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Zeitungen im Wandel

 
     
 
Welch eine Bedeutung das Zeitungswesen nicht nur für Ostdeutschland, sondern für ganz Deutschland hatte, beweist seine lange Geschichte, die bis in das frühe 17. Jahrhundert zurückgeht. Im Jahre 1618, als der 30jährige Krieg begann, erschien in Königsberg bereits eine Zeitung. Erst drei Jahre zuvor war in Frankfurt am Main die erste deutsche Zeitung herausgegeben worden, dort folgte wenig später die zweite - aber die dritte wurde in Königsberg gedruckt! In der Druckerei des Johann Fabricius, dessen Schwiegervater Osterberger diese damals einzige Buchdruckerei Preußens gegründet hatte. Fabricius war auch Herausgeber
der noch unregelmäßig, aber recht häufig erscheinenden Zeitung.

Das änderte sich schon fünf Jahre später, als der aus Pommern stammende Lorenz Segebade die Druckerei übernahm. Er brachte die erste durchnumerierte Zeitung heraus, die nun wöchentlich erschien. Ihr Name "Avisen oder wöchentliche Zeitung, was sich in Deutschland und anderen Orten zugetragen", beweist, daß die Leser über das Geschehen weit über die Landesgrenzen hinaus unterrichtet werden sollten. In Königsberg, dieser vom 30jährigen Krieg weitgehend verschonten Stadt, konnten sich vor allem Wissenschaft und Kunst friedlich entwickeln, so daß auf Veranlassung von Kurfürst Friedrich Wilhelm im Jahre 1638 der Rostocker Buchdrucker Johann Reußner nach Königsberg kam. Weil er sich mit der Witwe des verstorbenen Segebade nicht einigen konnte, gründete er eine eigene Druckerei, für die er vom Kurfürsten ein weitgehendes Privileg erhielt. 1658 erschien der von ihm herausgegebene "Preußische Mercurius", der zweimal wöchentlich die Leser mit allem Wissenswerten versorgte. Einige Nummern blieben bis heute noch erhalten! Da aber der Nachfolger von Segebade, Paschen Mende, eine verbesserte Ausgabe des "Avisen" herausbrachte, gab es Mitte des 17. Jahrhundert in Königsberg bereits zwei Zeitungen! Ein Beweis für das große Informationsbedürfnis der Leser und ihren hohen Bildungsstand, der vor allem auf dem geistigen Leben der Universitätsstadt beruhte, das sich aber auch außerhalb der Albertina entwickelte.

Das Zeitungswesen wurde weiter von Reußner beherrscht, seine "Ordinari Post und Zeitung", wie der Mercurius umbenannt wurde, war bald weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. 1709 erschien bei ihm die "Königlich Preußische Fama", die später in "Neue Merkwürdigkeiten von politischen und gelehrten Sachen" umgetauft wurde. Als König Friedrich Wilhelm I. die sogenannten "Intelligenz-Adreß-Contoire" einrichtete, nahm das Pressewesen auch in Königsberg einen weiteren Aufschwung. Der König führte nämlich den Abonnementszwang ein: alle Behörden und Beamten wurden gezwungen, das "Intelligenzblatt" zu halten. In Königsberg wurde es bei Reußner gedruckt, der dadurch auch das Anzeigenmonopol erhielt. Es erschien als "Wöchentliche Königsbergische Frag- und Anzeigennachrichten", wobei dieser Titel etwas irreführend erscheint, denn auch die Königsberger Professoren wurden verpflichtet, für das Blatt wissenschaftliche Aufsätze zu schreiben. So zählt zu den Autoren auch der große Kant! Später änderten sich die Titel mehrmals, der Abonnementszwang bestand aber noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts.

Und von hier spulen sich die Fäden bis in unsere Zeit hinein ab, denn dieses "Intelligenzblatt" ist der Vorläufer der "Hartungschen Zeitung", die vielen Königsbergern noch ein Begriff ist: sie mußte erst 1933 ihr Erscheinen einstellen. Der aus Thüringen stammende Johann Heinrich Hartung hatte 1740 die angesehene Buchhandlung von Ch. G. Eckart übernommen, aus der später dann die größte Buchhandlung Europas, Gräfe und Unzer, hervorging. Hartung übernahm das von Reußner gegründete Blatt und gab ihm den Titel "Königlich privilegierte preußische Staats-, Kriegs- und Friedenszeitung". Erst hundert Jahre später bekam dann das Blatt den offiziellen und endgültigen Namen "Königsberger Hartungsche Zeitung".

Die Hartungs brachten 1897 eine weitere Zeitung heraus, das "Königsberger Tageblatt". Eine Volkszeitung im wahrsten Sinn des Wortes, sehr bürgernah, verständlich geschrieben, mit einem hervorragenden Kulturteil. Sie gewann nicht nur in Königsberg, sondern in ganz Ostdeutschland viele Leser: Vor dem Ersten Weltkrieg hatte das Tageblatt schon in rund 700 Postorten Verbreitung!

Aber da hatte sich die ostdeutsche Zeitungslandschaft schon erheblich gewandelt. Der spätere preußische Ministerpräsident Otto Braun hatte 1901 die "Königsberger Volkszeitung" als Parteiorgan der SPD gegründet. Die Konservative Partei gab die "Ostdeutsche Zeitung" heraus, zu den weiteren Publikationen dieses Hauses auf dem Königsberger Tragheim zählten auch der "Königsberger Anzeiger" und "Die Georgine", das Blatt der Landwirtschaftskammer neben kleineren Blättern.

Überragt wurden aber alle diese Organe in Verbreitung und Auflagenzahl durch die "Königsberger Zeitung", für die 1875 der Grundstein gelegt wurde. Am 1. November des Jahres erschien die erste Ausgabe. Der Taufname lautete allerdings "Kommunalblatt für Königsberg und die Provinz Preußen" - aber unter diesem Titel wäre sie niemals zu einer der bedeutendsten Tageszeitungen des deutschen Ostens aufgestiegen. Diese Entwicklung deutete sich erst an, als sie 1882 in "Königsberger Zeitung" umbenannt wurde. Ihr Mitbegründer und Chefredakteur Dr. Alexander Wyneken konnte das Heft fester in die Hand nehmen als die bisher im Privatbesitz befindliche Zeitung die Rechtsform einer GmbH erhielt. Damit wurde das Presseunternehmen auf eine ganz andere Basis gestellt.

Aus dem kleinen kommunalen Blättchen wurde im Laufe der Jahrzehnte die auflagenstärkste und einflußreichste Zeitung Ostdeutschlands, die das größte und bedeutsamste Kapitel der so umfangreichen Königsberger Zei- tungsgeschichte schrieb. In die deutsche Presselandschaft fügte sie sich als nationalliberale Zeitung ein und hielt auf der politischen Waage stets sorgfältig austariert die Mitte. Die National- liberalen waren vor dem Ersten Weltkrieg die führende Partei Königsbergs.

Als die, wie sie in der Bevölkerung genannt wurde, 1925 ihr 50jähriges Jubiläum feierte, konnte Alexander Wyneken - als Dr. h. c. geehrt - auf ein trotz Krieg, Revolution und Inflation erfolgreiches halbes Jahrhundert Zeitungsgeschichte zurückblicken. Das 1906 bezogene große Haus in der Theaterstraße war zur repräsentativen "Presseburg" geworden, in der hervorragende Redakteure und Journalisten der Zeitung ihr Gesicht gaben - ein Jahr später kam als freie Mitarbeiterin Agnes Miegel dazu! Die Redaktionskonferenz brachte täglich 16 Redakteure an den runden Tisch, und wie wichtig die Berichterstattung aus der Reichshauptstadt genommen wurde, beweist die achtköpfige Berliner Redaktion. Der gesamte Personalbestand war auf 485 Mitarbeiter angewachsen, die Technik mit Rotationsmaschinen und moderner Präge- und Schnellpresse auf den damals neuesten Stand gebracht worden. Die Auflage betrug trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation, die maßgeblich durch die "Insellage" Ostdeutschlands mit dem "polnischen Korridor" beeinflußt wurde, 58.000 - damals eine stolze Zahl!

Kein Wunder, daß zum Jubiläum der "Allgemeinen" von Prominenten aus Politik, Wirtschaft und Kunst die aufrichtigsten Glückwünsche gesandt wurden. "Treu für den Osten gekämpft!" bescheinigte ihr der damalige Reichspräsident von Hindenburg. Kronprinz Wilhelm sprach Dr. h. c. Wyneken, dem Träger und Vorkämpfer deutschen Wesens im Osten, für seine treue und rastlose Arbeit für das Vaterland seine herzlichsten Glückwünsche aus. Stresemann, Minister des Auswärtigen, schrieb: "Durch ein halbes Jahrhundert hat die Königsberger Allgemeine Zeitung die deutsche Wacht im Osten gehalten!" Der große Schauspieler Paul Wegener gratulierte zu dem "wirklich gloriosen Zeitungsjubiläum" und hoffte, daß seine "geliebte Heimat, Ostdeutschlandland, in diesen schweren Zeiten aufs neue einen solchen gewaltigen Aufstieg nehmen möge wie ihr gelesenstes Blatt!" Und der aus Rastenburg stammende Arno Holz dichtete gar:

"Pinsel, Meißel, Hammer, Stift,

über alles siegt die Schrift.

Idol, vor dem die übrigen verblassen,

die Welt in Worte fassen!"

Diese und die vielen anderen Glückwünsche erfüllten sich in den nächsten Jahren. Aber auch nachdem die ein Jahr zuvor als Parteiorgan der Nationalsozialisten gegründete taz Zeitung" zum Pflichtbezug für die Bürger der Stadt wurde, blieb die "Allgemeine" immer noch eine viel und gern gelesene Zeitung. Nur sie und das "Königsberger Tageblatt" blieben am Ende üb-rig von der alten, weitgefächerten Königsberger Zeitungslandschaft. Und beim Untergang Königsbergs erloschen auch sie ...

Mit dem Zusatztitel des es haben wir inzwischen eine neue "Allgemeine" aus der Taufe gehoben. In der Verpflichtung, die uns die erfolgreiche Vergangenheit Königsbergs in der Geschichte der deutschen Presse auferlegt. Eine "Preußische", die sich als Nachfolgerin ihrer Königsberger Vorgängerin bemühen will, so ausgewogen und aufgeschlossen zu berichten und ihr redaktionelles Spektrum so breit aufzufächern wie sie. Und der Geschichte Preußens gerecht zu werden, die ihre Wurzeln in unserer Heimat hat und dem Land den Namen gab: Preußen!

 

Theaterstraße 12: Das Bild weckt Erinnerungen: Ich sehe mich wieder vor dieser Tür stehen, mein Blick gleitet an der imposanten Fassade hoch, liest "Königsberger Zeitung", und das Herz klopft bis zum Halse. Denn ich habe mein erstes Gedicht verfaßt, ein heiteres Poem von den beiden Fröschen, die in einen Schmandtopf fallen, wobei der Pessimist versinkt, der Optimist aber paddelt, bis er auf einem Haufen Butter sitzt. Ich will dieses Gereime der Redaktion anbieten, ein kühner Entschluß, wenn man erst 17 Jahre alt ist. Bis zur Redaktion dringe ich nicht vor, der Pförtner nimmt es mir endgültig ab - zum Weiterleiten. Ich denke: Na, das war s dann auch. Am nächsten Sonnabend die Überraschung: In der Wochenendausgabe steht mein Gedicht mit vollem Namen! Dann kamen noch ein netter Brief und drei Mark - mein erstes Honorar! Und der Beginn eines langen, langen Schriftstellerlebens - bis heute. Danke, liebe Königsberger Allgemeine Zeitung!
 
     
     
 
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