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Wenn die Leitkultur fehlt

 
     
 
Baden-Württemberg hat kürzlich das Kopftuch im öffentlichen Dienst verboten und zugleich klargestellt, daß christliche Symbole mit ihm nicht auf dieselbe Stufe gestellt werden können. Berlin geht einen anderen Weg. Der Gesetzentwurf, den der rot-rote Senat gerade verabschiedet hat, sieht ein Verbot aller religiösen Symbole in Behörden und Schulen vor. Dies gilt für Polizisten, Richter, Staatsanwälte
, Schöffen, Justizvollzugsbeamte, Lehrer. Zur Begründung sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD), die Bürger seien dort dem Staat besonders unterworfen, woraus sich eine besondere Neutralitätspflicht ergäbe. Rund 60.000 der insgesamt 140.000 Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst Berlins werden von der Regelung ab Herbst betroffen sein. Als "reine Schmuckstücke" dürfen religiöse und weltanschauliche Symbole aber weiterhin getragen werden. Wie das zu unterscheiden sei, soll laut Körting eben die Praxis zeigen. Im Zweifel müßten die Gerichte entscheiden.

"In der Bauaufsicht oder im Sozialamt ändern wir nichts", sagte er. "Da kann man weiter mit dem dicken Kreuz erscheinen." Ausgenommen vom Verbot sind auch Religionsunterricht, Berufsschulen und Erwachsenenbildung. Untersagt sind Symbole jedoch in der gymnasialen Oberstufe, für Kindergärten wird es komplizierte Sonderregeln geben.

Körting beruft sich auf die "preußische Tradition", Menschen aller Glaubensrichtungen gleich zu behandeln. Was Körting zu erwähnen vergaß: Preußen hat sich stets offensiv zu seinen christlichen Fundamenten bekannt und aus dieser fe-sten Verwurzelung die Kraft zur religiösen Toleranz geschöpft. Woraus aber schöpft der rot-rote Senat seine Überzeugungen? An den Berliner Gesetzesplänen wird deutlich, was für ein strategischer Fehler der vorzeitige Abbruch der Debatte über die Leitkultur gewesen ist.

Die PDS, die zunächst überhaupt kein Gesetz über Kopftücher wollte, verbucht den Entwurf trotzdem als kleinen Sieg. "Eine Lex Kopftuch, die Musliminnen im Öffentlichen Dienst einseitig benachteiligt, wird es nicht geben", sagte PDS-Landeschef Stefan Liebich. Als besonders erfreulich hob er hervor, daß laut Gesetzentwurf ein Arbeitskreis "Islam und Schule" und eine Antidiskriminierungsstelle geschaffen werden sollen, entsprechend einer Richtlinie der EU zur Bekämpfung von Diskriminierungen. Hier tun sich in der Tat neue Beschäftigungsmöglichkeiten für PDS-Parteigänger im Öffentlichen Dienst auf.

Natürlich nimmt niemand der PDS ihre Rolle als Vorkämpferin für religiöse Toleranz ab. Ihr geht es um den Einstieg in die multikulturelle Gesellschaft. Sie hofft, daß das zugewanderte muslimische Proletariat, wenn es erst die deutsche Staatsbürgerschaft hat, ihr an Stimmen ersetzt, was sie durch das Wegbrechen ihrer überalterten Basis verliert. Von der SPD erwartet überhaupt niemand mehr gesellschaftspolitische Überlegungen. Nur der Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, der der SPD angehört, hat sich vernehmbar gegen die Preisgabe christlicher Fundamente gewandt. Von der FDP war zu hören, es sei unverständlich, daß in Kindergärten und der Erwachsenenbildung Ausnahmen gemacht werden sollen. Die Liberalen wähnen sich noch im Kulturkampf der Bismarck-Zeit.

Hinter den Kulissen werden noch weiterreichende Überlegungen eine Rolle spielen: Eine Zurücksetzung des Islam gegenüber den christlichen Kirchen würde in Berlin zu einem Kulturkampf ganz anderer Art, wie sie der US-Wissenschaftler Samuel Huntington als "Kampf der Kulturen" für unausweichlich hält, führen. Dem wäre die Berliner Politik, aber auch die "deutsche Mehrheitsgesellschaft" - ein Begriff, der angesichts der demographischen Entwicklung täglich fragwürdiger wird - überhaupt nicht gewachsen. Auch in dieser Hinsicht wird die Hauptstadt längst nicht mehr regiert, sondern getrieben.

 
     
     
 
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