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Wissen nur noch in Häppchen

 
     
 
40 Fragen stellte das Kölner Ifep-Institut im Auftrag des "Stern" an 1960 Schüler im Alter von 14 bis 16 Jahren. Auch 103 Lehrer machten den Test mit. Die Ergebnisse sind erstaunlich, nicht selten erschreckend. Wer gründete das Reich von 1871? Darauf konnten nur 37 Prozent der Gymnasiasten, immerhin 32 Prozent der Realschüler und gerade mal 19 Prozent der Gesamtschüler eine korrekte Antwort finden. Die Frage nach dem Ereignis des derzeitigen deutschen National
feiertags, des 3. Oktober, konnten gerade 23 Prozent der Gymnasiasten, 14 Prozent der Gesamtschüler beantworten, und – man staune – nur 50 Prozent der Lehrer wußten, daß am 3. Oktober 1990 die staatliche Vereinigung von Bundesrepublik und DDR stattgefunden hatte. Natürlich konnte auch nicht ausbleiben, daß einige Fragen selbst die politisch korrekten Antworten bereits einschlossen. So sollte die Frage, welche zwei Flüsse die "natürliche Grenze" zwischen Deutschland und Polen bilden, selbstverständlich mit "Oder und Neiße" beantwortet werden. Kurzum: Nicht einmal 50 Prozent der Gymnasiasten schafften die Beantwortung der zum Teil sehr einfachen Fragen. Die Gesamtschüler, deren Schulform nach SPD-Vorstellung wohl irgendwann das Gymnasium ganz ablösen soll, waren zum Teil schlechter als die Realschüler. – Ein Desaster.

Der Norddeutsche Rundfunk stellte umgehend ein Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vors Mikrofon und befragte ihn nach den besonders schlechten Ergebnissen in Niedersachsen. Die Antwort war verblüffend: Die Umfrage habe einen völlig veralteten Kanon an Allgemeinwissen abgefragt. Wer etwa der Komponist der Zauberflöte sei, das interessiere heute niemanden mehr, das sei völlig veraltetes Wissen. Insofern sei er geradezu froh, daß die Umfrage so verlaufen sei. Zu einem derartigen Ausmaß an Realitätsverweigerung fällt einem in der Tat nichts mehr ein.

Die Bildungskatastrophe, die Mitte der 60er Jahre von linken Pädagogen vorausgesagt wurde, sie ist eingetreten. Dies haben jüngst auch einst führende Protagonisten dieser Pädagogik eingeräumt, so etwa der Göttinger Erziehungswissenschaftler Hermann Giesecke ("Pädagogische Illusionen", Stuttgart 1998). Andere Pädagogen wie Wolfgang Brezinka oder der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus ("Spaßpädagogik – Sackgassen deutscher Schulpolitik", München 1998), haben stets vor einer "Wohlfühlpädagogik" gewarnt, die meinte, Lernen müsse vor allen Dingen "Spaß" machen. Inzwischen beginnt man wieder zu ahnen, daß die Aneignung von Wissen auch mit einem erheblichen Maß von Mühe verbunden ist. Dazu sind die Kinder aber immer weniger in der Lage.

Und das ist nicht nur die Schuld der "Spaßpädagogen", sondern liegt auch in der Tatsache begründet, daß eine noch nie dagewesene Vielzahl von Eindrücken jeden Tag auf die Kinder einstürmt. Computerspiele, Videoclips in Fernsehsendern wie MTV und VIVA und eine kommerzielle "Jugendkultur" prägen Seh- und Lerngewohnheiten, die Informationen werden in immer kleinere Häppchen verarbeitet.

Jede zusammenhängende Information, die eine Aufmerksamkeit von mehr als zehn Sekunden am Stück erfordert, ist für Jugendliche unverdaulich und damit unerreichbar geworden. Sie reagieren mit Umschalten beim Fernsehprogramm oder mit Abschalten in der Schule. Konsequenz: Jede Form von Wissen, die längere Konzentration oder kontinuierliche Aneignung von Wissen zur Voraussetzung hat, ist im Rückzug begriffen.

Die Folgen: Die kommende Generation wird aller Voraussicht nach nicht mehr in der Lage sein, die kulturellen Grundlagen des künftigen technischen Wissens zu begreifen. Sie wird nur noch auf spezielle technische Zusammenhänge gedrillt sein. Die eigene Kultur, die eigene Tradition wird für sie kein Kraftquell für wirkliche Innovation mehr sein. Eine von manchen im Sinne einer globalen Verfügbarkeit wissenschaftlicher Ressourcen sicherlich gewünschte Entwicklung – ist es auch eine kulturell wünschenswerte?  

 
     
     
 
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