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Wie nahe waren die Deutschen an der A-Bombe?

 
     
 
Joachim Fest, Hitler-Biograph und Autor der Buchvorlage zum Film "Der Untergang", zitiert Hitler in den letzten Wochen im Führerbunker unter der Reichskanzlei mit den Worten: "Sollten wir nicht siegen, so werden wir selbst untergehend noch die halbe Welt mit uns in den Untergang reißen." Ihr Buch läßt diese Drohung eines vermeintlich Wahnsinnigen in einem neuen Licht erscheinen. Hoffte Hitler bis zuletzt auf einen Atombombe
neinsatz?

Karlsch: Hitler glaubte offenbar bis zuletzt, daß SS-General Hans Kammler es schaffen würde, eine Nuklearwaffe mit überwältigender Sprengkraft zur Einsatzreife zu bringen. Kammler, ein bis heute von den Historikern weitgehend vernachlässigter SS-Offizier, war ab Mitte 1944 eine ungeheure Machtfülle zugewachsen, er zeichnete bei Kriegsende für die wichtigsten Technologieprojekte verantwortlich und genoß das Vertrauen Hitlers.

Wie realistisch war denn diese Hoffnung noch?

Petermann: Noch am 19. April 1945 sagte Hitler zu zwei Offizieren in seinem Umfeld: "Wartet, in 24 Stunden wird der Krieg eine Wende nehmen." Schon angesichts der militärischen Gesamtlage war diese Hoffnung völlig irreal. Aber auch die Hoffnung auf einen Atomwaffeneinsatz war zu diesem Zeitpunkt losgelöst von der Wirklichkeit. Wir haben Indizien dafür gefunden, daß es am 28. März 1945 in Thüringen zu einem Treffen von Speer, Himmler, Kammler und Gerlach kam. Danach war das Bombenprojekt passé.

Aber es wurde doch laut Ihren Recherchen in den Tagen zuvor auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf - ebenso wie im Oktober 1944 schon auf Rügen - eine nukleare Bombe auf Hohlladungsbasis erfolgreich getestet. Warum dann Abbruch?

Karlsch: Ein Prototyp ist noch keine einsatzfähige Waffe. Es fehlte an größeren Mengen spaltbaren Materials und an Trägerwaffen. Selbst wenn mehrere der bei Ohrdruf getesteten Bomben zur Verfügung gestanden hätten, wäre damit der Vormarsch der Alliierten nicht aufzuhalten gewesen. Der Chef des sowjetischen Generalstabes, Antonov, schätzte es nüchtern ein: "Diese Bomben könnten unseren Vormarsch verlangsamen."

Ohnehin handelte es sich bei den getesteten Bomben ja wohl nicht um die erhoffte Superwaffe mit verheerender Wirkung, so wie sie einige Monate später von den Amerikanern auf Japan abgeworfen wurde?

Karlsch: Richtig. Was auf Rügen und in Thüringen unter Aufsicht der SS getestet wurde, würden wir heute als taktische Atomwaffen bezeichnen. Sie hatten einen Wirkungsradius von etwa 300 bis 500 Metern. Gleichwohl mußten den Test am 3. März 1945 vermutlich rund 500 Häftlinge und Kriegsgefangene mit dem Leben bezahlen.

Weshalb ist man mit der Entwicklung dieser "kleinen" Atomwaffen nicht früher fertig geworden?

Petermann: Diese Frage ist auf heutigem Kenntnisstand nicht befriedigend zu beantworten. Trotz hochkomplexer wissenschaftlicher Forschung gab es offensichtlich zu wenig Erfahrung. Die Tests, die wir beweisen konnten, waren noch weit von fronttauglichen Waffen entfernt. Andererseits meinen wir Hinweise dafür gefunden zu haben, daß manche der beteiligten Wissenschaftler die Entwicklung aus moralischen Erwägungen heraus gebremst haben. Heisenberg spielt da eine wichtige Rolle.

Was wäre passiert, wenn die Waffe eher zur Verfügung gestanden hätte? Durch die Literatur geistert immer wieder eine Zeichnung von Manhattan, das offenbar zum Ziel für einen Vergeltungsschlag auserkoren war?

Petermann: In der Tat gab es solche Überlegungen. Doch es fehlten die Trägermittel, eine Langstreckenrakete - weit größer als die bekannte V2 - war trotz eines erfolgreichen Probestarts in Thüringen noch nicht einsatzbereit. Die Amerikaner fanden nur fünf in Bau befindliche Raketenkörper dieser Bauart, mit denen sie offensichtlich nichts anfangen konnten. Erstes Ziel wäre nach Angaben des Himmler-Adjutanten Werner Grothmann London gewesen.

Die Fragen stellte .

Rainer Karlsch (und Heiko Petermann): "Hitlers Bombe - Die geheime Geschichte der deutschen Kernwaffenversuche", DVA, München 2005, gebunden, 32 Schwarzweißfotos, 2 Karten, 432 Seiten, 24,90 Euro
 
     
     
 
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