuen Altvaterturm ist die Tatsache, daß zwar Sudetendeutsche, speziell Nordmährer, federführend bei seiner Planung und Finanzierung waren, er jedoch die Erinnerung an alle deutschen Vertriebenen aus dem Osten wachhalten soll. Der Vereinsvorsitzende Kurt Weese betonte im Gespräch mit dem ausdrücklich diesen Grundsatz und wies auf die Möglichkeiten hin, sich an dem Projekt zu beteiligen.

Allein im letzten Jahr gingen Geldbeiträge für 16 Gedenkplatten früherer deutscher Siedlungsgebiete im Osten ein; 17 Doppelwappen von Heimatstädten und ihren bundesdeutschen Patenkommunen wurden ebenso in Auftrag gegeben wie 462 Ortsgedenktafeln und 75 Votivkacheln von Einzelpersonen, Familien oder Gruppen. Als zentraler Erinnerungsraum für alle deutschen Vertreibungsopfer ist im Untergeschoß eine ökumenische Kapelle konzipiert. Dort sollen auf Wandtafeln möglichst vieler Heimatortsgemeinschaften die Namen der Herkunftsorte der Vertriebenen, ihre Einwohner- und Opferzahlen einschließlich der Summe der im Zweiten Weltkrieg Gefallenen und Vermißten in Stein gemeißelt werden.

Auch die vielen Nischen in der Außenfassade und im Turmaufgang, ferner die 16 für die Darstellung der Heimatkreise bereitstehenden Innenräume zwischen zwölf und 31 Quadratmetern sowie nicht zuletzt das Museum und die Ehrenhalle im obersten Turmgeschoß bieten Raum zur Selbstdarstellung. In den Außennischen kann man zum Beispiel gegen einen Beitrag von 750,- Euro auf einer Tafel von 50 mal 50 Zentimetern an die Opfer bestimmter polnischer oder tschechischer Internierungslager, Todesmärche usw. erinnern oder auch Erfreuliches festhalten, etwa Sagengestalten wie Rübezahl und berühmte Bauwerke.

Der als gemeinnützig anerkannte Altvater-Turm-Verein hat in mühsamer Planungsarbeit ein umfassendes Finanzierungskonzept erarbeitet. Anders wäre dieses mächtige Mahnmal der Vertreibungsverbrechen ohne staatliche Unterstützung nicht bezahlbar gewesen. Die schwierigsten Phasen des Vorhabens sind zwar überstanden, dennoch freuen sich die Verantwortlichen auch auf der Schlußetappe über jeden, der mit einer Finanzspritze zum Gelingen beiträgt.

Hier sind nicht zuletzt die Ost- und Westpreußen und die Pommern angesprochen, bei denen der Bau anders als bei Sudetendeutschen und Schlesiern offensichtlich kaum bekannt ist.

Im kommenden Jahr soll auch die Inneneinrichtung fertig sein, so daß der Turm eingeweiht werden kann und allen Wanderern, Heimatvertriebenen und geschichtsbewußten Zeitgenossen offensteht. Angesichts der Lage in unmittelbarer Nähe des Rennsteigs wird man sich wohl auf ein reges Besucherinteresse freuen dürfen.

Auskünfte: Altvater-Turm-Verein e. V., Kurt Weese (Vorsitzender), Auf den Röden 3, 35630 Ehringshausen, Tel.: 06443-3386, E-Post: kurt.weese@altvaterturm.de 

Fototext: "Tag der offenen Tür": Der unfertige neue Altvaterturm auf dem Wetzstein (792 m ü. NN) im Oktober 20
 
     
     
 
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