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Unter Volldampf zum Weltrekord

 
     
 
Fauchend und schnaubend setzt sich das schwarze stählerne Ungeheuer in Bewegung. Mit steigender Spannung folgen ihm bange Blicke: Reicht die Kraft, oder ist die Steigung zu steil, die Last zu schwer? Tatsächlich, ein zweiter dieser Stahlkolosse muß helfen; einer allein, und mag er noch so stark sein, schafft es nicht.

Der junge Bursche, um die 14 Jahre alt, weiß inzwischen, daß an dieser Stelle der Einsatz von zwei schweren Lokomotiven für einen Zug Routine ist. Seine Radwanderungen
haben ihn schon oft genug hierher geführt, nach Erkrath nahe Düsseldorf, an die sogenannte Hochdahler Rampe, ein Steilstück, wie man es auch auf hochalpinen Eisenbahnstrecken nur selten trifft. Er liebt es, sich von der Macht moderner Technik fesseln zu lassen, um anschließend weiterzuradeln ins Neandertal, wo sich die rätselhafte Faszination der Vorgeschichte seiner bemächtigt.

Was der Junge damals noch nicht weiß: daß er hier einen vor 50 Jahren konstruierten Weltrekordhalter der Technikgeschichte bewundern darf. Und was er nicht ahnt: daß er 50 Jahre später über eben diesen Rekordhalter, die alte preußische P 8, einen Artikel für die schreiben wird.

Als der Autor einst bewunderte, wie sich die Dampflokomotiven die Hochdahler Rampe hochquälten, trug das "Dampfroß" schon lange nicht mehr seinen ursprünglichen Namen. Aus der preußischen P 8 war die Baureihe 38 geworden, zunächst bei der gesamt- und großdeutschen Reichsbahn, dann im Westen der Deutschen Bundesbahn und im angeblich antifaschistischen Osten immer noch der Reichsbahn.

Genau 100 Jahre ist es her, seit bei Schwartzkopff, der späteren Berliner Maschinenbau AG, mit der "Coeln 2401" die erste P 8 an die Preußischen Staatsbahnen ausgeliefert wurde. In den ersten Monaten des Jahres 1906 hatte sie auf ausgedehnten Testfahrten - unter anderem auf der Strecke nach Königsberg - ihre Zuverlässigkeit und Vielseitigkeit unter Beweis gestellt. Ihr Konstrukteur Robert Garbe hatte die von dem Ingenieur Wilhelm Schmidt entwickelte sogenannte Heißdampftechnik hier erstmals im großindustriellen Maßstab umgesetzt - mit außerordentlichem Erfolg: Die P 8 sollte die weltweit meistgebaute Personenzuglokomotive werden. Bis 1922 wurden an 13 deutschen Standorten - von der Hohenzollern-AG in Düsseldorf bis zur Union-Gießerei in Königsberg - 3726 Exemplare gebaut; 1923 kamen noch einmal 230 in Rumänien gebaute Loks hinzu. So erreichte die Gesamtzahl (laut "Eisenbahn-Kurier Special") 3956, eine von keiner anderen Dampflokomotive je erreichte Zahl.

Weltrekordverdächtig ist aber nicht nur die Stückzahl, sondern auch die Zuverlässigkeit. Bei der DDR-Reichbahn blieb die P 8 bis 1972 unter Dampf, bei der Deutschen Bundesbahn sogar noch zwei Jahre länger. Ebenfalls bis 1974 lief eine P 8 in Rumänien im Liniendienst. Dies war allerdings keine der dort gebauten Loks; sie war 1921 von Linke Hofmann in Breslau an die Reichsbahn ausgeliefert und 1925 an die rumänische Staatsbahn verkauft worden. Ende der 90er Jahre entdeckten deutsche Eisenbahnfreunde sie auf einem Schrottplatz und konnten sie in Klausenburg wieder in den optischen und technischen Originalzustand versetzen lassen. Seit 2002 wird sie vom Süddeutschen Eisenbahnmuseum Heilbronn zu Nostalgiefahrten eingesetzt. Nomen est omen: Die Umbenennungen von "Elberfeld 2580" in "38 3199", dann in "230.106" und wieder zurück in "38 3199" stehen für die wechselvolle Geschichte.

Etwa die Hälfte aller fast 4000 Maschinen dieser Baureihe waren länger als 50 Jahre im harten Alltagseinsatz, auch dies eine beeindruckende Rekordmarke. Heute sind noch 24 Loks erhalten. Ein besonders schönes Exemplar verdient hervorgehoben zu werden: die Lok Nr. 38 1182 des Deutschen Verkehrsmusums Dresden, 1910 von Schwartzkopff gebaut und 61 Jahre lang im fahrplanmäßigen Betrieb. Sie wurde von den sächsischen Eisenbahnfreunden in liebevoller Arbeit in den Originalzu-stand der Vereinigten Preußischen und Hessischen Staatseisenbahnen zurückversetzt.

Was war das Erfolgsrezept dieser meistgebauten Lokomotive? Sie war vielseitig einsetzbar, reparaturunanfällig, sparsam und relativ leicht zu bedienen, also auch aus heutiger Perspektive das ideale Massenverkehrsmittel. Die wichtigsten Ziffern für technisch Versierte: Bauart 2 C h2, Länge über Puffer 18,585 Meter, Durchmesser der Treibräder 1,75 Meter. Die Höchstgeschwindigkeit wurde, entgegen den Intentionen des Konstrukteurs, auf 100 Stundenkilometer begrenzt. Ursprünglich faßte der Tender 21,5 Kubikmeter Wasser und sieben Tonnen Kohle. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden je nach Verwendungszweck auch andere Tender von ausgemusterten Kriegslokomotiven angehängt. Auf ebener Strecke konnte die P 8 bei Höchstgeschwindigkeit 300 Tonnen ziehen; begnügte man sich mit 90 Stundenkilometern, konnte man sogar 400 Tonnen anhängen. Die Probefahrten nach Ostdeutschland absolvierte die "Coeln 2401" übrigens mit 14 D-Zug-Waggons.

Von den bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs gebauten rund 2350 Loks mußten über 600 nach den Verträgen von Versailles und Saint Germain als Reparationsleistung abgegeben werden. Nutznießer waren vor allem die Polen, die allein 190 Maschinen erhielten. 168 P 8 dampften auf belgischen Gleisen, 162 verblieben in Frankreich. Die aus den Länderbahnen hervorgegangene Reichsbahn konnte aber bis 1923 die Bestände durch Neubauten wieder auffüllen. Auch zahlreiche ausländische Eisenbahngesellschaften schätzten das ehemals preußische Dampfroß, das in den 20er und 30er Jahren zum Exportschlager wurde. Auf den deutschen Bahnstrecken zählte die P 8 ohnehin zum alltäglichen Bild, wenn auch gelegentlich mit ungewohntem "Anhang". So wurde dem legendären Nobelzug "Rheingold", wenn die etatmäßige BR 01 mal ausfiel, die weniger elegante BR 38 vorgespannt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in den westlichen Besatzungszonen sowie dem Saarland, also dem Gebiet der späteren Bundesbahn, 1325 Maschinen verblieben, in der SBZ 747. Polens Staatsbahn (PKP) nannte 418 Loks dieses Typs ihr eigen, in Ungarn registrierte man 190 Exemplare, in der Tschechoslowakei 89. Weitere 22 P 8 fanden sich in Rumänien, Dänemark, Jugoslawien, Österreich und Frankreich. Nicht immer gelang es, nach den Kriegswirren das Schicksal der Reichsbahn-Lokomotiven aufzuklären; einige hundert blieben für immer verschollen. Mehr Glück hatten da die Griechen: Sie hatten nach dem Ersten Weltkrieg der französischen SNCF zehn P 8 abgekauft. Ende 1943 hatte die Wehrmacht sie in Saloniki beschlagnahmt. Fünf Loks waren nach Kriegsende verschwunden, drei tauchten später in Jugoslawien wieder auf und wurden den Hellenen zurückgegeben.

Die italienischen Ferrovie dello Stato hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg 25 P 8 auf bis heute zweifelhafte rechtliche Weise angeeignet, wurden damit aber nicht so recht glücklich. Schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs waren die Dampfloks der früh einsetzenden Elektrifizierung zum Opfer gefallen.

Auch Litauen konnte sich nicht allzu lange über die 1923 bei der Besetzung des Memellandes erbeuteten preußischen Dampfloks freuen; 1940 gingen sie in sowjetische Verfügungsgewalt über. Immerhin brachte es Moskaus Volkskommissariat für Verkehrswesen auf einen Bestand von deutlich über 100 P 8 - ohne je auch nur eine einzige Maschine gekauft zu haben. Ein Umstand, der aber nichts daran ändert, daß die preußische P 8, die in diesen Tagen ihren 100. Geburtstag feiert, ein stolzes Kapitel deutscher Industrie- und Technikgeschichte geschrieben hat.

Ein solches Kapitel hätte man sich auch in unserer Zeit wünschen, gut vorstellen können. Doch leider geriet das Kapitel "Transrapid" - eine in Deutschland entwickelte und zur Einsatzreife gebrachte radlose Magnetschwebetechnik - zum technologiepolitischen Jammerspiel; ob Kanzlerin Merkels derzeitige Bemühungen in Peking daran noch etwas ändern können, ist fraglich.

Die Zeitschrift "Eisenbahn-Kurier" hat zum 100. Geburtstag der preußischen P 8 ein Sonderheft herausgebracht, das auf 100 Seiten in Wort und Bild über die stolze Geschichte dieser erfolgreichsten Dampflok aller Zeiten berichtet. Es zeigt die "Coeln 2503" im Bahnhof

Erkrath bei der Ausfahrt auf die Hochdahler Rampe. Deutlich sieht man die schwere Kette, mit deren Hilfe (über eine Umlenkrolle) eine zweite, talwärts fahrende Lokomotive Unterstützung für die allzu steile Steigung gibt. Die Aufnahme stammt aus dem Jahre 1925 - gut drei Jahrzehnte, bevor ein junger Bursche an der Hochdahler Rampe stand und ausgefallene Zug-Techniken bestaunte.

Die Lok war robust, sparsam und leicht zu bedienen

Schön wäre es, wäre der Transrapid ähnlich erfolgreich

Eine der ersten: Die preußische P 8 "Elberfeld 2404" kurz nach ihrer Auslieferung im Sommer 1906. Sie wurde - ungewöhnlich für diese Baureihe - schon nach 21 Jahren ausgemustert.

An die Kette gelegt: Die P 8 "Coeln 2503" (später 38 1838) im Bahnhof Erkrath mit Kurs auf die Hochdahler Rampe.
 
     
     
 
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